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Grüne Städte, geschützte Rohre

Baumwurzeln können erhebliche Schäden an erdverlegten Leitungen verursachen. Vor allem in Städten ist die Gefahr groß, dass sich Leitungen und Wurzeln in die Quere kommen. Dr. Mirko Salomon, Projektleiter beim IKT - Institut für Unterirdische Infrastruktur, hat zum Thema Wurzeleinwuchs an unterirdischer Infrastruktur eine Doktorarbeit geschrieben und teilt seine neuesten Erkenntnisse, insbesondere zu etwaigen Schutzmaßnahmen.

Rohre vor Wurzeleinwuchs schützen: Interview mit Dr. Mirko Salomon, IKT
Dr. Mirko Salomon verrät seine neuesten Erkenntnisse aus seiner Doktorarbeit „Untersuchung von bautechnischen Schutzmaßnahmen gegen Wurzel-Rohr-Interaktionen“. | Foto: IKT

B_I umweltbau: Herr Dr. Salomon, Baumwurzeln erschließen sich bekanntlich gerne auch in der Umgebung von unterirdischen Leitungen neuen Bodenraum. Wo liegen die Schwachstellen bei Leitungsgräben und auch bei Rohren?

Dr. Salomon: Eine Wurzel wächst dorthin, wo sie gut wachsen kann, also wo sie auf den geringsten Widerstand trifft. Insbesondere in Leitungsgräben, bei denen der Boden oftmals porenreicher ist als in anderen Bereichen, können sich die Wurzeln gut ausbreiten. Über die Zeit kann die Wurzel so von der Pflanzgrube in den Leitungsgraben hineinwachsen und entlang einer Leitung weiter wachsen. Vor allem über bestehende Schäden an Rohren oder teilweise auch über gesteckte Rohrverbindungen können Baumwurzeln dann auch in Leitungen einwachsen.

B_I umweltbau: Welche Baumarten sind insbesondere für Leitungsschäden verantwortlich?

Dr. Salomon: In der Forschung gibt es oftmals die Meinung, dass bestimmte Bäume „aggressiver“ sind und tiefer wachsen als andere. Ich vermute, dass – zumindest im innerstädtischen Bereich – beispielsweise viele Wurzeleinwüchse auf Platanen zurückzuführen sind, weil sie einfach sehr oft gepflanzt wurden und nicht unbedingt, weil sie aggressiver wachsen als Wurzeln von anderen Baumarten. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man sich über Schutzmaßnahmen Gedanken macht, egal bei welcher Baumart. Denn die Wahrscheinlichkeit für Wurzeleinwuchs in Leitungen steigt natürlich, je mehr Bäume in der Umgebung der verlegten Leitung stehen und je schlechter verdichtet und offenporiger der Bodenkörper im Rohrgraben ist.

B_I umweltbau: Das IKT hat zum Thema Wurzeleinwuchs bereits mehrfach – auch international – geforscht und hat an dem DWA-Merkblatt M 162 mitgewirkt. Wo haben Sie mit Ihrer Dissertation weiteren Forschungsbedarf erkannt?

Dr. Salomon: Wurzeln und erdverlegte Leitungen interagieren langfristig im Boden. Daher war mein Ansatz in der Dissertation, Wurzeln zu beobachten, die unter realen In-situ-Bedingungen über ein Jahr oder bzw. mehrere Jahre gewachsen sind, und nachzuweisen, wie wirksam bestimmte – bereits bekannte – Schutzmaßnahmen für Leitungen langfristig sein können. Sind Verbindungen von Fernwärmeleitungen wurzelfest? Wie gut schützen porenraumarme Verfüllstoffe oder Folien und Platten im Leitungsgraben? Hier gibt es noch viele Ungewissheiten, zumal in der Regel langfristige Erkenntnisse fehlen.

Darüber hinaus habe ich untersucht, inwieweit die Abwärme von Fernwärmeleitungen das Wurzelwachstum beeinflusst und das Wurzeldickenwachstum die vergleichsweise dünnen PE-Ummantelungen von Kunststoffmantelrohren (Fernwärmeleitungen) beschädigen kann.

„Normprüfungen sind eine gute Grundlage, decken aber nicht jeden Praxisfall ab.“

B_I umweltbau: Wann gilt ein Rohrsystem normgemäß als wurzelfest?

Dr. Salomon: Es gibt Normprüfungen, nach denen bestimmte bautechnische Laborprüfungen zur Feststellung der Wurzelfestigkeit durchgeführt werden können. Etwa im Abwasserbereich beispielsweise nach der DIN 4060. Verfüllstoffe dagegen werden bisher in keiner Prüfnorm hinsichtlich des Schutzes vor Wurzeleinwuchs beschrieben. Aber auch in nach Norm geprüften Rohrverbindungen ist Wurzeleinwuchs möglich, wie frühere Pflanzversuche ergeben haben. Bedeutet: Normprüfungen in dieser Hinsicht sind eine gute Grundlage, decken aber nicht jeden Praxisfall ab. Neben Normprüfungen sind daher Pflanzversuche und große Stichproben notwendig, um gesicherte Erkenntnisse zur Wurzelfestigkeit zu erlangen.

Wurzeln an einer Fernwärmeleitung | Foto: IKT
Wurzeln an einer Fernwärmeleitung | Foto: IKT

Daher habe ich in meiner Dissertation dreistufige Prüfkonzepte zur Bestimmung der Wurzelfestigkeit von Rohrverbindungen, porenraumarmen Verfüllstoffen (ZFSV) und Wurzelbarrieren entwickelt. Durch diese Prüfkonzepte soll die Wirksamkeit bautechnischer Schutzmaßnahmen vor Wurzel-Rohr-Interaktionen besser bewertet werden können. Davon profitieren am Ende nicht nur die Auftraggeber, sondern auch die Hersteller durch die höhere Qualitätssicherung für ihre Produkte.

B_I umweltbau: Und was haben Sie für den Fernwärmebereich herausgefunden?

Dr. Salomon: Fernwärmeleitungen werden gängigerweise über Schrumpfmuffen miteinander verbunden. Hier haben ich und meine Forschungspartner festgestellt, dass fachgerecht ausgeführte Kunststoffmantelrohre mit stoffschlüssig verbundenen Muffen wurzelfest sind. Hingegen waren Wurzeleinwüchse zu beobachten bei Rohrverbindungen, die nicht fachgerecht montiert waren, etwa weil ein Kleber vergessen wurde oder Schmutz die Stoffschlüssigkeit beeinträchtigte. Man sieht also, wie wichtig die Qualität der Bauausführung ist; schließlich reichen schon Bruchteile von Millimetern aus, damit Wurzeln in die Leitung einwachsen können. Das gilt natürlich auch für Rohrsysteme und wurzelfesten Verbindungen außerhalb des Fernwärmebereiches.

Des Weiteren haben wir Eindrückversuche mit Pflanzen an Kunststoffmantelrohren vorgenommen und uns dabei angesehen, ob das Wurzeldickenwachstum den dünnen PE-Außenmantel des Fernwärmerohrs beschädigen kann. Nach drei Jahren haben wir aber noch keine maßgeblichen Beeinträchtigungen feststellen können, die ausschließlich auf das Dickenwachstum zurückzuführen sind.

B_I umweltbau: Was ergab die von Ihnen angesprochene Untersuchung zur Abwärme von Fernwärmeleitungen?

Dr. Salomon: Einen Einfluss der Abwärme auf das Wurzelwachstum haben wir in Laborversuchen mit Pflanzen und elf durchgeführten In-situ-Versuchen nicht beobachtet. Somit lässt sich ein Ausbau des Fernwärmenetzes an Baumstandorten mit Blick auf die Abwärme von nach Stand der Technik betriebenen Fernwärmeleitungen nach den bisher durchgeführten Untersuchungen als eher unbedenklich einstufen.

B_I umweltbau: Durch den Einsatz von porenarmen Verfüllbaustoffen wie z.B. Flüssigboden soll der Bettungsraum der Leitungen für Wurzeln unattraktiv gemacht werden. Was haben in dieser Hinsicht bisherige Untersuchungen ergeben und decken diese sich mit Ihren Ergebnissen?

Dr. Salomon: Die bisherigen Untersuchungen haben beschrieben: Je porenärmer der Verfüllbaustoff ist, desto geringer ist die Gefahr von Wurzeleinwuchs. Flüssigboden eignet sich – wie Sie sagen – dafür. Maßgeblich kommt es aber auf die Kornzusammensetzung des Flüssigbodens an. Bindige und organische Anteile wirken sich eher negativ aus; dies zeigten bereits vorige Untersuchungen mit Pflanzen und wurde durch meine Pflanzversuche bestätigt. Das zeigt: Hier besteht eindeutig in Zukunft weiterer Forschungsbedarf. Bei Flüssigboden mit dem Basisbestandteil aus Sand-Kies-Gemischen hingegen haben wir innerhalb einer Wachstumsperiode keinen Wurzeleinwuchs beobachtet.

„Wir müssen die langfristige Wirksamkeit von passiven Schutzmaßnahmen im Blick haben“, betont Mirko Salomon. | Foto: IKT
„Wir müssen die langfristige Wirksamkeit von passiven Schutzmaßnahmen im Blick haben“, betont Mirko Salomon. | Foto: IKT

B_I umweltbau: Wie wurzelsicher erweisen sich Folien und Platten?

Dr. Salomon: Hierzu müssen wir weitere Tests abwarten, die Ergebnisse haben wir noch nicht veröffentlicht.

„Bei der Konkurrenz von Baum und Leitung ist ein Umdenken erforderlich.“

B_I umweltbau: Was bedeuten die Ergebnisse Ihrer Doktorarbeit für die Praxis? Welche Handlungsoptionen ergeben sich aus den Erkenntnissen für den Netzbestand?

Dr. Salomon: Die Herausforderung ist ja, dass in Städten immer mehr Grün und Bäume gepflanzt werden sollen. Das ist gut für die Menschen und das Klima – gleichzeitig müssen sich Netzbetreiber umso mehr Gedanken um die Verlegung bzw. den Schutz von Leitungen machen. Meine Arbeit kann Netzbetreibern verdeutlichen, wie man Leitungen am besten gegen Wurzeleinwuchs technisch schützen kann. Durch den Einbau von Flüssigboden zum Beispiel hat man eine relativ hohe Sicherheit im Bettungsbereich. Dort, wo Wurzeln wachsen sollen, bietet sich – wenn möglich – der Einsatz von porenreichen Böden, zum Beispiel Baumsubstrate, an.

Selbstverständlich ist eine räumliche Trennung in Städten oft nicht möglich. Ich denke, bei der Konkurrenz von Baum und Leitung ist ein Umdenken erforderlich. Natürlich möchte keiner einen Baum fällen, um an eine beschädigte Leitung heranzukommen, aber vielleicht muss man ein solches Szenario angesichts der immer größer werdenden Konkurrenz notfalls akzeptieren.

B_I umweltbau: Es sollen also Bäume für Leitungen gefällt werden?

Dr. Salomon: Ich gebe mal ein Beispiel: In einer Straße sollen zehn neue Bäume in der Nähe einer bestehenden Leitung gepflanzt werden. Heutzutage ist es dann oftmals ein Problem, dass entweder die Leitungen verlegt werden müssen oder die Bäume gar nicht erst gepflanzt werden dürfen. Mit Blick auf die Klimaanpassung kann es dann doch durchaus Sinn machen, dass sich Grün und Grau vertraglich darauf einigen, dass zehn Bäume nah an der Leitung gepflanzt werden können. Wenn es aber nach ein paar Jahren an einem Baum dann zu einem Schaden an der Leitung kommt, dann muss der Baum notfalls auch gefällt werden dürfen. Es sind dann aber immer noch neun neue Bäume da, die ansonsten nicht gepflanzt worden wären. Derartige stadtplanerische Überlegungen und die dazugehörige Kommunikation mit den Bürgern bedürfen natürlich Mut, zumal der politische und gesellschaftliche Druck bei städtischen Begrünungen groß ist. Es darf aber deswegen kein Tabuthema sein. Zusammen gestalten, die Bürger mitnehmen und ihnen die Bedeutung der Infrastruktur und der Bäume im Einklang vor Augen führen – das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

B_I umweltbau: Wo würden Sie noch weiteren Forschungsbedarf sehen und wie wird das IKT weiter mit diesem Thema umgehen?

Dr. Salomon: Wir müssen die langfristige Wirksamkeit von bautechnischen Schutzmaßnahmen vor Wurzel-Rohr-Interaktionen im Blick haben. Derzeit laufen mehrere Versuche mit dem IKT, wie zum Beispiel im niederländischen Almere, wo seit 2019 bis voraussichtlich nächstes Jahr die Wirksamkeit der dort eingebauten Systeme untersucht wird, oder der ebenfalls über mehrere Jahre dauernde Flüssigboden-Feldversuch in Osnabrück. Aus den über Jahre gewonnenen Erkenntnissen müssen Grenzwerte und Parameter ermittelt werden, inwieweit bei welchen Schutzmaßnahmen Wurzeleinwuchs möglich ist.

Zudem haben wir Folgevorhaben zu den Fernwärmeleitungen, wo weitere Messungen durchgeführt werden, etwa zu dem Einfluss von Abwärme auf die Periodizität der Bäume.

In einem Neubaugebiet in Almere nahe Amsterdam wurden in einem Feldversuch entlang zweier Leitungen zehn Bäume gepflanzt, deren Wurzeln unter Beobachtung stehen. An zwei Stellen wurden Glasscheiben eingebaut, sodass man den Wurzeln tatsächlich beim Wachsen zusehen kann. | Foto: IKT
In einem Neubaugebiet in Almere nahe Amsterdam wurden in einem Feldversuch entlang zweier Leitungen zehn Bäume gepflanzt, deren Wurzeln unter Beobachtung stehen. An zwei Stellen wurden Glasscheiben eingebaut, sodass man den Wurzeln tatsächlich beim Wachsen zusehen kann. | Foto: IKT

Ein weiteres spannendes Feld ist die Frage, mit welchen Verfahren man Abwasserleitungen am besten langfristig sanieren kann, in denen Wurzeleinwuchs festgestellt wurde. Hierzu gibt es bislang keine umfassenden Forschungsversuche. Auch dem möchten wir am IKT nachgehen.

Man sieht also: Es gibt zwar bereits gute und nützliche Erkenntnisse, aber langfristige Versuche sind unabdingbar, gerade in einer Zeit, in der die Konkurrenz zwischen Pflanzen und erdverlegten Leitungen immer größer wird. Denn nur so können dauerhaft und nachhaltig grüne und graue Infrastruktur im Einklang stehen.

B_I umweltbau: Vielen Dank, Herr Dr. Salomon, für das aufschlussreiche Gespräch!

Das Interview führte Boris Valdix.

Mirko Salomon...

....ist studierter Bauingenieur und hat an der Ruhr-Universität Bochum seinen Bachelor- Abschluss im Studiengang „Umwelttechnik und Ressourcenmanagement“ und seinen Master-Abschluss im Studiengang Bauingenieurwesen gemacht. Seit 2009 arbeitet er im IKT, hat seit 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter verschiedene Forschungsprojekte geleitet und drei davon im Bereich Wurzeleinwuchs für seine Dissertation genutzt. Mitte Oktober 2022 hat Salomon bei Prof. Markus Thewes am Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb der Ruhr-Universität Bochum seine Promotion abgeschlossen; die Dissertation können Interessierte hier nachlesen.

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Am 6.Juni 2023 führt das IKT ein Seminar zum Thema Wurzeleinwuchs mit dem Titel „Abwasserkanäle und -leitungen: Schützen vor und sanieren bei Wurzeleinwuchs“ durch (Näheres auf der Website des IKT).

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