Von Auzuka zu Sarida
In Teil 4 und den folgenden Teilen der KI-Fachartikelserie „KI-unterstützte Zustandsbewertung von Abwassersystemen“ wird die Vorstellung der KI-Entwickler und ihrer Antworten auf die Herausforderungen fortgesetzt. Über das Profil der e.SIC GmbH, bisherige Arbeitsfortschritte und Zukunftsperspektiven berichten Geschäftsführer Josef Müllner und Software-Entwicklungsleiter Sebastian Brehme bei einem Besuch der ISAS GmbH in Füssen.
Die e.SIC GmbH mit Niederlassungen in Dornach bei München sowie in Ilmenau befasst sich seit der Anbahnung des Forschungsprojektes „Auzuka“ (Automatische Zustandsanalyse von Kanalnetzen) im Jahr 2015 mit eben jenen Algorithmen der Bilderkennung, die eine automatische Zustandserkennung für Kanalinspektionen ermöglichen. Die Auzuka-Projektpartnerschaft lief damals noch über die e.sigma systems GmbH – im Jahr 2018 wurde dann die e.SIC GmbH für die eigenständige Kanal-KI-Entwicklung ausgegründet.
ISAS: Ihre nahezu zehnjährige Erfahrung auf dem Feld der automatischen Kanalzustandserkennung verspricht interessante Einblicke für dieses Interview. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie dieses Thema losgelöst von der Projektbeteiligung an Auzuka und in einer eigenen Tochtergesellschaft angegangen sind?
Josef Müllner: Bei der Muttergesellschaft e.sigma hatten wir uns damals schon über mehrere Jahrzehnte mit den Themen Cloud Computing bzw. KI im weiteren Sinne innerhalb der militärischen Luftfahrt bzw. der Wehrtechnik auseinandergesetzt. Mit der e.SIC wollten wir diese wertvollen Kompetenzen dann auf den öffentlichen Sektor übertragen.
Mit dieser Perspektive waren wir gegen Ende des Auzuka-Projektes und zur Geburtsstunde von e.SIC überzeugt, mit unserem IT-Know-how einen Mehrwert für die zivile Kanalbranche schaffen zu können. Von Anfang an haben wir die Softwareentwicklung bei e.SIC gemäß dem sogenannten V-Modell aufgebaut, das strikte Projektphasen vorgibt und mit dem wir bei e.sigma bereits viele komplexe IT-Aufgabenstellungen erfolgreich lösen konnten. Relativ früh haben wir uns dann auf die Bearbeitung von TV-Inspektionen per Dreh-Schwenkkopfkamera fokussiert, da diese einerseits einen hohen Marktanteil ausmachen und andererseits technisch eine größere Herausforderung als Vollkugelbildscanner-Daten darstellen. Wir wollten erst das schwierigere der beiden Probleme lösen, um am Ende ein rundum gut funktionierendes Produkt zu bieten. Dieser Ansatz hat sich im Nachhinein bestätigt.
ISAS: Welche Personen stehen hinter e.SIC? Wie würden Sie die Unternehmenskultur beschreiben?
Sebastian Brehme: Wir sind ein bunt gemischtes Team aus Datenwissenschaftlern, Datenanalysten, Programmierern, Datensicherheitsexperten, Umweltspezialisten, aber auch Marktbeobachtern. Letzteres, um zu ermitteln, welche Softwarelösungen in der Branche gebraucht werden.
Unser Entwicklungsteam ist vorwiegend im thüringischen Ilmenau ansässig, wo wir von der Technischen Universität (TUI) nebenan viele begabte Werkstudenten, Doktoranden und Absolventen für uns gewinnen können.
Auch kulturell haben wir aufgrund zahlreicher TUI-Studenten aus dem Mittleren und Fernen Osten, die bei uns anheuern, eine interessante Mischung im Team. Diese Weltoffenheit spiegelt sich auch in unserer fachlichen Zusammenarbeit wider: Jeder kann und soll seine Ideen einbringen, ohne dass es einen Produktmanager gibt, der einen strikten Weg vorschreibt. Unser Miteinander ist also sehr harmonisch, wir sind einfach ein gutes Team.
ISAS: Wie stellen Sie sicher, dass das Kanal-spezifische Fachwissen Ihr Team durchdringt?
Müllner: Dank der Kontakte aus Auzuka haben wir einige wertvolle Projektpartnerschaften mit kompetenten Akteuren aus dem Kanalwesen aufgebaut, z.B. mit Bluemetric, JT-elektronik, Dr. Pecher und Partner, Barthauer, Kanalinfo.de und anderen. Über diese Verbindungen erfahren wir deren durch langjährige Branchenerfahrung gesichertes Expertenwissen. Genauso unterstützen uns diese Partner in Form von Testläufen und differenziertem Feedback vor der Veröffentlichung neu entwickelter Software-Features. So können wir das KI-System optimal auf den Bedarf der Branche ausrichten. Dieser Austausch hat uns gerade zu Beginn der KI-Entwicklung die Interpretation der verschiedenen Erfassungsnormen bzw. Austauschformate wesentlich erleichtert.
Um eine ingenieurmäßige Expertise auch auf persönlicher Ebene zu gewährleisten, legen wir großen Wert darauf, dass jeder unserer Mitarbeiter die branchenüblichen Kanalinspektionskurse von Organisationen wie der DWA besucht.
ISAS: Dann ist davon auszugehen, dass Sie die Referenz-Inspektionsdaten zum Training der KI-Software auch über derartige Partnerschaften erhalten?
Brehme: Das ist nicht zwingend so – viele unserer Kunden, v.a. Kommunen und Ingenieurbüros, stellen uns ihre Kanaldaten aus Eigeninteresse zur Verfügung. Bevor wir diese Daten für das Training des KI-Systems verwenden, müssen sie jedoch einige selbst entwickelte Prüfhürden durchlaufen. Dazu zählt selbstverständlich ein Nachweis über die Qualifikation des jeweiligen Inspekteurs, aber auch die Plausibilisierung der Zustandsdokumentation durch vollständige Videosichtung durch unsere Angestellten. Mittlerweile haben wir diese sehr umfangreiche Prüfroutine um zuverlässige, automatisierte Mechanismen ergänzen und dadurch effizienter gestalten können.
ISAS: Nun lassen Sie uns Ihr KI-System selbst in den Fokus rücken. Worin besteht die hauptsächliche Zielgruppe der e.SIC-KI?
Müllner: Die Ausrichtung unseres KI-Systems ist ganz klar – ein Produkt für alle, also für die Kanalnetzbetreiber, Ingenieurbüros und Kanalinspektionsfirmen. Wir möchten mit unserem Produkt die wahren Experten des Marktes unterstützen und keine Konkurrenz zu deren etablierten Geschäftsmodellen aufbauen. Unsere KI ist ein Werkzeug, keine Dienstleistung.
ISAS: Wie läuft die Anwendung dieses Werkzeugs durch den Nutzer ab und welchen Mehrwert erlangt er dadurch konkret?
Brehme: Unsere KI an sich funktioniert folgendermaßen: Sie erhält ausschließlich die Videos von der Kanalbefahrung, sonst keine weiteren Daten, und markiert darin die zu dokumentierenden Zustände mittels farblicher Bounding Boxen oder Segmentierung, also per Umrandung. Gleichzeitig wird dem Nutzer eine Kombination aus dem Zustandshauptkode, den beiden Charakterisierungen, der Position und der Stationierung angezeigt, die die KI für die Dokumentation des jeweiligen Zustands vorsieht. Diese Daten entstammen eins zu eins dem KI-System und werden nicht manuell durch uns nachbearbeitet. Der Nutzer kann dann selbst entscheiden, ob er die von der KI vorgeschlagenen Zustände in seinen Datensatz übernimmt oder nicht. Vom Nutzer zusätzlich erfasste Zustände werden selbstverständlich unverändert in den finalen Datensatz übernommen.
Dieser grundlegende Prozess findet sich in zwei verschiedenen Produkten wieder: Sarida Edge und Sarida Portal.
Sarida Edge ist eine Toolbox, bestehend aus Hardware und Echtzeit-KI-Software, die sich eine TV-Inspektionsfirma einmalig anschafft und in die bestehende Hardware des Inspektionsfahrzeugs einbauen lässt. Durch Sarida Edge werden die besagten Zustandsmarkierungen und Kodierungsvorschläge in der Erfassungssoftware des Inspekteurs live eingeblendet. Die KI-Berechnung findet in Echtzeit statt und ist offline-fähig, also unabhängig von der Internetverbindung des TV-Fahrzeugs. Regelmäßige Updates, bspw. des Schadenskatalogs, können über einen USB-Stick durchgeführt werden, oder „over-the-air“, also wenn eine Verbindung zum Internet besteht. Man kann sich Sarida Edge im TV-Fahrzeug als Assistenzsystem des menschlichen Bedieners, ähnlich wie einen Abstandsassistenten im Auto, vorstellen.
TV-Firmen, die Sarida Edge bereits nutzen, sehen die Vorteile dieser Live-KI zum einen darin, dass sie die Aufmerksamkeit und Erfassungsquote ihrer Inspekteure wesentlich steigert und den Aufwand verringert für das erneute Anfahren der Baustelle zur Aufnahme von Verdachtsfällen, die zunächst übersehen wurden. Zum anderen entlastet die Live-KI die TV-Firmen beim Einlernen von Neueinsteigern, denen die Einordnung möglicher Schadstellen auf diese Weise gut vermittelt werden kann. Da gibt es definitiv Parallelen zu Lernmethoden der Augmented Reality, die im Bildungsbereich immer populärer werden.
Zusätzlich bietet das Sarida Portal, sofern entsprechende Kanalstammdaten durch den Nutzer bereitgestellt werden, eine georeferenzierte Kartenansicht der darin enthaltenen Kanalobjekte. Dabei haben wir aber nicht den Anspruch, ein vollwertiges GIS-System mit Stammdaten-, Lagebearbeitung etc. bereitzustellen. Diesen Bedarf befriedigen wir allerdings insofern, dass das Sarida Portal mit offenen Schnittstellen gestaltet ist und so an bestehende GIS-Software angebunden werden kann, wie z.B. mit unserem Partner Barthauer bereits erfolgreich umgesetzt.
Das Sarida Portal hilft seinen Nutzern dabei, eine möglichst einwandfreie, objektive Zustandsdatengrundlage zu erarbeiten und für optimale Instandhaltungsentscheidungen zu verwenden. Darüber hinaus soll das Sarida Portal eine Plattform bieten, die den Datenaustausch der Kanalinspektion vollständig digital abbildet und für diverse Nutzergruppen im Portal, aber auch über diverse Austauschformate (DWA, Isybau, VSA-KEK), verfügbar macht. Alle Akteure eines Projekts können über dieselbe Cloud auf ein- und dieselbe Datenbasis mit ihrem eigenen Account zugreifen und gleichzeitig über (Video-) Chatfunktion miteinander kommunizieren. So wird ein effizienter Projektablauf mit geringeren Reibungsverlusten und Uneindeutigkeiten beim Datenaustausch forciert.
ISAS: Lernt die KI durch die Eingaben des Nutzers von Sarida Edge auf dem Fahrzeug mit? Oder wollen Sie derartige Einflüsse im System vermeiden?
Brehme: Wie bereits angesprochen, trainieren wir unser KI-System nur mit mehrstufig validierten, möglichst objektiven Daten. Daher möchten wir nicht, dass der subjektive Einfluss der Nutzereingaben in unsere KI Einzug hält, weder in Sarida Edge noch in Sarida Portal. Bei letzterem wäre ein Live-Mitlernen der KI ohnehin nicht darstellbar, da der Betrieb häufig offline stattfindet.
ISAS: Wie sensibel muss eine KI bei der Zustandserfassung sein? Sind aus Ihrer Sicht so viele Auffälligkeiten wie möglich zu dokumentieren oder nur die „technisch relevanten“ Besonderheiten?
Brehme: Jeder Anwender hat sein eigenes Verständnis der Grenze zwischen zu dokumentierenden und nicht zu dokumentierenden Schäden. Daher sind wir hier angewiesen und auch sehr offen für die Inspirationen unserer Nutzer.
Prinzipiell regeln wir die Sensitivität der Zustandserkennung über eine Art Konfidenzparameter, den die KI für jedes Einzelbild ausgibt und der beziffert, wie „sicher“ sich die KI mit ihrer Feststellung für das jeweilige Bild ist. Je höher dieser Schwellenwert liegt, desto „ausgeprägter“ muss eine Schadstelle sein, um dokumentiert zu werden, desto komprimierter fällt am Ende also auch die Zustandsdokumentation aus. Aktuell setzen wir diesen Grenzwert noch selbst, eine individuelle Einstellung durch den Nutzer wird jedoch demnächst möglich sein.
ISAS: Wie weit ist die e.SIC-KI bereits entwickelt? Bei welchen Projekten wird sie aktuell eingesetzt?
Brehme: Sarida Edge und Portal werden bereits in der Praxis in mehreren Projekten für die Zustandserfassung bei standardmäßigen Kanalbefahrungen sowohl mit Dreh-Schwenkkopfkameras als auch mit Vollkugelbildscannern, für Kanäle mit verschiedensten Rohrprofilen und -materialien, eingesetzt.
ISAS: Ist der KI-gestützte Umgang mit Videos aus Befahrungen per Dreh-Schwenkkopfkamera wirklich so viel schwieriger als mit der vollsphärischen Kamera?
Müllner: Ja, das macht einen großen Unterschied. Bei der Inspektion mit einem vollsphärischen Scanner sind Bedienung und Eigenschaften der Kamera nahezu konstant. Dies räumt viele Unsicherheiten für die nachfolgende automatisierte Bilderkennung aus.
Bei der Dreh-Schwenkkopfkamera wird die Sichtperspektive dagegen vom Menschen gesteuert, was naturgemäß für eine Unsicherheit in den Videoaufnahmen sorgt. Noch viel schwieriger ist jedoch, dass viele verschiedene Kamerasysteme mit ihren eigenen Brennweiten in der Praxis verwendet werden. Die Brennweite ist eine essenzielle Information für unser KI-System, insbesondere wenn es um die Schätzung von absoluten Maßen im Bild, z.B. der Breite eines Risses in Millimetern, geht. Bedauerlicherweise fehlt unserer KI-Software in den meisten Fällen das Wissen über die Kameraparameter, sodass jede Dreh-Schwenkkopfkamera vor der Inspektion kalibriert werden müsste, um die absoluten Rissbreiten, Rohrbruchflächen etc. im Nachgang mit einer automatisierten Bilderkennung zuverlässig ermitteln zu können. Wir arbeiten derzeit an ergänzenden Verfahren zur KI, um obige Maße berechnen zu können.
ISAS: Wie arbeitet Ihr KI-System bei welchen Schäden? Bei der Erkennung welcher Schadenstypen tut es sich leichter, bei welchen schwerer?
Müllner: Ob die KI einen Schaden gut einordnen kann, ist weniger vom Schaden per se als vielmehr davon abhängig, wie häufig er generell und damit auch in den Trainingsdaten vorkommt. Hier spielt dann ebenfalls das Rohrmaterial eine Rolle, da die KI denselben Schaden in zwei unterschiedlichen Materialien unterschiedlich wahrnimmt. Das haben wir bei der ersten Version unseres KI-Systems gemerkt, das lediglich auf Inspektionen von „harten“ Materialien wie Beton und Steinzeug trainiert worden war und so auch gute Erkennungsergebnisse erzielte. Als wir dieses System dann für die Schadenserkennung in Kunststoff-Materialien eingesetzt haben, ist die Qualität der Ergebnisse deutlich zurückgegangen. Mittlerweile funktioniert das System aber auch bei Kunststoffrohren zufriedenstellend.
ISAS: Wie setzen Sie das Thema Datensicherheit um?
Müllner: Beim immens wichtigen Thema Datenschutz nutzen wir alle Vorkehrungen und Zertifikate, die die starke Sicherheitsarchitektur der Microsoft-Azure-Plattform, auf der wir unser KI-System aufgesetzt haben, zu bieten hat. Dabei bewegen wir uns auf dem Vertraulichkeitslevel eines Kreditkartenunternehmens. Die Daten werden gemäß den neuesten Standards mehrfach verschlüsselt und redundant in drei deutschen Rechenzentren gehostet und erst entschlüsselt, sobald der Anwender unserer Software die Daten an seinem eigenen Bildschirm abruft.
ISAS: Wie tragen Sie zur Nachhaltigkeit bei? Welche Rolle spielt dieses Thema für Sie?
Müllner: Auf die Nachhaltigkeit legen wir bei der Datenhandhabung genauso wie Microsoft selbst großen Wert. Die Daten werden auf der Plattform der Microsoft-Azure-Rechenzentren verarbeitet, die primär mit erneuerbaren Stromquellen und intelligentem Energiemanagement betrieben werden. Die Behandlung der Daten auf einem zentralen, virtuellen System reduziert außerdem den Datenträger-basierten Austausch auf ein Minimum, sodass einiges an „Edelschrott“ eingespart werden kann. Dass die sogenannte „Green-IT“ mit einer zentralen Datenverwaltung zur Nachhaltigkeit beiträgt, belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien.
ISAS: Welchen Themen bzw. Entwicklungsschritten möchten Sie sich in den nächsten Jahren widmen?
Brehme: Selbstverständlich richten wir ein großes Augenmerk auf die Optimierung der Zustandserkennung aus Bildmaterial an sich, wenn es bspw. darum geht, unabhängiger von der Kenntnis der Brennweite der verwendeten Dreh-Schwenkkopfkamera zu werden. Daneben möchten wir die Projektabwicklung über Cloud-Technologien aufgrund ihrer zahlreichen positiven Aspekte in der Branche etablieren. Durch unsere immer weiter wachsende Sammlung an Kanaldaten werden wir uns darüber hinaus damit befassen, inwieweit wir die Zustandsentwicklung von Kanälen mithilfe dieser Datenbasis prognostizieren und dadurch die Netzbetreiber im Sinne effizienter Instandhaltungsentscheidungen unterstützen können.
ISAS: Wie sehen Sie die Branche in den kommenden Jahren? Wie wird sich dann das Miteinander aus Mensch und (intelligenter) Maschine gestalten?
Müllner: Wir rechnen damit, dass diverse Arbeitsprozesse in der Branche immer weiter automatisiert werden. Schon jetzt sind ein gewisser Umschwung und eine zunehmende Offenheit für neue Technologien wahrzunehmen, was sicher auch auf die rege Vorarbeit manches KI-Entwicklers zurückzuführen ist.
Mit der Weiterentwicklung der Datenverarbeitung wird auch diejenige für die Datenerfassung einhergehen. Dies bedeutet konkret, dass die Erfassungssensoren nicht mehr rein optisch für die Weiterverarbeitung durch den Menschen, sprich für eine Sichtung, sondern auf andere aussagekräftige Messgrößen ausgerichtet sein werden, die eine effiziente automatisierte Weiterbearbeitung ermöglichen. Davon abgesehen wird strategisches Instandhaltungsmanagement in Zukunft immer mehr durch den großen Schatz an Kanaldaten unterfüttert werden.
Am Ende sollten wir jedoch feststellen, dass die KI demystifiziert werden muss: Wir sehen KI als Werkzeug für unsere technischen Fachkräfte. Menschliches Expertenwissen wird auch in Zukunft noch notwendig sein, um die KI zu verbessern und effizient anzuwenden.
Perspektive | Steckbrief e.SIC GmbH, Dornach |
---|---|
Betrachtete Objekttypen | Haltungen, Anschlussleitungen |
Entwicklung seit | Seit 2015 im Rahmen des Forschungsprojekts Auzuka, seit 2018 eigenständig |
Ca. Trainingsdatenmenge | Kanalinspektionen einer Datenmenge > 15 Terabyte (TB) |
Zielgruppe | Sarida Edge für TV-Inspektionsfirmen Sarida Portal für Kanalnetzbetreiber, Ingenieurbüros, TV-Inspektionsfirmen |
Workflow | Sarida Edge: Eine Toolbox wird separat in das TV-Inspektionsfahrzeug eingebaut und mit der Erfassungssoftware verknüpft. Während der TV werden die zu dokumentierenden Zustände im Videobild live umrahmt und die zugehörigen Kodierungsparameter (Zustandskode, Charakterisierungen, Stationierung und Position) zur Übernahme durch den TV-Inspekteur angezeigt. Sarida Portal: Nach der TV werden die Inspektionsvideos in das Sarida Portal hochgeladen. Nach einer Analysedauer von ca. einem Zehntel der hochgeladenen Videodauer kann die erstellte Zustandskodierung (Zustandskode, Charakterisierungen, Stationierung und Position) wieder aus dem Portal heruntergeladen werden. |
Benutzeroberfläche | Sarida Edge: Einblendungen innerhalb der bestehenden TV-Inspektionssoftware Sarida Portal: Browser-basierte Web-Oberfläche mit Rubriken für Up-/Download, Video- und georeferenzierte Kartenansicht |
Verfügbarkeit des Systems | Sarida Edge: räumlich-zeitlich uneingeschränkt durch Offline-Betrieb (Updates per Internetverbindung oder USB-Stick möglich) Sarida Portal: Aufruf über herkömmlichen Internetbrowser oder über Sarida Edge, sofern dieses mit dem Internet verbunden ist |
Datensicherheit | Mehrfache Verschlüsselung des Datenaustauschs über Microsoft-Azure-Sicherheitszertifikate, Nutzung von drei Rechenzentren in Deutschland |
Kompatible Kamerasysteme | 3D-Kugelbildscanner für Haltungen, Dreh-Schwenkkopfkamera, Satellitenkamera, Schiebekamera |
Unterstützte Rohrtypen | Sämtliche Profile (Kreis, Ei, Rechteck etc.) und Rohrmaterialien im Dimensionsbereich 150 bis 3000 mm |
Kompatible Erfassungs- und Austauschformate | Kodiersysteme: DWA-M 149-2 i.V.m. EN 13508-2:2003, DWA-M 149-2 i.V.m. EN 13508-2:2011, Isybau i.V.m. EN 13508-2:2003, ISYBAU i.V.m. EN 13508-2:2011, VSA-KEK 2007, VSA-KEK 2019 Austauschformate: DWA-M 150, Isybau-XML 2006, Isybau-XML 2013, Isybau-XML 2017, Interus 2 |
Statement von Uli Jöckel, JT-elektronik GmbH
Die JT-elektronik GmbH mit Sitz in Lindau am Bodensee entwickelt, produziert und vertreibt Fahrzeugsysteme für TV-Inspektionen und Dichtheitsprüfungen seit dem Jahr 1980. Das dabei erworbene fachliche Know-how und gute Renommee in der Branche bringt JT-elektronik aktuell bei der Entwicklung der Sarida-KI durch die e.SIC GmbH in Form einer Partnerschaft ein. Ergänzend zum Interview mit den Herren Müllner und Brehme von e.SIC ordnet das folgende Statement von JT-Firmengründer und Geschäftsführer Ulrich Jöckel die automatische Bildverarbeitung in den Kontext der optischen Technik ein.
Softwaretechnisch können Bilder und Bildsequenzen nachbearbeitet werden, jedoch gilt die oben genannte Aussage als „Verständnisprüfung“ zu unterschiedlichen Qualitätsstufen oder bei späterem „Filtern nach Ereignissen“ in der Charakterisierung und der Quantifizierung von Beschreibungen nach der DIN EN 13508.
Was die KI kann und was unsere Kameratechnologie, können wir ganz schnell beantworten. Der Auftraggeber gibt die Hinweise und Anforderungen zu seiner KI bekannt und wir programmieren dazu die Vorgehensweise bzw. schulen den Kanalinspekteur für diese Dienstleistung. Das kann aber auch als „Assistenzsystem“ über die Toolbox Sarida Edge realisiert werden, wo über gewisse interne Algorithmen die beste Bildqualität zur Verfügung gestellt wird. In unseren neuen JT-Kameraaufbauten sind zusätzliche Messsensoren integriert, welche den Rohrquerschnitt, die Kameralage, aber auch die Abstände zur Rohrwandung mehrfach messen und dadurch im Nachgang die Bildbe- und -verarbeitung optimieren. Damit können die radialen Längen detailliert berechnet werden. Eine softwaremäßige Auswertung der präzise gemessenen Bildflächen und somit des Schadens gewährleistet die optimalen Informationen zu einer Nachbearbeitung durch die Software in der KI. Eine interne „Bildqualität-Abfrage“ beanstandet sofort eine fehlerhafte und nicht akzeptable Dokumentation, sodass der von der Software bemängelte Abschnitt nochmals befahren werden kann.
Wir haben uns in vielen Gesprächen den Kopf zermartert, was die Kommune oder der Ingenieur in der „Dienstleistung Kanalinspektion“ benötigt. Wir sind der Meinung, mit den besten Techniken, Sensoren, Kabelkonstruktionen, aber auch Vorgehensweisen zu arbeiten und diese optimiert zu handhaben, denn das ist unser Anspruch. Nur hervorragende Inspektionsergebnisse garantieren den besten Erfolg in einer nachgeschalteten KI.
Gute Bilddaten können z. B. im Nachgang reduziert gefiltert werden, aber schlechte Bildinformationen können nur unwesentlich verbessert werden. Im Datenvolumen nicht reduzierte und komprimierte Bildfolgen und Videos und vielleicht sogar hochauflösende Einzelbilder gewährleisten unseres Erachtens das wirtschaftlichste Verhältnis von Aufwand und Nutzen.
Die Firmen e.SIC und Bluemetric sind bei der KI-Entwicklung unsere Partner. Deshalb gilt unser Dank speziell Sebastian Brehme von e.SIC und Sven Sturhann von Bluemetric für ihre Ausdauer, aber auch ihre konstruktive Kritik. Das gilt selbstverständlich auch für unsere Anwender, denn nur das Gesamte kann und wird erfolgreich funktionieren, und deshalb gehören unsere Auftraggeber und deren Kanalinspekteure, aber auch deren Auftraggeber wie Kommunen und Ingenieurbüros dazu, denn erst unter aller Mithilfe kann die KI zukunftsfähig und professionell weiterentwickelt werden.
Wir bezeichnen bei uns im Hause die Kombination von Kanalinspektion (KI) mit künstlicher Intelligenz (KI) als KI2 und die Vorteile davon sollten nun in der Branche standardisiert werden, aber da würden wir die Wette eingehen, dass die meisten das gar nicht wollen. Warum? Weil sie dann die Fehler in der Vergangenheit verstehen werden. In den Entwicklungsphasen der Kanalinspektion wurde aus dem VHS- das SVHS-Videosignal und -Band, mit den einfachen Grafikkarten, zunächst MPEG2, dann MPEG4, und nun werden H.264-Komprimierungen generiert. Am besten wären jedoch Rohdaten zu einer perfekten KI2 mit den geeigneten Algorithmen und Filtern, vielleicht auch Klassifizierungen, Auswertemodulen, Fahrgeschwindigkeiten usw. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Wie aktuell die Vorgaben in den Ausschreibungen erfolgen, ist uns bekannt, aber die Qualität ist definitiv vom Equipment und dem Inspekteur sowie dessen „Leistung und Engagement“ abhängig. Es macht auch keinen Sinn Quantität zu fordern und auf Qualität zu verzichten, was auch beim nächsten Lindauer Seminar im März 2024 thematisiert wird.
Zusammenfassend benötigen wir zukünftig unterschiedliche Kanalkamera-Qualitätsstufen für die Nachbearbeitung durch die KI, ähnlich wie beim Obst mit Handelsklassen 1, 2, 3 oder 1a, 1b und „Mostobst“, und einem „Erstfilter für die prinzipielle Eignung“. Der Vergleich in der Bewertung der Ergebnisse zum Ausschreibungstext, welcher im Inhalt die Wünsche und Maßnahmen für die nachträgliche Auswertung berücksichtigt, sind unseres Erachtens die neuen Anforderungen. Also benötigt die KI2 grundlegende Vorgaben für die Kameratechnik und die Realisierung der Kanalkontrolle, damit die Filter- und Softwarestrukturen vernünftig die KI-Dokumentation erstellen.“
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Autor: Marco Deubler, Leiter KI-Implementierung, ISAS GmbH
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