Bochum auf dem Weg zur Schwammstadt
Mit einer wassersensiblen Umgestaltung will Bochum den veränderten Anforderungen an die innerstädtische Entwässerungsinfrastruktur in Zeiten des Klimawandels gerecht werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Schwammstadtelemente, Nachhaltigkeitskriterien und moderne Bauverfahren.

Bochum, die Ruhrmetropole mit 370.000 Einwohnern, hat sich zum Ziel gesetzt, das rund 1.250 Kilometer lange Kanalnetz den klimatischen Veränderungen entsprechend umzugestalten. Konkret bedeutet dies: Überflutungsschäden bei Starkregen verhindern und Regenwasser für Stadtgrün und eine Verbesserung des Microklimas während auftretender Trockenperioden zu speichern und zurückzuhalten.
Verantwortlich dafür, dieses Ziel zu verfolgen und zu erreichen ist die Abteilung Entwässerung und Gewässer mit den fünf Sachgebieten Grundlagenplanung, Objektplanung, Entwässerungsunterhaltung, Neubau sowie Grundstücksentwässerung und Kataster. Frank Großklags leitet diese Abteilung, die mit insgesamt 130 Mitarbeitern an das Tiefbauamt der Stadt Bochum angegliedert ist.
Reagieren auf den Klimawandel
„Unsere Kernaufgabe ist es, das Abwasser schadlos abzuleiten“, so Frank Großklags. „Wenn der hundertjährige Regen aber nicht mehr alle hundert Jahre, sondern jährlich fällt, dann ist dies mit der vorhandenen Entwässerungsinfrastruktur nicht zu leisten.“ Deshalb habe man sich in Bochum abteilungsübergreifend die Aufgabe gestellt, Möglichkeiten zu schaffen, Wasser im Starkregenfall zu speichern und in Trockenperioden gedrosselt wieder abzugeben und gleichzeitig das innerstädtische Kleinklima im Sommer bei hohen Temperaturen positiv zu beeinflussen. Hier bietet das Schwammstadtprinzip Lösungen mit vielen Synergieeffekten.


Herausforderungen im Team bewältigen
Wesentliche Voraussetzung dafür ist die Trennung von Schmutz- und Regenwasser. Vor etwa zwei Jahren fasste die Stadt Bochum den Beschluss, das noch zu 80 Prozent im Mischsystem entwässernde Netz, sukzessive auf Trennkanalisation umzustellen. „Das heißt: Überall dort, wo Kanäle neu gebaut oder erneuert werden, versuchen wir, ein Trennsystem hinzubekommen“, sagt Frank Großklags.
Eine zentrale Herausforderung hierbei besteht darin, im urbanen, eng bebauten Umfeld Platz für die erforderlichen zusätzlichen Kanäle, Rigolen und Speichervolumina zu finden. „Die Stadtwerke müssen eben auch ihre Leitungen für Fernwärme oder Strom in die Straße bekommen“, konstatiert Rolf Hagemeier, der als Sachgebietsleiter Kanalneubau Alfons Großebley in diesem Amt nachfolgt.
Berücksichtigt werden müssen auch die zufließenden Wassermengen von den Flächen. „Je stärker die Besiedlung und die Versiegelung im Innenstadtbereich, desto problematischer wird das, weil dann der Platz fehlt“, erläutert Achim Mantke, Sachgebietsleiter Grundstücksentwässerung und Kanalkataster. Um eine Schwammstadt zu bilden, brauche man Fläche und bei wenig Platz seien kreative Lösungen nötig, beispielsweise um Regenwasser temporär an der Oberfläche zwischenzuparken.
Die beschriebenen Herausforderungen machen deutlich: Die Entwässerungsinfrastruktur klimatauglicher zu machen ist eine interdisziplinäre Aufgabe, an der viele Verantwortliche aus unterschiedlichen Disziplinen in einer Kommune zusammenarbeiten müssen. Diesbezüglich hat Bochum den Vorteil, dass das Grünflächenamt, das Planungsamt und der Straßenbau im Tiefbauamt unter einem Dach angesiedelt sind. „Wir sind alles Kollegen, die das gleiche Interesse haben, nämlich die Stadt Bochum überflutungssicher zu machen“, so Frank Großklags. Dies ermögliche auch bei Meinungsverschiedenheit in der Regel schnell einen Konsens zu finden.
Zusätzlich stellen Achim Mantke, die Sachgebietsleiterin Kanal- und Gewässerunterhaltung Bettina Müller und Dennis Kuhenn übereinstimmend eine gewachsene Akzeptanz in der in der breiten Öffentlichkeit und in der Kommunalpolitik fest. So hat der Rat der Stadt Bochum im Jahr 2019 den Klimanotstand anerkannt. Dieser Ratsbeschluss besagt, dass jede Maßnahme in Bochum hinsichtlich ihrer Auswirkung auf das Klima überprüft wird. „Dies betrifft auch unsere Baumaßnahmen, und zwar nicht nur im schädlichen, sondern auch im positiven Sinne“, erklärt der scheidende Sachgebietsleiter Kanalneubau, Alfons Großebley.
Schritt für Schritt zur Schwammstadt
Seit zehn Jahren denkt man in Bochum intensiv darüber nach, Entwässerungsinfrastruktur klimatauglicher zu machen, vor sechs Jahren wurde mit der Umsetzung begonnen. „Anfangs lag der Fokus noch auf Ableitung. Der hat sich dann immer mehr auf das Halten, Speichern und auf das Bewirtschaften des Regenwassers ausgerichtet“, erinnert sich Achim Mantke.
Die Entwicklung vollzog sich schrittweise. Zunächst wurden Regenwasserflächen städtischer Gebäude vom Kanal abgekoppelt und das Wasser vor Ort in Mulden versickert oder anderweitig abgeleitet. „Dann sind wir in den Straßenraum gegangen und haben in einem Wohnquartier mit neuen Baumstandorten die ersten Baumrigolen gebaut, um diese damals für uns noch neue Technologie auszuprobieren“, beschreibt Dennis Kuhenn.
Im nächsten Schritt wurde ein 600 Meter langer Straßenabschnitt über eine vernetzte Rigolenanlage mit Baumstandorten komplett ohne Regenwasserkanal entwässert. „Mit einem enormen Erfolg“, konstatiert Achim Mantke. „Wir waren selbst überrascht, welche Regenereignisse da im Vergleich zu den vorher durchgeführten Modellrechnungen geschluckt wurden.“ Diese positiven Erfahrungen waren Bestätigung und Motivation zugleich, das Konzept weiterzuentwickeln und in größerem Maßstab umzusetzen.
Diese Gelegenheit bot sich ab dem Jahr 2022 bei der Sanierung von drei großen Ein- und Ausfallstraßen. Nachdem die Stadtbahn in Bochum unterirdisch neu gebaut wurde, stand der alte oberirdische Bahnkörper mitten im Straßenraum für eine neue Nutzung zur Verfügung. „Bei der Neuplanung der Ein- und Ausfallstraßen konnten wir den Gleiskörper in der Straßenmitte nutzen, um dort unsere neuen Ansätze der Regenwasserbewirtschaftung planerisch einbringen und umsetzen zu können“, so Dennis Kuhenn.
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Großprojekte in den Ausfallstraßen
Es begann 2022 in der Hattinger Straße. Hier entstand in der Straßenmitte eine offene, bepflanzte, teilweise kaskadenartig angelegte Rigole, die nicht nur das gesamte Straßenwasser, sondern auch das Niederschlagswasser von den angrenzenden Grundstücken aufnimmt. Zusätzlich wurde so ein technisches Bauwerk geschaffen, welches Regenwassermanagement öffentlich wahrnehmbar werden lässt und in attraktiver Form ins Stadtbild integriert. Voraussetzung für die Realisierung der Maßnahme war es, den Straßenbau von vornherein in die Planung und Umsetzung einzubeziehen. So musste das Straßenprofil im Zuge der Neugestaltung von Dach- auf V-Profil verändert werden. „Das Wasser darf nicht mehr über die Schulter auf die Häuser, auf die Eingänge zulaufen, es muss in die Mitte“, so Achim Mantke. Entwässerungstechnisch und gestalterisch sei das Projekt mit der Erfahrung der ersten starken Regenfälle ein voller Erfolg.


Die dritte große Maßnahme, ein 800 Meter langer Abschnitt in der Alleestraße, befindet sich aktuell in der Umsetzung. „Hier machen wir erstmals etwas ganz Innovatives“, sagt Achim Mantke. Wurden bisher Baurigolen neu mit jungen Bäumen bepflanzt, wird nun versucht, Bestandsbäume in die Maßnahme mit einzubeziehen. In der technischen Umsetzung werden hierfür versuchsweise Speicherblöcke aus Steinwolle neben und zwischen den Bäumen eingesetzt. „Wenn das klappt, bringt uns das richtig nach vorne“, so Mantke. Denn es sei heute schwer vermittelbar, einen alten Bestandsbaum zu fällen, um ihn mit dem Bau einer Rigole durch einen noch kleinen, jungen Baum zu ersetzen.
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Unterhaltung in die Planung einbeziehen
Schwammstadtprojekte baulich umzusetzen sei aber nur die eine Seite der Medaille, betont Frank Großklags. Die Anlagen müssen auch unterhalten, gewartet und überwacht werden. „Dafür braucht es auf jeden Fall zusätzliches Personal.“ Auch hier ist Teamarbeit bereits in der frühen Planungsphase von besonderer Bedeutung, ergänzt Bettina Müller. „Hier können diejenigen, die später die Anlagen warten und unterhalten sollen, auf der Grundlage ihrer praktischen Erfahrungen und mit ihrer Expertise wichtige Hinweise geben, um zukünftige Unterhaltungsprobleme zu vermeiden und den Aufwand zu minimieren.“
Mit den bereits realisierten und aktuell in der Umsetzung befindlichen Maßnahmen ist Bochum natürlich noch nicht am Ziel des Weges zur Schwammstadt angekommen. Der Weg wird nach den positiven Erfahrungen jedoch konsequent weiter beschritten. Im Rahmen des Abwasserbeseitigungskonzeptes ist mit einem Vorlauf von sechs Jahren klar beschrieben, welche Kanäle in welchem Jahr aus baulichen Gründen erneuert werden müssen. „Bei jeder Planung einer solchen Maßnahme wird intensiv danach geschaut, inwiefern Schmutz- und Regenwasser getrennt und wie Schwammstadtelemente berücksichtigt werden können“, so Frank Großklags. In der Castroper Straße ist zweite Bauabschnitt in konkreter Vorbereitung, die Hattinger Straße umfasst insgesamt sechs Bauabschnitte und auch in der Allestraße sind weitere Maßnahmen vorgesehen. Dies müsse mit Versorgungsträgern und mit anderen Beteiligten mit dem nötigen Vorlauf koordiniert werden. „Aber diese Ausfallstraßen werden in Gänze innerhalb der in den nächsten 15 bis 20 Jahren in diesem Stil so weitergemacht“, ist sich Alfons Großebley sicher.
Im Jahr 2024 hat Bochum rund 70 Millionen Euro in das Kanalnetz investiert. Für 2025 stehen rund 80 Millionen zu Verfügung. „Finanziell haben wir, auch aufgrund der Förderprogramme der Emschergenossenschaft und dem Land NRW, nicht die großen Probleme“, sagt Frank Großklags. Schwieriger seien die Personalkapazitäten. Der planerische Aufwand für Schwammstadtelemente sei deutlich erhöht, deshalb arbeite man in Bochum mit externen Ingenieurbüros in Form von Rahmenverträgen zusammen. Aber auch auf Seiten der erforderlichen Fachfirmen seien die Kapazitäten begrenzt.
Mehr Nachhaltigkeit durch moderne Bauverfahren
Hierzu gehört bei der offenen Bauweise der konsequente Einsatz von Flüssigboden. „Flüssigboden nutzt den vorhandenen, ausgebauten Boden, macht ihn zeitweise fließfähig, und verfüllt damit den Graben, ohne dass man Verdichtungsenergie aufbringen muss“, erklärt Hagemeier. Dies schont nicht nur die natürlichen Ressourcen wie Sand und Kies, sondern spart auch Deponieraum und Entsorgungskosten. „Dem Kreislaufwirtschaftsgesetz entsprechend ,Verwerten geht vor Entsorgen‘ haben wir in dem Bereich, denke ich, einen ganz weiten Schritt nach vorne getan.“

Kurze Bauzeiten als Wertungskriterium
Etwa 35 bis 40 Prozent der Kanalneubaumaßnahmen werden mittlerweile in geschlossener Bauweise ausgeführt, bestätigt Frank Großklags. „Wir minimieren so bei unseren Baumaßnahmen mit dem Einsatz von Rohrvortrieb und teilweise auch bergmännischem Stollenbau Störungen der Infrastruktur im innerstädtischen Bereich, wir verringern Verkehrsbehinderungen, gerade wenn viele Baumaßnahmen gleichzeitig stattfinden.“
Die Verkürzung der Bauzeiten durch den Einsatz von Flüssigboden und grabenlosen Bauverfahren bedeutet nicht nur weniger Beeinträchtigung der Bürger, sondern vergrößert auch die Kapazität der personellen Ressourcen im eigenen Haus. „Wir können uns früher anderen Aufgaben widmen“, sagt Rolf Hagemeier. Die Bauzeit durch organisatorische oder technische Maßnahmen zu verkürzen sei deshalb ein Kriterium, das in der Wertung der Angebote Berücksichtigung finde. „Aus diesem Blickwinkel ist beispielsweise der Einsatz von Flüssigboden, neben seinen bautechnischen Vorteilen und Qualitätsaspekten, im Preis-Leistungs-Verhältnis oft nicht mehr maßgeblich teurer als das konventionelle Verfahren.“
Diese Argumente gelten nicht nur für den Neubau, sondern auch für die Sanierung des Kanalnetzes. „Hier investiert Bochum derzeit etwa 4 Millionen Euro in Jahr – mit steigender Tendenz“, so Bettina Müller. Zum Einsatz kommen überwiegend Close-fit-, TIP- und Berstverfahren. „Auch das Schlauchlining-Verfahren setzen wir ein, bevorzugen aufgrund unserer positiven Erfahrungen aber die Verfahren mit werkseitig hergestellten Kunststoffrohren.“
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Natürlich wären alle Beteiligten bei den Kriterien Nachhaltigkeit und Klimaresilienz gerne schon viel weiter. „Aber ich denke, wir sind in Bochum auf einem guten Weg“, schließt Frank Großklags.
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