Krisenmodus erfordert massive Veränderungen
Der Klimawandel und der Fachkräftemangel sind zwei von mehreren großen Herausforderungen dieser Zeit. Demgemäß fanden Entwicklungen und Lösungsansätze hierzu beim 35. Lindauer Seminar am 14. und 15. März 2023 eine breite Bühne. Bei all den Krisen, die es zu meistern gilt, bietet die unaufhaltsame Digitalisierung und insbesondere die künstliche Intelligenz auch in der Wasserwirtschaft enorme Chancen. Hier gibt es neue interessante Forschungsprojekte.
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Wie gewohnt begann das Seminar mit einem Aufgalopp zu aktuellen Herausforderungen in der Wasserwirtschaft. Betriebsmittelknappheit, Energiekrise, Fachkräftemangel, Klimawandel – „Wir befinden uns in einem Krisenmodus“, konstatierte Prof. Dr.-Ing. Max Dohmann. Umso wichtiger sei ein allgemeines Bewusstsein für die große Bedeutung der Ressource Wasser. Daher sprach er sich für einen Sonderbeauftragten bei Bund und Ländern für das Thema Wasser aus. Für manche Probleme wie zum Beispiel den Fällmittel-Engpass müsse die Politik schneller Lösungen finden.
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So sah es auch Prof. Dr. Uli Paetzel. „Wir reagieren in Deutschland oft sehr abwartend“, bemängelte der DWA-Präsident. Dabei müsse und werde sich unser Verhältnis zum Wasser grundlegend ändern; zumal Wasser zunehmend zum Querschnittsthema werde. Leider gebe es keine wirksamen Ansätze, um Wasser zu sparen. Zudem hätten wir lange zu wenig in die Infrastruktur investiert. Zur Finanzierung der Klimafolgenanpassungen schlägt Prof. Paetzel gebührenfähige Konzepte vor, um den Kommunalhaushalt nicht zu sehr zu belasten.

Kostendeckende Beitrags- und Gebührenerhebung sieht auch Dr. Andreas Rimböck vom Bayerischen Landesamt für Umwelt als geeignete Handlungsoption. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Instandhaltung von Kanalnetzen ist aus seiner Sicht zu gering, ebenso mangelt es an der Kenntnis des Kanalzustandes. „25 Prozent der Netzbetreiber haben kein Kanalkataster“, so Rimböck, „das muss sich ändern.“ Daneben verwies er auf die Bedeutung von Generalentwässerungsplänen und Schwammstadt-Maßnahmen.

Für Dr.-Ing. Christian Falk von der Stadtentwässerung Dortmund gilt es, in der Siedlungsentwässerung Systeme mit Augenmaß zu verändern und zu ertüchtigen. Hierfür müsse man politische Gremien als Entscheidungsträger gewinnen und sämtliche Stakeholder mitnehmen. Insgesamt sei es ein mühevoller Weg hin zur Klimaresilienz, den wir in den nächsten Jahren und Dekaden beschreiten müssen. In Dortmund setze man etwa auf die (stärkere) Berücksichtigung kommunaler Flächen bei der Stadtplanung für wasserwirtschaftliche Belange, den Ausbau der Bürgerberatung sowie ein wirksames neustrukturiertes Krisenmanagement.
Sinkende Preise = sinkende Qualität?
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„Es waren noch nie so viele Ausschreibungen auf dem Markt wie derzeit“, stellte Dipl.-Geogr. Gerhard Renz, ISAS GmbH, fest. Doch Kapazitäten könnten Unternehmen nicht ausbauen, weil es schlichtweg an Personal fehle. Und: Die Submissionspreise seien ca. 20 Prozent niedriger als noch im Herbst 2022. „Die Kanalsanierungsbranche gibt sich alle Mühe, am Ast zu sägen, auf dem sie sitzt“, so Renz. Zu niedrige Preise seien Gift für die Kanalsanierung. Sie führten dazu, dass keine neuen Geräte angeschafft werden können und zu unzufriedenem bzw. fehlendem Personal und hätten letztlich Auswirkungen auf die Qualität.
Die Rolle der Daten
„Digitalisierung passiert. Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert. Dabei ist Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern dient der Einsparung von Ressourcen“, weiß Dr. Paul Wermter, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität in Rheinland-Pfalz, der insbesondere auf die Digitalisierung der Verwaltung einging. Nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsleistungen über Portale auch digital anbieten. So können beispielsweise Entwässerungsanträge in digitaler Form eingereicht und beschieden werden. Die Vorteile laut Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der TU Kaiserslautern sind: dauerhafte Verfügbarkeit der Daten, stets aktuelle Datenbasis, keine Redundanzen, kein Papier. Herausforderungen seien, so Körkemeyer, die IT-Sicherheit, das Fitmachen wirklich aller Mitarbeiter für die Digitalisierung und das Entwickeln von Übergangsstrategien von der analogen über die teildigitalisierte in die digitalisierte Wasserwirtschaft.

Die Vorteile der Digitalisierung von Arbeitsprozessen machte Stefan Schmidbauer von der Firma Tandler deutlich. Mit zuverlässigen (GIS-)Daten sei etwa eine bedarfsgerechte Straßenablaufreinigung oder Rattenbekämpfung möglich, zeigte Schmidbauer exemplarisch auf. Vereinfacht und klarer würden die Dokumentation und Nutzung der Daten.
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Dass sich verlässliche Daten auf eine optimierte Bauplanung und -ausführung auswirken, unterstrichen Guiseppe Carmona, JT-elektronik, in seinem Vortrag, der sich mit der Lageverlaufsmessung mittels Ortungs- und Erfassungssystems ASYS 3D beschäftigte, sowie Ivo Straub und Fabian Eck, Firma Scandric, die die Entwicklung einer 3D-Punktewolke durch die Nutzung von Laserscannern beschrieben.
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Forschung zu KI
Im Bereich künstliche Intelligenz (KI) tut sich immer etwas. Konsequenterweise widmete der Veranstalter JT-elektronik diesem Thema auch einen ganzen Vortragsblock. Tomas Cerniauskas vom August-Wilhelm Scheer Institut (Saarbrücken) stellte das Forschungsvorhaben KIKI vor. Eine automatisierte Auswertung der TV-Bilddaten wird mit einer KI-basierten Schadenserkennung kombiniert. Zur präziseren Vorhersage der zu erwartenden Schäden kommt ein KI-gestütztes Degradationsmodell zum Einsatz. Basierend auf diesen Daten wird ein digitaler Zwilling des Kanalnetzes erstellt. Die Verantwortlichen können so effizient auf Zustands- und Prognosedaten zugreifen und letztlich auf dieser Grundlage eine Instandhaltungsstrategie ableiten.
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Zwei Formen Daten-getriebener Modelle, die zentrale ingenieurliche Tätigkeiten im Rahmen des Kanalmanagements erleichtern sollen, beleuchtete M.Sc. Marco Deubler, ISAS GmbH, in seinem Vortrag. Zunächst werden für das Konzept der Zustandskodierung und -quantifizierung mithilfe der KI-Bilderkennung aus Sicht des erfahrenen Fachbüros ISAS drei essenzielle Anforderungen an die Praxistauglichkeit formuliert: eine weder zu sensitive noch zu grobe Schadenserkennung, ein wesentlicher Preisvorteil gegenüber der klassischen manuellen Kodierung sowie eindeutig geklärte Belange des Datenschutzes und der Haftung für durch die KI „übersehene“ Schäden.

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Fachkräftemangel und Ausbildung: Strukturen neu denken
Für Prof. Karsten Körkemeyer ist das Ausschöpfen moderner Technologien wie KI gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels unabdingbar, insbesondere wenn es um Routinearbeiten geht. Dr. Andreas Rimböck warnt: „Bis 2030 fehlen eine Million Fachkräfte im öffentlichen Dienst.“ Und weil dennoch vielfältige Aufgaben zu erfüllen sind, sieht er – wie andere Referenten auch – die interkommunale Zusammenarbeit als mögliches erfolgreiches Modell. Einigkeit bestand auch darin, dass wir offen sein müssen für Veränderungen. „Wir brauchen Kooperationen mit Schulen, wir müssen unsere Branche jünger, attraktiver und bunter machen, und wir brauchen massive Zuwanderung“, so Prof. Uli Paetzel, der dafür plädierte, gezielt Fachkräfte im Ausland anzusprechen. Genannt wurde ferner die Bedeutung der Unternehmensdarstellung nach außen sowie die Schaffung eines Arbeitsumfeldes, in dem sich das Personal wohlfühlt.
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35. Lindauer Seminar: Digitalisierung und andere Herausforderungen: Weitere Bilder
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