Kanalinstandhaltung in Zeiten begrenzter Ressourcen

Beim diesjährigen Lindauer Seminar stellten 28 Referenten aus Wissenschaft und Praxis Ergebnisse ihrer Arbeit vor und diskutierten unter der Leitung von Prof. Max Dohmann, Prof. Wolfgang Günthert, Prof. Karsten Kerres und Prof. Karsten Körkemeyer mit den über 600 Teilnehmern über Herausforderungen und Lösungsansätze rund um die Instandhaltung unserer Abwasserinfrastruktur.

36. Lindauer Seminar: Kanalinstandhaltung in Zeiten begrenzter Ressourcen
Über 600 Teilnehmer kamen zum diesjährigen Lindauer Seminar in die Inselhalle. | Foto: Christian Flemming
Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch die Oberbürgermeisterin der Stadt Lindau Dr. Claudia Alfons wurden Herausforderungen und Perspektiven der Wasserwirtschaft dargelegt. Dr. Michael Sachweh, WetterService Dr. Sachweh, führte in seinem Vortrag aus, dass der menschengemachte Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten wohl zu einem Temperaturanstieg von etwa 4 °C führen wird. Eine Minderung der CO2-Emmissionen sei nur bei weltweitem Schulterschluss möglich; ob der erzielt wird, sei derzeit jedoch sehr fraglich. Konsequenz für die Siedlungswasserwirtschaft sei, dass das Niederschlagsregime sich hierzulande hin zu subtropischen Verhältnissen entwickeln werde. Verstärkend komme hinzu, dass starkregenträchtige Tiefdruckgebiete aufgrund des nachlassenden Jetstreams zukünftig längere Zeit an einem Ort verharrten. Die wasserwirtschaftliche Planung müsse diese Herausforderung noch stärker annehmen als bislang, schlussfolgerte Sachweh.

Prof. Max Dohmann, Aachen, stellte im Folgenden die Bedeutung der Siedlungsentwässerung beim Bemühen um eine Klimaneutralität dar. Anlass seines Vortrages war der veröffentlichte Entwurf der überarbeiteten EU-Kommunalabwasserrichtlinie, in dem u.a. gefordert wird, dass die Abwasserentsorgung bis 2040 klimaneutral wird. In Deutschland stehe dabei zwar bislang im Wesentlichen die Abwasserbehandlung im Fokus, internationale Untersuchungen zeigten aber, dass die Abwasserableitung mit etwa 30 - 40 % Anteil an den Treibhausgasemissionen der Abwasserentsorgung von hoher Relevanz sei. Lösungsansätze, so Prof. Dohmann, lägen beispielsweise in der Umsetzung von Schwammstadtmaßnahmen, Minimierung der Fließzeiten des Abwassers oder Wahl ressourcenschonender Bau- bzw. Sanierungsverfahren.

Der erste Vortragsblock schloss mit dem Beitrag von Dr. Christian Falk, Technischer Betriebsleiter der Stadtentwässerung Dortmund. Infrastrukturerhalt in Zeiten knapper Kassen und fehlender Fachkräfte könne nur gelingen, wenn Betreiber und Verwaltung bei Planung und Genehmigung in der Lage seien, selbst auferlegte Ketten zu sprengen. Technische und organisatorische Lösungsansätze bestünden beispielsweise in Projektträgerschaften oder einer optimierten werterhaltenden und damit ressourcenminimierten Instandhaltung der Netze mit dem Ziel des nachhaltigen Substanzerhalts. Darüber hinaus müsse durch Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen die gesellschaftliche Wahrnehmung der Bedeutung der Wasserinfrastruktur für das Gemeinwohl gestärkt werden.

Dr. Michael Sachweh | Foto: JT-elektronik
Dr. Michael Sachweh | Foto: JT-elektronik

Kommunale und private Aufgaben in der Siedlungsentwässerung

Kajetan Steiner, Magistrat der Stadt Salzburg diskutierte die Möglichkeiten zur Reduzierung der Wassermengen in der Kanalisation bei Starkregen. Er stellte zunächst die topografische Trichterlage der Stadt Salzburg dar, was dazu führe, dass Starkregenereignisse sich im besonderen Maße auswirkten. Verstärkend sei bei Untersuchungen festgestellt worden, dass private Retentionsbecken oftmals manipuliert seien und damit ihrer Aufgabe nicht mehr nachkämen. Vor diesem Hintergrund würden solche Anlagen in der Regel nicht mehr bewilligt. Die Lösung liege vielmehr in der konsequenten Förderung von Gründächern, die dazu führe, dass etwa 40 - 50 % der Neubauten in Salzburg eine Dachbegrünung aufwiesen.

Zum Abschluss des Vortragsblocks stellte Prof. Theo G. Schmitt, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau die aus der Arbeits- und Merkblattreihe DWA-A/M 102 ausgehenden Impulse für ein zukunftsfähiges Regenwassermanagement vor. Zielgröße des Regenwassermanagements sei u.a. ein „lokaler Wasserhaushalt“, der sicherstelle, dass die Wasserbilanzgrößen Direktabfluss, Grundwasserneubildung und Verdunstung im bebauten Zustand denen des unbebauten Referenzzustandes im langjährigen Mittel so weit wie möglich angenähert werden sollen und so eine wasserbewusste Siedlungsentwicklung möglich werde.

Werkzeuge und Digitalisierung – Möglichkeiten und Grenzen

Die Erfahrungen mit KI bei der Zustandserfassung aus der Sicht eines Dienstleisters stellte Matthias Ivancic, Mökah-Gruppe (Schweiz) im Zuge einer kritischen Betrachtung vor. Er stellte fest, dass die in der Schweiz in aller Regel bereits geforderte Nutzung von KI oftmals zwar teurer als die manuelle Sichtung der Filme sei, insgesamt aber hohe Qualität erzeuge. Bedeutend sei, dass bei cloudbasierten Lösungen der Workflow massiv und in der Regel für mehrere Wochen unterbrochen würde. Zu bevorzugen seien daher Konzepte, bei denen die KI als Entscheidungsunterstützungsinstrument bereits lokal auf dem Fahrzeug greife.

Auch bei der Sanierungsplanung werde – nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels – auf KI gesetzt, so Dr. Martin Wolf, Aquadocs Ing.-Ges. mbH, München. Er stellte die Möglichkeiten und Grenzen einer algorithmengestützten Kanalsanierungsplanung vor und legte dar, dass die Ergebnisse zwar nicht als Ausführungsplanung missverstanden werden dürften, jedoch schnell ein flächendeckender Überblick über Sanierungsverfahren und -kosten möglich sei. Insbesondere könne so auch geprüft werden, ob vorgesehene Sanierungen im Netz im richtigen Verhältnis zu dessen Wiederbeschaffungswert läge und damit ein Substanzerhalt des Netzes möglich sei.

Neue Entwicklungen im Kanalmanagement

Den letzten Vortragsblock des ersten Veranstaltungstages eröffnete Dr. Robert Stein, Stein Infrastructure Management, Bochum, mit seinem Vortrag „Strategische Inspektionsplanung zur Minimierung der Kosten und Maximierung der Risikoerkennung und -vorsorge am Beispiel der Stadt Remscheid“. Das von ihm vorgestellte Konzept basiert auf einer haltungsspezifischen Alterungsprognose und der gezielten Inspektion von Objekten mit hoher Schadenswahrscheinlichkeit. Umgekehrt, so legte Dr Stein anhand verschiedener Szenarien eindrucksvoll dar, könne die Inspektion von Haltungen ohne zu erwartenden Befund zurückgestellt und so verfügbare Ressourcen im erheblichen Maße geschont werden.

Klaus Jilg von Unitechnics stellte anschließend den Stand der Technik zur Zustandserfassung von Abwasseranlagen mittels fliegender Drohnen dar. Der Einsatzbereich der Drohnen sei aufgrund technischer Restriktionen bislang noch in großen Nennweiten ab DN 800 zu sehen, die maximale Befliegungsstrecke liege bei etwa 50 - 60 m. Insbesondere bei Sonderbauwerken sei die Befliegung in Ergänzung mit anderen Inspektionsverfahren ideal, um unzugängliche Bereiche zu sichten.

Einen Ansatz zur bedarfsorientierte Eigenüberwachung legte Marco Deubler, ISAS GmbH, dar. Er leitete auf Basis umfangreicher Zustandsdaten aus bis zu drei Inspektionszyklen die grundsätzliche Empfehlung eines Inspektionsintervalls von ca. 15 Jahren ab. Allerdings sollten seiner Ansicht nach bei der Festlegung der Inspektionsintervalle vielmehr als bislang in Anlehnung an DWA-M 149-7 Risikoaspekte, wie bspw. Abwasserart und Gefährdungspotenzial für Grundwasser berücksichtigt werden. Dies würde einerseits zu einem sichereren und andererseits zu einem wirtschaftlicheren Kanalbetrieb führen, so Deubler.

Kanalbetrieb

Der zweite Veranstaltungstag wurde mit Vorträgen zu betrieblichen Aspekten der Kanalinstandhaltung eröffnet. Michael Hartmann, SAL Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen, befasste sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zur Optimierung des Kanalbetriebs. In seinem Vortrag „Bedarfsorientierte Straßenablaufreinigung - eine einfache Lösung“ stellte er dar, dass durch die digitale Dokumentation der Straßenablaufreinigung hinsichtlich Füllgrad und unter Berücksichtigung Überflutungswahrscheinlichkeiten und laubintensiver Bereiche Schwerpunktgebiete identifizierbar würden. Die von dem SAL festgelegten Reinigungsintervalle passten sich diesen Erkenntnissen nun zunehmend an. Ergebnisse seien unter anderem, dass Aufnahme, Kontrolle und Übernahme der Daten effizienter erfolgten und, dass das Budget dort eingesetzt werden könne, wo es benötigt werde.

Etwa 90 Aussteller präsentierten ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen in den großzügigen Foyer-Räumen der Lindauer Inselhalle. | Foto: JT-elektronik
Etwa 90 Aussteller präsentierten ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen in den großzügigen Foyer-Räumen der Lindauer Inselhalle. | Foto: JT-elektronik

Steffen Benning und Prof. Karsten Kerres, ISCE der FH Aachen, stellten das Konzept der Eigenwasserspülung in der Kanalisation der Stadt Frankfurt a.M. vor. Untersuchungen des ISCE hätten ergeben, dass die Reinigungswirkung der Eigenwasserspülung optisch belegbar sei und die Methodik zur Präventivreinigung geeignet sei. Als Konsequenz für andere Netzbetreiber könne abgeleitet werden, dass eine (automatisierte) Schwallspülung als ressourcenschonende und nachhaltige und weitgehend CO2-neutrale Alternative zur HD-Reinigung geprüft werden sollten.

Katharina Steinmayr, DHI Österreich GmbH, stellte abschließend das Online-Entscheidungshilfesystem „Future City Flow“ zur Vorhersage und Steuerung der Siedlungsentwässerung am Beispiel der Stadt Göteborg vor. Da die Digitalisierung in Skandinavien weit fortgeschritten sei, sei die Verfügbarkeit aller notwendigen Daten ausreichend für den Aufbau eines digitalen hydraulischen Zwillings des Netzes gewesen. Das Netzverständnis sei durch das Monitoring und dem Abgleich von Simulation und Messergebnissen erheblich gefördert worden. Im Aufbau sei nun eine Echtzeit-Steuerung des Netzes mit dem Ziel, die Kläranlage einer im Regenwetterfall erwarteten hydraulischen und stofflichen Belastung optimal betreiben zu können.

Ausschreibung und Vergabe

Leistungswettbewerb oder Preiswettbewerb bei der Vergabe von Planungsleistungen? Diese Frage diskutierte Markus Vogel, Markus Vogel – Beratung, im Anschluss. Grundlegende Herausforderung sei, dass Planungen eine geistig-schöpferische Aufgabe darstellten. Insbesondere Kanalsanierung benötige besonders fachkundiges, erfahrenes und zuverlässiges Personal, da signifikante Ausführungsrisiken beim Bauen im Bestand und besonders bei Einsatz grabenloser Bauverfahren bestünden. Vogel schlussfolgerte, dass Vergabe „nur“ nach Preiskriterium nahezu zwangsläufig zu suboptimalen Leistungen führe. Da das Vergaberecht die Festlegung sachgerechter Beurteilungsmaßstäbe zur Leistungsbeurteilung ermögliche, forderte er Netzbetreiber abschließend auf, durch kreative Vergabeverfahren Professionalität, Kontinuität und Zuverlässigkeit in der Kanalinstandhaltung zu sichern.

Mario Heinlein, Stadtentwässerung und Kanalinstandhaltung Umweltanalytik Nürnberg, stellte im abschließenden Vortrag der Veranstaltung dar, dass oftmals Ausschreibung, Auftrag und Bauausführung bei der Kanalinstandhaltung nicht konform seien. Auf der Baustelle werde oft nicht das umgesetzt, was ausgeschrieben und angeboten wurde. Folge sei ein verzerrter Wettbewerb und schlussendlich die Nichtvergleichbarkeit von Angeboten trotz eindeutiger Ausschreibung. Die Lösung des Problems bestehe in einer umfassenden und konsequenten Bauüberwachung an der folglich und im eigenen Interesse des Bauherren nicht gespart werden dürfe.

Zusammenfassend wurden also auch bei dem diesjährigen Lindauer Seminar alle Facetten einer zukunftsfähigen Siedlungsentwässerung aus Sicht der Gesetzgebung, der Betreiber, der Planer und der Anwender vorgestellt und von den Teilnehmern angeregt diskutiert. Das 37. Lindauer Seminar 2025 „Praktische Kanalisationstechnik - Zukunftsfähige Entwässerungssysteme“ findet am 13. und 14. März 2025 in Lindau statt. Die Details finden Sie unter www.jt-elektronik.de.

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V.l.n.r.: Ulrich Jöckel, Dr. Christian Falk, Daniel Wittmann, Cornelia Jöckel-Tschada, Prof. Karsten Kerres, OB Dr. Claudia Alfons, Univ.-Prof. Max Dohmann, Dr. Juliane Thimet, Univ.-Prof. Karsten Körkemeyer, Dr. Michael Sachweh, Tobias Jöckel, Univ.-Prof. Wolfgang Günthert, Sonja Jöckel | Foto: Christian Flemming
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