No-Dig bringt Windenergie schonend an Land
Die Netzanbindung von Offshore-Windparks ist mit großem zeitlichen, baulichem und finanziellem Aufwand verbunden. Grabenlose Technologie kann diesen Aufwand reduzieren und den Strom auf dem kürzesten Weg an Land bringen, ohne sensible Küstenlandschaften zu beschädigen – so geschehen bei den Offshore-Netzanbindungssystemen BalWin1 und Balwin2.

Die Leitungstrassen verlaufen in diesem Fall durch den Nationalpark Wattenmeer und die geschützte Dünenlandschaft der Insel Norderney und werden teilweise grabenlos im Horizontalbohrverfahren (HDD) verlegt. Eine Grundoram Stahlrohrramme vom Typ Taurus spielt dabei eine kleine, aber entscheidende Rolle.
Balwin1 und Balwin2 sind zwei von vier Netzanbindungssystemen des Übertragungsnetzbetreibers Amprion, die von Windparks in der Nordsee über zwei Konverterplattformen unter der ostfriesischen Insel Norderney bis zum Festland in Hilgenriedersiel verlaufen. Jedes System besteht aus drei parallelen Gleichstromkabeln und hat eine Übertragungskapazität von 2.000 Megawatt, also zusammen 4.000 Megawatt – genug Strom für etwa vier Millionen Menschen. Die grabenlosen Trassenabschnitte auf der Insel werden von LMR Drilling zusammen mit ihren Schwesterfirmen TAGU und TRNW aus der Ludwig Freytag Gruppe gebaut. Insgesamt sind 18 Horizontalbohrungen erforderlich, um die Schutzrohre zu verlegen, in die später die Seekabel eingezogen werden. Die Bauarbeiten erfolgen in drei Phasen: Im Sommer 2025 werden sechs Bohrungen von der Inselmitte ins südliche Watt Richtung Festland gemacht, 2026 wird von dort nach Nordstrand in Richtung der Offshore-Konverterplattformen gebohrt und 2027 wird der Festlanddeich in Hilgenriedersiel unterquert. Da der sandige Boden im Startbereich der HDD-Bohrungen sehr instabil ist, werden mit dem Grundoram Taurus an den Eintrittspunkten der Bohrungen sog. Casing-Rohre zur Führung in die bohrbaren Schichten eingerammt.


Taurus gibt HDD-Bohrungen Starthilfe
Die gängigste Anwendung von druckluftbetriebenen Rammen ist die horizontale Verlegung von Stahlrohren als Medien- oder Schutzrohre im Pipelinebau. Beim dynamischem Vortrieb wird die Schlagenergie direkt auf das Stahlrohr übertragen und das Erdreich im vorne offenen Rohr aufgenommen, sodass Hindernisse nicht im Ganzen verdrängt oder vor der Ramme hergeschoben werden müssen. Deshalb ist der dynamische Rohrvortrieb trotz seiner immensen Schlagkräfte so erschütterungsarm, dass er auch in sensiblen Umgebungen eingesetzt werden kann.

Weil LMR die Rammarbeiten bei diesem Projekt zum ersten Mal selbst mit dem eigens erworbenen Taurus ausführt, hat Tracto zwei Spezialisten auf die Baustelle entsandt, die den Beginn der Arbeiten im Juli 2025 begleiten und die Kollegen von LMR in die Details einweisen sollen.

Arbeiten im Bauzeitfenster mit minimalem Eingriff
Norderney ist zudem eine beliebte Ferieninsel, die in der Hochsaison sehr stark frequentiert wird. Auch die Campingplätze in den Dünen, von denen einige an die Baustelle ‚Am Leuchtturm‘ angrenzen, sind ausgebucht.
Um die Urlaubsgäste nicht mehr als nötig zu stören, wurde nicht nur die Lärmschutzwand gebaut, sondern auch vereinbart, dass die Rammarbeiten nur von 8:30 bis 13:00 Uhr und von 14:00 bis 19:00 Uhr stattfinden. Das Einschlagen der Stahlrohre bei voller Schubleistung ist nämlich nicht leise. Wie alle Abläufe bei diesem Projekt waren auch die Rammungen genau getaktet. Dafür standen sechs Tage im Juli zur Verfügung, also ein Tag pro Casing. Das Team von LMR hatte die komplexen Vorbereitungen souverän im Griff, sodass am 22. Juli wie geplant mit dem Einbau der Stahlrohre Richtung südliches Watt begonnen wurde.
Die 24 m langen Stahlrohr-Casings bestehen aus je zwei 12 m Segmenten, die jeweils im Arbeitsverlauf zusammengeschweißt wurden. Um dem Verlauf der HDD-Bohrungen genau zu entsprechen, mussten sie in einem Neigungswinkel von exakt 14 Grad und in der Sollrichtung der Bohrungen eingeschlagen werden. Als Startrampe hatte LMR eigens eine mobile, 6 m hohe Konstruktion aus Stahlträgern gebaut. Darauf wurde mithilfe eines Schwerlastkrans zuerst ein Rohrsegment in die Führungsschienen gelegt, dann die Taurus-Ramme dahinter positioniert und nach Anweisung der Geräteführer zentimetergenau ausgerichtet. Anschließend wurden sog. Schlagsemente in die Öffnung des Stahlrohrs montiert und die Ramme schub- und zugfest damit verbunden. Nachdem das erste 12 m Segment sukzessive Schlag für Schlag mit teils voller Schubleistung tief genug eingerammt war, wurde die Ramme gelöst, das zweite Segment angeschweißt, mit dem erneut in Position gebrachten Taurus verbunden und bis zur bohrbaren Bodenschicht vorgetrieben.

Starke Leistung von einem Casing pro Tag
Aufgrund des engen Zeitplans begann das Team von LMR bereits während des Einbaus des dritten Casings mit dem Aufbau der beiden HDD-Großbohranlagen. Nachdem die Pilotbohrungen durch diese entlang der vorgegebenen Kabeltrassen erstellt sind, werden die Stahlrohre herausgezogen und die Kabelschutzrohre vom südlichen Watt aus in den Bohrkanal eingezogen. Sie werden im nächsten Jahr wiederverwendet, um die Casings für die Verlegung der Kabelschutzrohre in nördliche Richtung einzubauen. Anschließend werden die beiden Schutzrohrstränge an den Bohreintrittspunkten mit Muffen verbunden und die Stromkabel eingezogen. Über die Muffengruben sind die Leitungen dauerhaft zugänglich. Die Inbetriebnahme der Netzanbindungssysteme wird 2030 (BalWin1) und 2031 (BalWin2) erfolgen – ein bzw. zwei Jahre früher als geplant. Grabenlose Technik macht’s möglich.
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Ausbau der Offshore-Windenergie - Potenzial für den Leitungsbau
Der Umstieg auf „grünen“ Strom ist ein Schlüssel zur Energiewende. Deshalb schreibt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023 vor, dass bis 2030 insgesamt 80 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen sollen. Im ersten Halbjahr 2025 wurden bereits 61 Prozent1 des Strommixes nachhaltig produziert, wozu die Windkraft als wichtigste Einzelquelle mit einem Netto-Anteil von 28,3 Prozent1 beiträgt. Allerdings stammen nur 5,6 Prozent1 dieser Windenergie von Offshore-Anlagen. Um die Klimaziele zu erreichen, sieht der Gesetzgeber eine deutliche Erhöhung der Ausbauziele für Windenergie2 vor der Küste vor: von aktuell 8 Gigawatt (GW) auf mindestens 30 GW bis 2030 und auf mindestens 70 GW bis 2045. Das bedeutet eine Steigerung von rund 375 % bis 2030 und 875 % bis 2045. Damit die produzierten Strommengen ins Netz gelangen, müssen sowohl neue Offshore-Netzanbindungssysteme wie BalWin1 und BAlWin2 gebaut als auch die Verteilnetze an Land ausgebaut werden. Für Leitungsbauunternehmen birgt das ein großes Auftragspotenzial – vor allem, wenn sie die nachhaltige Umsetzung mit grabenloser Technologie anbieten können.
Quellen:
1Fraunhofer ISE 2025
2Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE)
Quelle: Tracto
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