Workflow, Chancen und Grenzen
Algorithmen der Bilderkennung, die auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhen, werden bereits heute in vielen Bereichen mit eindrucksvoller Genauigkeit eingesetzt. Dazu gehören u.a. CT-Aufnahmen von Krebs-gefährdetem Gewebe in der Lunge, das KI-Systeme effizienter und teilweise mehrere Jahre früher als gute Mediziner identifizieren können. Ebenso sind Systeme wie Abstandsregler und Spurhalteassistent, die Live-Bilder während der Autofahrt verarbeiten, mittlerweile als Standardausstattung im Fahrzeug etabliert.
Von Marco Deubler, Leiter KI-Implementierung, ISAS GmbH
Mit den Erfolgen der KI – unter verhältnismäßig komplexen Randbedingungen wie dem Straßenverkehr – wirkt es vielversprechend, ein ähnliches System für Video-basierte Tätigkeiten in Bezug auf Abwasserkanalisation aufzubauen, zumal der Kanal eine relativ homogene, gut berechenbare Umgebung zu sein scheint.
In der Fachartikelserie „KI-unterstützte Zustandsbewertung von Abwassersystemen“ möchten wir aufzeigen,
- wie KI-basierte Methoden in der Kanalzustandserfassung funktionieren und in den gängigen Workflow der Kanalinstandhaltung sinnvoll integriert werden können,
- welche Systeme auf dem Markt verfügbar sind,
- welche Praxiseinsätze die Technologie bereits bewältigt hat und
- welche Schlussfolgerungen daraus in Bezug auf Datenqualität und Wirtschaftlichkeit gezogen werden können.
Diese Fragen möchten wir anhand unserer eigenen Erfahrungen mit KI-gestützter Bilderkennung, durch umfangreiche Recherchen sowie durch Interviews mit diversen, von der Technologie berührten Akteuren möglichst informativ beantworten.
Funktion der KI und Ki-unterstütztes Arbeiten
Wie funktioniert KI-Bilderkennung bei der Kanalzustandserfassung?
KI-Algorithmen gleichen Daten-Inputs mit den zugehörigen Outputs ab. Dabei können sie wiederkehrende Muster in den Input-Output-Paaren erkennen. Auf Basis dieses erlernten Wissens sagen KI-Tools einen Output für Inputdaten vorher, deren tatsächlicher Output nicht bekannt ist.
Im Anwendungsfall der Kanalzustandserfassung handelt es sich bei den Eingangsgrößen um die Videodaten aus der TV-Inspektion. Die gewünschten Outputs, auch als Zielgrößen bezeichnet, sind im Wesentlichen Art („Code“) und Ausmaß („Quantifizierung“) von Schäden oder anderen Besonderheiten im Kanal, wie z.B. Anschlüssen, Krümmungen oder Material-/Dimensionswechseln. Um eine möglichst zuverlässige „Vorhersage“ zu erreichen, ist das KI-Tool vorab mit einer großen Menge verschiedenartiger Kanaldaten zu trainieren.
Wie ist die KI-Bilderkennung in den Workflow der Kanalinstandhaltung einzuordnen?
Der klassische Arbeitsablauf der Kanalinstandhaltung umfasst drei übergeordnete Blöcke: die Zustandserfassung durch die TV-Inspektionsfirma sowie die Zustandsbewertung und die darauf aufbauende Sanierungsplanung durch das Ingenieurbüro. Beim Einsatz der KI-Bilderkennung wird ein Teil der Aufgaben des TV-Inspekteurs an ein separates KI-Tool ausgelagert. Dennoch ist ersterer weiterhin für folgende Tätigkeiten am zu inspizierenden Objekt (Haltung, Anschlussleitung oder Schacht) vor Ort zuständig:
- Erfassen von Stammdaten wie Abmessungen (Breite, Höhe, Länge) und Material
- Einsetzen und Fortbewegen der Kamera
- Bei Kameras ohne Vollkugelbildaufnahme: Norm-gemäßes Abschwenken von Schäden und weiteren Besonderheiten.
Dagegen fallen die manuelle Erfassung von Schäden, Anschlüssen etc. sowie deren Norm-konforme Dokumentation während der TV-Inspektion weg. Diese Aufgaben werden durch ein KI-Bilderkennungstool wie oben beschrieben entweder parallel zur TV-Inspektion oder im Anschluss daran übernommen.
Die anschließenden Arbeitsschritte der Zustandsbewertung und Sanierungsplanung sind aufgrund der hohen Komplexität der einzubeziehenden Randbedingungen in jedem Fall dem ingenieurlichen Sachverstand überlassen.
Chancen und Grenzen der KI-gestützten Bilderkennung in der Zustandserfassung
Im Vergleich zur bisherigen Arbeitsweise bringt die Verwendung von KI-gestützter Bilderkennung bei der Zustandserfassung diverse Vorteile mit sich, kann den gesamten Workflow jedoch nur bis zu einem gewissen Grad ergänzen:
Chancen
· Der Verzicht auf manuelle Eingaben zahlreicher Parameter (Schadenscode, -quantifizierung, -position etc.) während der TV-Inspektion bewirkt unweigerlich einen schnelleren Arbeitsfortschritt. Dies ist insbesondere innerhalb kritischer Infrastrukturen, z.B. stark befahrener Straßen(-kreuzungen), eine wesentliche organisatorische Erleichterung.
· Der TV-Inspekteur kann seine Konzentration überwiegend für eine adäquate Baustellensicherung, Kameraführung und Bestandserfassung verwenden, wenn er keine Aufmerksamkeit mehr auf die Erkennung und Beschreibung von Schäden, Anschlüssen etc. richten muss.
· Ein gut trainiertes KI-Tool erkennt Schäden, Anschlüsse etc. zuverlässiger und beschreibt diese konsistenter als die menschliche Wahrnehmung, die für subjektive Verzerrungen bzw. Ermüdung anfällig ist und der sogenannten Tagesform unterliegt.
Der TV-Inspekteur muss nicht zwingend über vertiefte Kenntnisse auf dem Gebiet der Kanalschäden verfügen, was die Personalsituation für TV-Firmen erleichtert.
Grenzen
· Der Erfolg einer KI-Anwendung steht und fällt mit der Qualität der Eingabedaten. Weisen die zu bearbeitenden Videos schlechtere optische Verhältnisse oder andere Schadenstypen als diejenigen Daten auf, mit denen das KI-Tool trainiert wurde, liefert die KI keine belastbaren Ergebnisse. Dies ist auch der Fall, wenn größere Höhenunterschiede und zahlreiche Krümmungen insbesondere im Anschlussbereich keine Norm-gerechte Kameraführung zulassen.
· Die KI-basierte Zustandserfassung dient lediglich als Hilfsmittel zur Beschreibung, nicht hingegen zur Bewertung von Kanalschäden. Das liegt daran, dass v.a. schwerere Schäden unter Einzelfall-spezifischen Gesichtspunkten zu bewerten sind, was die ingenieurliche Expertise, nicht jedoch ein über die „breite Datenmasse“ trainiertes, automatisiertes Tool gewährleisten kann.
· Die Zuordnung der zu bearbeitenden Videodaten zu den richtigen Objekten im Kanalkataster kann genauso wie die Übernahme von Bestandseigenschaften und Leitungsverläufen nicht durch ein KI-Tool durchgeführt werden, weil die relevanten Informationsquellen verschiedenartig und oftmals uneinheitlich sind.
Die Erhebung und Aufbereitung von TV-Inspektionsdaten als KI-Trainingsdaten sowie das Training selbst erfordern enorm viel Zeit und Fachwissen. Da die Entwicklung derartiger Systeme erst in der jüngeren Vergangenheit gestartet hat, wird deren Implementierung in den Standard-Workflow der Kanalinstandhaltung frühestens in der mittelfristigen Zukunft möglich sein.
KI-gestützte Kanalzustandserfassung: Fazit und Ausblick
Die erste Abwägung von Chancen und Grenzen der KI-gestützten Bilderkennung in der Kanalzustandserfassung macht Hoffnung, dass diese ein wertvolles Hilfsmittel bei der Kanalinstandhaltung werden kann. Dennoch dürfen die von dieser Technologie generierten Daten nur mit dem Wissen um die Grenzen des Systems weiterverarbeitet werden.
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In den nächsten Teilen der Artikelserie möchten wir verschiedene Systeme auf dem Markt beleuchten und zeigen, wie diese in der Praxis angewandt werden.
Autor: Marco Deubler, Leiter KI-Implementierung, ISAS GmbH
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