Kanalinstandhaltung in Zeiten begrenzter Ressourcen
Beim diesjährigen Lindauer Seminar stellten 28 Referenten aus Wissenschaft und Praxis Ergebnisse ihrer Arbeit vor und diskutierten unter der Leitung von Prof. Max Dohmann, Prof. Wolfgang Günthert, Prof. Karsten Kerres und Prof. Karsten Körkemeyer mit den über 600 Teilnehmern über Herausforderungen und Lösungsansätze rund um die Instandhaltung unserer Abwasserinfrastruktur.
Regenwassermanagement auf Bahnhöfen macht Stationen fit für die Zukunft
Hauraton hat spezialisierte Lösungen, die bei der Neugestaltung von Bahnhöfen für ganzheitlichen Regenwassermanagement eingesetzt werden.
Prof. Max Dohmann, Aachen, stellte im Folgenden die Bedeutung der Siedlungsentwässerung beim Bemühen um eine Klimaneutralität dar. Anlass seines Vortrages war der veröffentlichte Entwurf der überarbeiteten EU-Kommunalabwasserrichtlinie, in dem u.a. gefordert wird, dass die Abwasserentsorgung bis 2040 klimaneutral wird. In Deutschland stehe dabei zwar bislang im Wesentlichen die Abwasserbehandlung im Fokus, internationale Untersuchungen zeigten aber, dass die Abwasserableitung mit etwa 30 - 40 % Anteil an den Treibhausgasemissionen der Abwasserentsorgung von hoher Relevanz sei. Lösungsansätze, so Prof. Dohmann, lägen beispielsweise in der Umsetzung von Schwammstadtmaßnahmen, Minimierung der Fließzeiten des Abwassers oder Wahl ressourcenschonender Bau- bzw. Sanierungsverfahren.
Der erste Vortragsblock schloss mit dem Beitrag von Dr. Christian Falk, Technischer Betriebsleiter der Stadtentwässerung Dortmund. Infrastrukturerhalt in Zeiten knapper Kassen und fehlender Fachkräfte könne nur gelingen, wenn Betreiber und Verwaltung bei Planung und Genehmigung in der Lage seien, selbst auferlegte Ketten zu sprengen. Technische und organisatorische Lösungsansätze bestünden beispielsweise in Projektträgerschaften oder einer optimierten werterhaltenden und damit ressourcenminimierten Instandhaltung der Netze mit dem Ziel des nachhaltigen Substanzerhalts. Darüber hinaus müsse durch Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen die gesellschaftliche Wahrnehmung der Bedeutung der Wasserinfrastruktur für das Gemeinwohl gestärkt werden.
Kommunale und private Aufgaben in der Siedlungsentwässerung
Zum Abschluss des Vortragsblocks stellte Prof. Theo G. Schmitt, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau die aus der Arbeits- und Merkblattreihe DWA-A/M 102 ausgehenden Impulse für ein zukunftsfähiges Regenwassermanagement vor. Zielgröße des Regenwassermanagements sei u.a. ein „lokaler Wasserhaushalt“, der sicherstelle, dass die Wasserbilanzgrößen Direktabfluss, Grundwasserneubildung und Verdunstung im bebauten Zustand denen des unbebauten Referenzzustandes im langjährigen Mittel so weit wie möglich angenähert werden sollen und so eine wasserbewusste Siedlungsentwicklung möglich werde.
Werkzeuge und Digitalisierung – Möglichkeiten und Grenzen
Die Erfahrungen mit KI bei der Zustandserfassung aus der Sicht eines Dienstleisters stellte Matthias Ivancic, Mökah-Gruppe (Schweiz) im Zuge einer kritischen Betrachtung vor. Er stellte fest, dass die in der Schweiz in aller Regel bereits geforderte Nutzung von KI oftmals zwar teurer als die manuelle Sichtung der Filme sei, insgesamt aber hohe Qualität erzeuge. Bedeutend sei, dass bei cloudbasierten Lösungen der Workflow massiv und in der Regel für mehrere Wochen unterbrochen würde. Zu bevorzugen seien daher Konzepte, bei denen die KI als Entscheidungsunterstützungsinstrument bereits lokal auf dem Fahrzeug greife.
Auch bei der Sanierungsplanung werde – nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels – auf KI gesetzt, so Dr. Martin Wolf, Aquadocs Ing.-Ges. mbH, München. Er stellte die Möglichkeiten und Grenzen einer algorithmengestützten Kanalsanierungsplanung vor und legte dar, dass die Ergebnisse zwar nicht als Ausführungsplanung missverstanden werden dürften, jedoch schnell ein flächendeckender Überblick über Sanierungsverfahren und -kosten möglich sei. Insbesondere könne so auch geprüft werden, ob vorgesehene Sanierungen im Netz im richtigen Verhältnis zu dessen Wiederbeschaffungswert läge und damit ein Substanzerhalt des Netzes möglich sei.
Neue Entwicklungen im Kanalmanagement
Klaus Jilg von Unitechnics stellte anschließend den Stand der Technik zur Zustandserfassung von Abwasseranlagen mittels fliegender Drohnen dar. Der Einsatzbereich der Drohnen sei aufgrund technischer Restriktionen bislang noch in großen Nennweiten ab DN 800 zu sehen, die maximale Befliegungsstrecke liege bei etwa 50 - 60 m. Insbesondere bei Sonderbauwerken sei die Befliegung in Ergänzung mit anderen Inspektionsverfahren ideal, um unzugängliche Bereiche zu sichten.
Einen Ansatz zur bedarfsorientierte Eigenüberwachung legte Marco Deubler, ISAS GmbH, dar. Er leitete auf Basis umfangreicher Zustandsdaten aus bis zu drei Inspektionszyklen die grundsätzliche Empfehlung eines Inspektionsintervalls von ca. 15 Jahren ab. Allerdings sollten seiner Ansicht nach bei der Festlegung der Inspektionsintervalle vielmehr als bislang in Anlehnung an DWA-M 149-7 Risikoaspekte, wie bspw. Abwasserart und Gefährdungspotenzial für Grundwasser berücksichtigt werden. Dies würde einerseits zu einem sichereren und andererseits zu einem wirtschaftlicheren Kanalbetrieb führen, so Deubler.
Kanalbetrieb
Der zweite Veranstaltungstag wurde mit Vorträgen zu betrieblichen Aspekten der Kanalinstandhaltung eröffnet. Michael Hartmann, SAL Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen, befasste sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zur Optimierung des Kanalbetriebs. In seinem Vortrag „Bedarfsorientierte Straßenablaufreinigung - eine einfache Lösung“ stellte er dar, dass durch die digitale Dokumentation der Straßenablaufreinigung hinsichtlich Füllgrad und unter Berücksichtigung Überflutungswahrscheinlichkeiten und laubintensiver Bereiche Schwerpunktgebiete identifizierbar würden. Die von dem SAL festgelegten Reinigungsintervalle passten sich diesen Erkenntnissen nun zunehmend an. Ergebnisse seien unter anderem, dass Aufnahme, Kontrolle und Übernahme der Daten effizienter erfolgten und, dass das Budget dort eingesetzt werden könne, wo es benötigt werde.
Steffen Benning und Prof. Karsten Kerres, ISCE der FH Aachen, stellten das Konzept der Eigenwasserspülung in der Kanalisation der Stadt Frankfurt a.M. vor. Untersuchungen des ISCE hätten ergeben, dass die Reinigungswirkung der Eigenwasserspülung optisch belegbar sei und die Methodik zur Präventivreinigung geeignet sei. Als Konsequenz für andere Netzbetreiber könne abgeleitet werden, dass eine (automatisierte) Schwallspülung als ressourcenschonende und nachhaltige und weitgehend CO2-neutrale Alternative zur HD-Reinigung geprüft werden sollten.
Katharina Steinmayr, DHI Österreich GmbH, stellte abschließend das Online-Entscheidungshilfesystem „Future City Flow“ zur Vorhersage und Steuerung der Siedlungsentwässerung am Beispiel der Stadt Göteborg vor. Da die Digitalisierung in Skandinavien weit fortgeschritten sei, sei die Verfügbarkeit aller notwendigen Daten ausreichend für den Aufbau eines digitalen hydraulischen Zwillings des Netzes gewesen. Das Netzverständnis sei durch das Monitoring und dem Abgleich von Simulation und Messergebnissen erheblich gefördert worden. Im Aufbau sei nun eine Echtzeit-Steuerung des Netzes mit dem Ziel, die Kläranlage einer im Regenwetterfall erwarteten hydraulischen und stofflichen Belastung optimal betreiben zu können.
Ausschreibung und Vergabe
Leistungswettbewerb oder Preiswettbewerb bei der Vergabe von Planungsleistungen? Diese Frage diskutierte Markus Vogel, Markus Vogel – Beratung, im Anschluss. Grundlegende Herausforderung sei, dass Planungen eine geistig-schöpferische Aufgabe darstellten. Insbesondere Kanalsanierung benötige besonders fachkundiges, erfahrenes und zuverlässiges Personal, da signifikante Ausführungsrisiken beim Bauen im Bestand und besonders bei Einsatz grabenloser Bauverfahren bestünden. Vogel schlussfolgerte, dass Vergabe „nur“ nach Preiskriterium nahezu zwangsläufig zu suboptimalen Leistungen führe. Da das Vergaberecht die Festlegung sachgerechter Beurteilungsmaßstäbe zur Leistungsbeurteilung ermögliche, forderte er Netzbetreiber abschließend auf, durch kreative Vergabeverfahren Professionalität, Kontinuität und Zuverlässigkeit in der Kanalinstandhaltung zu sichern.
Mario Heinlein, Stadtentwässerung und Kanalinstandhaltung Umweltanalytik Nürnberg, stellte im abschließenden Vortrag der Veranstaltung dar, dass oftmals Ausschreibung, Auftrag und Bauausführung bei der Kanalinstandhaltung nicht konform seien. Auf der Baustelle werde oft nicht das umgesetzt, was ausgeschrieben und angeboten wurde. Folge sei ein verzerrter Wettbewerb und schlussendlich die Nichtvergleichbarkeit von Angeboten trotz eindeutiger Ausschreibung. Die Lösung des Problems bestehe in einer umfassenden und konsequenten Bauüberwachung an der folglich und im eigenen Interesse des Bauherren nicht gespart werden dürfe.
Zusammenfassend wurden also auch bei dem diesjährigen Lindauer Seminar alle Facetten einer zukunftsfähigen Siedlungsentwässerung aus Sicht der Gesetzgebung, der Betreiber, der Planer und der Anwender vorgestellt und von den Teilnehmern angeregt diskutiert. Das 37. Lindauer Seminar 2025 „Praktische Kanalisationstechnik - Zukunftsfähige Entwässerungssysteme“ findet am 13. und 14. März 2025 in Lindau statt. Die Details finden Sie unter www.jt-elektronik.de.
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