Lünen hilft bei Überflutungsschutz
Im Stadtteil Lünen-Süd kam es im Juli 2021 innerhalb von 10 Tagen zweimal zu massiven Wasserschäden. | Foto: SAL

„Manchmal braucht es ein wenig Mut und Entschlossenheit, um neue Wege zu gehen und das zu tun, was den Menschen wirklich hilft“, sagt Daniela Fiege, Vorstand des SAL, mit Hinweis auf eine eventuell vorhandene juristische Grauzone. „Aber wir haben es geschafft, die Häuser und das Hab und Gut der Menschen in den Starkregenhotspots mit überschaubarem Aufwand wirksam vor Überflutungsschäden zu schützen.“

Der Stadtteil Lünen-Süd ist durch Bergbau geprägt ist. Infolge von Bergsenkungen haben sich geografische Tiefpunkte gebildet, in denen sich bei Niederschlagsereignissen das Oberflächenwasser von umliegenden Straßen und befestigten Oberflächen sammelt. Der gesamte Zufluss in diesem Stadtteil aus der Mischwasserkanalisation, aus Oberflächenwasser und aus einem natürlichen Gewässer wird über ein Pumpwerk des Lippeverbandes aus dem Stadtteil heraustransportiert. Bei ergiebigen Niederschlägen stößt hier die Entwässerungsinfrastruktur an ihre Grenzen.

Die Starkregengefahrenkarte bildet das Überflutungsrisiko in den ausgewiesenen Hotspots realitätsnah ab. | Foto: SAL
Die Starkregengefahrenkarte bildet das Überflutungsrisiko in den ausgewiesenen Hotspots realitätsnah ab. | Foto: SAL

In kurzer Abfolge hohe Schäden

Die vom SAL erstellte Starkregengefahrenkarte weist in diesem Gebiet Hotspots mit einem hohen Überflutungsrisiko aus. Diese theoretischen Annahmen bestätigten sich in der jüngsten Vergangenheit gleich mehrfach: Bei Regenereignissen am 4. Juli und zehn Tage später am 14. Juli 2021, die beide als hundertjährliche Ereignisse eingestuft wurden, kam es bei Anwohnern genau in den prognostizierten Bereichen in kurzer Abfolge wiederholt zu massiven Wasserschäden. Die Fluten waren nicht aufzuhalten, Kellerfenster und Türen hielten dem Wasserdruck nicht stand. „In manchen Gebäuden stand das Kellergeschoss komplett bis unter die Decke innerhalb von wenigen Minuten unter Wasser mit den entsprechenden Folgeschäden an Inventar und Gebäudetechnik“, erklärt Matthias Krölls, Sachgebietsleiter beim SAL. „Einige Anwohner hatten gerade die gröbsten Schäden beseitigt, die neue Waschmaschine war wenige Tage angeschlossen, da kam der nächste Regen“, beschreibt Krölls die verzweifelte Situation von Betroffenen.
Die Kanalisation war bei den Starkregen im Juli 2021 überfordert. | Foto: SAL
Die Kanalisation war bei den Starkregen im Juli 2021 überfordert. | Foto: SAL

Unabhängig davon, ob, in welchem Umfang und wie oft Versicherungen solche Schäden regulieren, fühlte man sich seitens des Entwässerungsbetriebes Lünen in der Verantwortung, die Betroffenen Bürger in diesen besonders überflutungsgefährdeten Bereichen zu unterstützen.

„Das Problem für die am heftigsten Betroffenen liegt ja nicht ursächlich in deren Verantwortung. Sie sind Opfer der topografischen Situation und der Tatsache, dass sich auf ihren Grundstücken das Wasser von öffentlichen Straßen, von anderen höher gelegenen Grundstücken und letztlich auch aus der überlasteten Mischwasserkanalisation sammelt“, beschreibt Daniela Fiege das grundlegende Argument, den Eigentümern seitens des SAL mit konkreten Maßnahmen zu helfen.

Objektschutz statt größerer Kanäle

In Bürgerveranstaltungen werden nach solchen Starkregenereignissen von den natürlich auch emotional betroffenen Menschen schnell Forderungen an den Entwässerungsbetrieb laut, die Kanäle zu vergrößern, um solche Szenarien zukünftig zu verhindern. „Unsere Aufgabe ist es dann zunächst zu erklären und zu überzeugen, dass größer dimensionierte Rohre das Problem nicht gänzlich lösen“, so Daniela Fiege. Eine Dimensionserweiterung der Hauptkanäle in dem betroffenen Gebiet um einen Meter hätte bei einem Investitionsvolumen von 10 Millionen Euro ein zusätzliches hydraulisches Volumen von 800 Kubikmeter geschaffen. Bei einem 30-jährigen Regenereignis kommt es dem gegenüber zu einem Austritt von rund 12.000 Kubikmeter Mischwasser aus der Kanalisation im Stadtteil Lünen-Süd.

Überfluteter Kellerniedergang | Foto: SAL
Überfluteter Kellerniedergang | Foto: SAL

Daniela Fiege und Matthias Krölls suchten in Lünen einen anderen Ansatz, der es dem SAL ermöglicht, verantwortungsvoll gegenüber den Anwohnern zu handeln und mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand bei den Grundstücken und Gebäuden mit dem höchsten Gefährdungspotenzial den Überflutungsschutz signifikant zu verbessern. So entstand die Idee, die Gebäude selbst seitens des SAL und finanziert aus der Regenwassergebühr mit geeigneten baulichen Maßnahmen wie Hochwasserschutzfenstern und -türen, Hochwasserschotts oder gezielten Aufmauerungen vor Überflutung zu schützen.

„Nun können wir solche Maßnahmen natürlich nicht für jedes Grundstück durchführen“, erläutert Matthias Krölls. Deshalb ging es im nächsten Schritt darum, Kriterien festzulegen, nach denen entschieden wird, wer finanzielle Unterstützung aus der Regenwassergebühr für Objektschutzmaßnahmen beantragen kann. Das erste Kriterium ist eine im zentralen Abwasserplan erkennbare erhöhte Überflutungswahrscheinlichkeit durch eine Überlastung der Kanalisation bei einem 30-jährlichen Regenereignis. Zusätzlich muss sichergestellt sein, dass Maßnahmen an der Entwässerungsinfrastruktur im öffentlichen Bereich technisch oder wirtschaftlich nicht realisierbar bzw. nicht zielführend sind.

Daniela Fiege (links) und Matthias Krölls (rechts) im Gespräch mit betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern. | Foto: SAL
Daniela Fiege (links) und Matthias Krölls (rechts) im Gespräch mit betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern. | Foto: SAL

Gemäß diesen Kriterien wurden 24 Grundstücke identifiziert, die nach den definierten Grundsätzen schutzbedürftig sind. Die Objektschutzmaßnahmen wurden von Mathias Krölls zusammen mit einem Ingenieurbüro individuell auf die Gebäude zugeschnitten konzipiert und lagen bei einem Kostenvolumen von 300.000 Euro brutto.

Die Argumente des SAL überzeugten auch die politischen Gremien in Lünen und im Dezember 2021 erfolgte ein entsprechender Beschluss. Anschließend wurde schnell unter Beteiligung eines Ingenieurbüros ausgeschrieben und daraufhin mit der Umsetzung begonnen.

Zusammen mit dem Ingenieurbüro und den Eigentümern vor Ort wurden die erforderlichen Maßnahmen festgelegt und in Form eines objektbezogenen Maßnahmenberichtes dokumentiert. Auf dieser Grundlage wurde mit dem Eigentümer eine Vereinbarung getroffen, welche Maßnahmen vom SAL beauftragt werden und dass die baulichen Veränderungen im Anschluss in das Eigentum des Grundstücksbesitzers übergehen. „Wir errichten einmalig Einrichtungen zum Überflutungsschutz und anschließend übergeben wir die Anlagen dem Eigentümer, der für die Unterhaltung und Pflege zuständig ist“, so Matthias Krölls

Grundsätzlich sind die Schutzmaßnahmen auf ein 30-jährliches Regenereignis ausgelegt, bei Planung und Ausführung wurden jedoch großzügig Sicherheitsreserven berücksichtigt. Über das vom SAL finanzierte Schutzniveau hinausgehende Maßnahmen waren möglich, aber vom Eigentümer selbst zu bezahlen.

Zusätzliche Fördermittel vom Land

Hochwasserschutzfenster… | Foto: SAL
Hochwasserschutzfenster… | Foto: SAL

Mittlerweile sind die Maßnahmen komplett abgeschlossen. Auf dem Weg dorthin erschloss sich noch eine weitere Finanzierungsquelle. Auf Nachfrage beim Land wurde dem Bau der Objektschutzeinrichtungen eine Förderfähigkeit gemäß der Förderrichtlinie „Wiederaufbau Nordrhein-Westfalen“ bestätigt. Der SAL stellt die Anträge im Namen der Eigentümer und erhält eine Rückerstattung der getätigten Investitionen auf den Grundstücken in Höhe von 80 Prozent. Dieses Förderprogramm hat für Nordrhein-Westfalen ein Volumen von 12,3 Milliarden Euro und läuft noch bis zum 30. Juni 2026.

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„Wir haben von den 300.000 Euro rund 230.000 Euro aus dieser Förderung zurückbekommen, die Grundstückseigentümer haben ihre Schutzeinrichtungen bekommen und wir müssen lediglich 70.000 Euro auf die Regenwassergebühr umlegen“, bilanziert Daniela Fiege.

…und Schottwände gehören zu den Maßnahmen, die in Zukunft den Überflutungsschutz der Gebäude in den Starkregenhotspots sicherstellen sollen. | Foto: SAL
…und Schottwände gehören zu den Maßnahmen, die in Zukunft den Überflutungsschutz der Gebäude in den Starkregenhotspots sicherstellen sollen. | Foto: SAL
Die Chefin des SAL sieht in diesem Vorgehen einen neuen Weg, der mit vertretbarem Aufwand einen großen Nutzen bringt. „Zugegebenermaßen ist noch nicht schlussendlich geklärt, ob die Finanzierung der Maßnahmen aus dem Gebührenhaushalt absolut rechtssicher ist. Aber für den Fall einer juristischen Überprüfung vor Gericht mit Blick auf das Landeswassergesetz gibt es gute und starke Argumente auf unserer Seite“, ist Daniela Fiege überzeugt. Der Paragraf 54 ermöglicht nämlich, die Umlage von Kosten der Abwasser- und Fremdwasserbeseitigung, für Maßnahmen der Niederschlagswasserableitung oder der Niederschlagswasserbewirtschaftung, die dem Schutz vor Überflutungen dienen, aus der Regenwassergebühr zu finanzieren. Die relativ offen gehaltene Formulierung des Gesetzes zu diesem Thema erlaubt die Interpretation, dass dieses auch für private Grundstücke angewendet werden kann, um im Sinne der betroffenen Bürgerinnen und Bürger den Schutz vor Überflutungsschäden signifikant zu erhöhen, ohne größere Kanäle und weitere Pumpwerke zu bauen.

Positives Feedback kam auch von NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, die sich persönlich einen Eindruck vor Ort verschaffte wie mit einem entsprechenden Selbstverständnis eines Entwässerungsbetriebes in enger Zusammenarbeit mit betroffenen Bürgern mit relativ einfachen technischen Mitteln pragmatisch und effizient die Gemeinschaftsaufgabe Überflutungsschutz zu einem guten Erfolg geführt werden kann.


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