„Ein Gesamtkonzept muss her!“
In Deutschland gestaltete sich der Breitbandausbau in den letzten zwei Jahrzehnten äußerst problematisch. Auch die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, dass nun alles schneller gehen soll, auch beim Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Doch worauf kommt es außer Schnelligkeit noch an? Darüber sprachen wir mit Dipl.-Ing. Willi Thomsen, Geschäftsführender Gesellschafter der Thomsen GmbH Tiefbauunternehmen (Osterrönfeld/S-H) und Präsident der Gütegemeinschaft Leitungstiefbau e.V. (GLT).
B_I umweltbau: Herr Thomsen, der Breitbandausbau in Deutschland lief und läuft noch immer schleppend, obwohl genügend finanzielle Mittel und tatkräftige Leitungstiefbauunternehmen zur Verfügung stehen. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?
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Willi Thomsen: Was 20 Jahre versäumt wurde, kann nicht in 5 Jahren bewerkstelligt werden. Es stimmt, es gibt genügend Gelder, sowohl privatwirtschaftlich als auch Fördergelder, die verbaut werden können, und es gibt qualifizierte Leitungstiefbaufirmen, die bereit stehen. Aber die Rahmenbedingungen passen nicht. Und somit sehen wir den Trend, dass immer mehr unserer Mitglieder Ausschreibungen für Breitband nicht mehr bedienen wollen. Wenn sie zum Beispiel zum Trenching aufgefordert werden, obwohl es dafür keine normative Grundlage gibt und wenn sie damit Haftungsrisiken übernehmen müssen, sind die Firmen dazu immer weniger bereit.
B_I umweltbau: Fehlt es also oft auch an einem gut funktionierenden kollaborativen Zusammenwirken zwischen Netzbetreiber und Leitungsbauunternehmen wie auch zwischen Politik, Kommunen und Versorger?
B_I umweltbau: Die Unternehmensgruppe Deutsche Glasfaser hat kürzlich zur Beschleunigung und Verbesserung des Glasfaserausbaus in Bayern mit dem Bayerischen Gemeindetag eine Vereinbarung getroffen: Das Unternehmen verpflichtet sich zu enger und transparenter Zusammenarbeit mit den Kommunen im Freistaat, im Gegenzug fordert der Gemeindetag seine Mitglieder auf, den Ausbau durch die Deutsche Glasfaser in den Genehmigungsverfahren zu unterstützen. Was halten Sie von solchen Vereinbarungen?
Thomsen: Als ich diese Nachricht las, habe ich mich als erstes gefragt, ob das nicht ein Eingriff in den Wettbewerb darstellt: Der Bayrische Gemeindetag empfiehlt seinen Mitgliedern, den Breitbandausbau von der Deutschen Glasfaser ausführen zu lassen und bietet dafür Sonderkonditionen wie schnelle Genehmigungsverfahren. Naja, mal sehen was die anderen Breitbandversorger auf dem Markt dazu sagen.
Sie vereinbaren Standards, wie „anerkannte Regeln der Technik“, „gute Wiederherstellung der Straßen“ und „schnelle Genehmigungsverfahren“. Das alles sollte überall gelten – traurig, dass man das separat vereinbaren muss. Die Krönung ist aber, dass der Bayrische Gemeindetag dafür akzeptiert, dass die Deutsche Glasfaser den Breitbandausbau mittels untiefer Verlegearten durchführen kann. Ohne Differenzierung der örtlichen Gegebenheiten. Das ist für mich mehr als ärgerlich, das ist verantwortungslos.
„Es geht eben nicht immer nur um ‚schnell schnell'"
B_I umweltbau: In den nächsten Jahren soll aber ein enormes Tempo beim Glasfaserausbau vorgelegt werden. Die Große Koalition versprach einst einen flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025; Olaf Scholz korrigierte das Ziel auf 2030. Ist aus Sicht der GLT das Ziel des neuen Bundeskanzlers realistisch, ohne dass die Ausführungsqualität leidet, oder besteht hier ein Zielkonflikt?
Thomsen: Die Bauwirtschaft hatte 2019 einen Jahresumsatz im Kabelleitungstiefbau von circa 3 Milliarden Euro. Wenn wir davon ausgehen, dass vielleicht noch 30 Milliarden Euro allein im Breitbandausbau verbaut werden müssen, dann ahnen wir, dass das mit den Tiefbaukapazitäten derzeit auch bis 2030 knapp wird.
Es geht eben nicht immer nur um „schnell schnell“, sondern um Nachhaltigkeit der Leitungslegung und des Oberflächenschlusses. Dazu gehört auch, dass vorhandene unterirdische Infrastruktur nicht überbaut werden darf. Auch Gas- oder Wasserleitungen müssen irgendwann saniert oder eine Havarie umgehend behoben werden. Dass man dafür erstmal das darüber liegende Glasfaserkabel kappen müsste, sollte keinem Versorger und keiner Kommune gefallen.
„Keiner versteht, weshalb viele Kommunen das zulassen“
B_I umweltbau: Die Branche legt große Hoffnung in die Erstellung einer DIN-Norm für das Trenchingverfahren, die seit September 2020 erarbeitet wird. Wie ist hier der aktuelle Stand und inwiefern würde die Norm die Planung und Arbeit erleichtern?
Thomsen: Ja, hier arbeiten 30 Experten an einer Norm, die längst überfällig ist. Seitdem im Telekommunikationsgesetz die untiefen Verlegearten definiert wurden, trenchen sich oftmals qualitativ fragwürdige Firmen durch deutsche Straßen. In vielen Orten sind Straßen damit ruiniert worden. Keiner versteht, weshalb die Kommunen das zulassen und unser Gemeingut Straße nicht schützen.
In diesem DIN-Gremium arbeiten Kollegen aus unserem Güteausschuss mit und bringen ihr Fachwissen ein. Gemeinsam mit Vertretern von Breitbandversorgern, Universitäten, Stadtwerken, Kommunen und Städten wird hier um jedes Wort gerungen. Aber das ist auch gut so, denn nur mit größtmöglicher Akzeptanz dieser zukünftigen Norm wird sie auch gelebt. Der Entwurf geht voraussichtlich Mitte des Jahres in die Einspruchsphase. Wenn die Norm dann fertiggestellt ist, werden alle Beteiligten endlich eine juristisch und technisch einwandfreie Grundlage für die Ausführung dieser Arbeiten besitzen.
B_I umweltbau: Auch beim Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur soll es in den nächsten Jahren schnell vorangehen; Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, will „richtig Gas geben“. Was erwarten Sie vom BMDV?
B_I umweltbau: Folgendes Szenario: Sie möchten im Jahr 2025 und im Jahr 2030 mit Ihrem Elektroauto von Berlin nach München fahren. Staus bleiben Ihnen erspart. Dennoch: Was glauben Sie, wie gut werden Sie jeweils vorankommen?
Thomsen: Entlang der Autobahnen wird es 2025 schon funktionieren, dass ich laden kann, wenn ich es brauche. Diese Bereiche sind als erstes bei Ausschreibungen für den Aufbau einer Ladesäuleninfrastruktur dabei. Und in großen Städten wie Berlin und München wird es auch einigermaßen funktionieren.
Aber ich fahre im ländlichen Schleswig-Holstein los. Das heißt, ich brauche ein paar Kilometer bis zur Autobahn. Und das wird das Problem. Ich fürchte, dass wir beim Aufbau der Ladesäuleninfrastruktur die gleichen Fehler machen wie vor Jahren beim Start zum Glasfaserausbau. Das Rosinen-Picken hat dem Glasfaserausbau geschadet. Es wurde nur dort investiert, wo es lukrativ war, also zum Beispiel in Ballungsgebieten mit einer bestimmten Häuserdichte. Und das hat die Politik über Jahre akzeptiert.
Nun werden bei den Ladesäulen die gleichen Fragen diskutiert: Weshalb liegen die ländlichen Gebiete zurück? Schaffen es die Kabel, die schon in der Erde liegen, die Kunden zu bedienen? Gibt es genügend Tiefbaukapazitäten? Alles Fragen, die wir selbst beim Glasfaserausbau Stück für Stück nur beantworten konnten. Und 2030 werden wir vielleicht sehen, dass Länder wie Frankreich oder Schweden uns wieder meilenweit voraus sind.
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Herr Thomsen, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Boris Valdix.
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