Theoretische Grundlagen überdenken

Um Mehraushub beim unterirdischen Rohrvortrieb mittels hydraulischer Förderung und damit verbundene Setzungsschäden zu vermeiden, spielt die Stützung der Ortsbrust eine entscheidende Rolle. Die angewandten Methoden zur Mengenkontrolle des Aushubs und zur Berechnung des erforderlichen Stützdruckes sind nur eingeschränkt praxistauglich. Ein Diskussionsbeitrag.

Mehraushub beim unterirdischen Rohrvortrieb verhindern
Um Setzungsschäden an der Oberfläche zu verhindern, muss beim Rohrvortrieb Mehraushub zuverlässig ausgeschlossen werden. | Foto: Dr. Uffmann

Mit den ständig steigenden Anforderungen an Vortriebsmaschinen mit Bezug auf Längen, Durchmesser, Kurven und zu durchfahrende Boden- und Felsverhältnisse kommt verstärkt der Ortsbruststützung eine hohe Bedeutung zu, um Mehraushub –Overexcavation – und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Oberfläche –Setzungen – zu verhindern. Ein derartiger Mehraushub kommt bevorzugt in locker gelagerten Sedimenten vor. Auch der Grundwasserspiegel spielt hierbei häufig eine entscheidende Rolle, da die Böden unter Grundwasser besonders zum Fließen neigen.

Nun werden seit Jahren in den Ausschreibungen hierzu im Wesentlichen zwei Anforderungen gestellt:

  1. eine Mengenkontrolle des abgebauten Bodenmateriales und Abgleich mit dem aufgefahrenen Hohlraum
  2. vorhergehende Berechnung des erforderlichen Stützdruckes und laufende Kontrolle durch Abgleich des tatsächlich gefahrenen Stützdruckes in der Spülkammer der Vortriebsmaschine

Zu 1. (Mengenkontrolle)

Bei einem Vortrieb in einem vollständig wassergesättigten Boden wäre theoretisch eine reine Volumenbilanz – Differenz Förderwasser und Frischwasser – zur Bestimmung des Volumens des abgebauten Bodens und Wassers und ein Vergleich mit dem der Vortriebsgeschwindigkeit entsprechenden Volumen möglich, wenn die Messgenauigkeiten ausreichend wären und unter der Voraussetzung, dass der Grundwasserspiegel immer oberhalb des Rohrscheitels liegt.

Allerdings sind die Messgenauigkeiten trotz langjähriger Forschungen hierzu immer noch völlig unzureichend. Entsprechend einer Dissertation von Thorsten Weiner aus April 2018 -https://d-nb.info/1169397174/34- ergibt sich, dass die Messung der Fließgeschwindigkeiten in Wasser-Bodengemischen stark unterschiedliche Werte für unterschiedliche Boden-Wassergemische liefert. Dies liegt u.a. an einer unterschiedlichen Verteilung der Fließgeschwindigkeiten über den Rohrquerschnitt, abhängig vom jeweiligen Boden. Im Ergebnis dieser Forschungsarbeit wird festgestellt, „dass die Qualität der derzeit aufstellbaren Volumen- oder Massenbilanz beim flüssigkeitsgestützten Schildvortrieb in feinkörnigem Baugrund den üblicherweise formulierten Anforderungen z.B. zur Beurteilung von Setzungserscheinungen nicht gerecht werden kann.“

Die Firma Herrenknecht, maßgeblicher Hersteller dieser Technik, versucht durch die Eingabe einer angenommenen Dichte bei der Eichung der Durchflussmessgeräte für die Förderleitungen die abgeförderten Bodenmengen zu ermitteln. Auch dies ist nur eine grobe Annäherung, da diese Dichte nur anhand von Eichmessungen ermittelt werden kann und daher von den jeweiligen sich ändernden Bodenverhältnissen abhängig ist.

Da auch diese Möglichkeit keine ausreichend genaue Messung ermöglicht, wurden in der Vergangenheit nachfolgende weitere Verfahren zur Volumenkontrolle getestet:

  • radiometrische Messung (sehr aufwendig in beiden Leitungen, Messung nur im Steigbereich, kritische Sicherheit wegen des Einsatzes von Isotopen auf Baustellen)
  • Bandwaage
  • wiederkehrende Volumenbestimmung des abgeförderten Bohrgutes hinter der Separationsanlage und Abgleich mit der Vortriebstrecke

Alle Verfahren haben > 5 % Fehler, hinzu kommt in allen Fällen die ungenaue Abschätzung der „In situ“-Lagerungsdichte, so dass in der Summe mit ca. +/- 5 bis 10 % Fehlern gerechnet werden muss. Diese so ermittelten Werte eignen sich allenfalls, Tendenzen bei deutlichen Abweichungen von den Sollwerten zu ermitteln.

Hier sind also dringend neue Techniken gefordert, mit deren Hilfe eine erhöhte Bodenentnahme möglichst verhindert oder zumindest frühzeitig erkannt werden kann.

Zu 2. (Stützdruck)

Entsprechend den Empfehlungen des Arbeitskreises Tunnelbau der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V. erfolgt die Berechnung durch die Gegenüberstellung erdstatischer Gleichgewichtsbedingungen mit Hilfe der Silotheorie nach Anagnostou & Kovari - Tunnelling and Underground Space Technology, Vol. 9, No. 2, pp. 165-174, 1994-.

Um die Standsicherheit der Ortsbrust zu gewährleisten, muss die Stützdruckkraft demzufolge der Summe aus der horizontalen Erddruckkraft und der anstehenden Wasserdruckkraft entgegenwirken. Bei dem heute üblichen und dem anerkannten Stand der Technik entsprechenden Berechnungsmodell wird hierbei von einer Membranwirkung an der Ortsbrust ausgegangen, obwohl diese während des Vortriebes ständig von den Abbauwerkzeugen des Schneidrads abgebaut wird. Die mechanische Stützwirkung von Schneidrad und Schild werden nicht berücksichtigt.

Vorschläge

Das derzeit genutzte Berechnungsverfahren kommt aus dem Bereich des Schildvortriebes mit nachfolgendem Tübbingausbau und hat dort sicherlich seine Berechtigung. Für die Technik des Rohrvortriebes sollte dieses Modell aber überdacht werden. Gründe hierfür sind:

  • Der Bohrkopfandruck einer Rohrvortriebsmaschine beträgt zumeist ein Vielfaches des erforderlichen Stützdruckes und sollte bei der Berechnung daher nicht vollständig vernachlässigt werden, zumal auch die Öffnungen an der Schürfscheibe bezogen auf die Gesamtfläche nur etwa 10-30 % ausmachen.
  • Aufgrund der „konventionellen“ Stützdruckberechnung ergibt sich mathematisch immer ein gegenüber dem anstehenden Wasserdruck erhöhter erforderlicher Stützdruck. Um ein Eindringen von Bohrklein in den Ringraum sicher verhindern zu können – letzteres würde beim Rohrvortrieb im Gegensatz zum Schildvortrieb einen kritischen Anstieg der Mantelreibung bewirken –, sollte die Ringraumschmierung mit einem gegenüber dem Stützdruck erhöhten Schmiermitteldruck – ca. + 0,1 bis 0,3 bar – betrieben werden. Hierdurch ergibt sich in der Summe ein hoher Bentonitdruck im Schmierbentonit, der in der Praxis häufig zu Bentonitaustritten an der Oberfläche führt. Zudem ist die Aufrechterhaltung des Druckes während der Kopplungs- und Stillstandszeiten bislang nicht möglich.
  • Rohrvortriebsmaschinen haben konstruktionsbedingt relativ hohe Drehmomente und können daher auch mit einem hohen Bohrkopfandruck gefahren werden. Durch die Kontrolle des Bohrkopfandruckes und des aufgebrachten Drehmomentes in Verbindung mit einem leicht oberhalb des anstehenden Grundwasserdruckes eingestellten Stützdruckes und die Verwendung einer geeigneten Bentonitmischung kann aus Sicht des Verfassers eine Bodenmehrentnahme sicher vermieden werden.

Vorgenannte Zusammenhänge sollten wissenschaftlich untersucht werden mit dem Ziel, eine praxistaugliche Lösung zur Verhinderung von Mehraushub beim Rohrvortrieb zu finden. Hierbei sollten u.a.:

  • die Andruckkraft und das hieraus resultierende Drehmoment der Maschine
  • der Anteil der Öffnungen an der Gesamtfläche der Schürfscheibe
  • der anstehende Boden inkl. Auflasten und der Grundwasserspiegel

berücksichtigt werden.

Resümee

In Verbindung mit den genannten Vorschlägen zur Ermittlung des erforderlichen Stützdruckes sollte eine laufende Überwachung stattfinden, um jeglichen Mehraushub kurzfristig zu detektieren und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Hierfür wären von Herstellerseite entsprechende Techniken zu entwickeln.

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Autor: Dr.-Ing. Hans-Peter Uffmann, Ing.-Büro Dr. Uffmann, Aachen


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