Baumrigolen als Be- und Entwässerungssysteme in urbanen Räumen
Baumrigolen und (Stadt-)Bäume zeichnen sich durch eine multifunktionale Wirkung aus. Bäume prägen das Stadtbild, spenden Schatten und kühlen durch Verdunstung. Der Rigolenkörper speichert Wasser, das unmittelbar in den Untergrund eingetragen und teilweise auch zur Baumbewässerung verfügbar ist. Darüber hinaus leistet die Rigole einen Beitrag zur Überflutungsvorsorge.
Der Beitrag enthält Ergebnisse des Forschungsvorhabens „BeGrüKlim“, gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages (Förderkennzeichen: 67DAS196A).
Die Autoren erforschen an der FH Münster University of Applied Sciences Baumrigolensysteme, um Bäume mit dem vor Ort gespeicherten Regenwasser zu bewässern und damit gleichzeitig das Überflutungsrisiko durch dezentrale Rückhaltung zu begrenzen. Zu klären sind dabei u. a. Fragen zur baulichen Integration in den Verkehrsraum und zur optimalen Wasserzuführung in den Wurzelraum unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bäume.
Arten und Funktion von Baumrigolen
Die gezielte Bewässerung von Stadtbäumen mit Oberflächenabflüssen von befestigten Flächen kann durch folgende Systeme erfolgen [1]: Hydraulisch optimierte Baumstandorte; Baumrigolen ohne Speicher; Baumrigolen mit Speicher.
Vor dem Hintergrund einer klimabedingten Zunahme ausgeprägter Hitze- und Trockenphasen mit Unterbrechung durch intensive Niederschläge während der Sommermonate stellen Baumrigolen ein wichtiges Element der blau-grünen Infrastruktur dar. Das Speicher-Baum-System kombiniert dabei die Bewässerung des Baumes mit gespeichertem Niederschlagswasser, Verdunstungskühlung und Stoffrückhalt (Luftschadstoffe) durch den Baum und die Überflutungsvorsorge durch dezentrale Retentionsräume.
Das auf den ersten Blick bestechend einfache Konzept erweist sich bei konkreter Umsetzung als komplex. Das zeigt bereits der Blick auf die beteiligten Institutionen im kommunalen Umfeld. Einzubinden sind die Bereiche „Straße und Verkehr“ sowie „Grünflächen und Freiraumgestaltung“ aber auch die „Stadtentwässerung“ und nicht zuletzt die „Genehmigungsbehörden“. Neben der baulichen Integration in den öffentlichen Verkehrsraum ist anschließend die dauerhafte Zuständigkeit inklusive der Finanzierungsfrage zu klären. Zudem fehlen bislang eindeutige Bemessungsvorgaben für Baumrigolen. Bei der Bemessung und Bewirtschaftung entsteht der grundlegende Nutzungskonflikt: „freier Speicher (Überflutungsvorsorge) vs. voller Speicher (Baumversorgung)“.
Im Rahmen des Projektes „Entwicklung eines Bewässerungskonzeptes von urbanem Grün während klimatisch bedingter Trockenphasen (BeGrüKlim)“ erfolgte eine Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen. Darüber hinaus sind zahlreiche Detailfragen zu berücksichtigen, die nicht zu klassischen Wasserwirtschaftsaufgaben zählen, wie beispielsweise die optimale Wasserzuführung in den Wurzelraum und die generellen Bedürfnisse des Baumes (Nährstoffe, Wasser und Luft). Dabei ist der Vorwurf, dass Bäume möglicherweise als „Entwässerungsmaschinen“ missbraucht werden, ernst zu nehmen.
Systeme und Standorte
An jedem Standort werden Niederschlag, Bodenfeuchte und Bodentemperatur sowie die Füllstände der Systemspeicher in einem fünfminütigen Messintervall kontinuierlich erfasst sowie die Niederschlagshöhe zur Ermittlung des Zuflusses in das System aufgezeichnet. Zum Nachweis der Bewässerungsleistung wurden in den Substratkörpern der Pflanzgruben der untersuchten Projektbäume jeweils fünf bis zehn Sonden der Firma TRUEBNER des Typs SMT 100 eingesetzt.
Abbildung 2 veranschaulicht den Bau und die Ausführung der Baumrigolen und Abbildung 3 zeigt Baumrigolenstandorte nach dem Einbau.
Modellierung des Speicherverhaltens
Tabelle 1: Entleerungszeiträume der jeweiligen Speicher in den angenommenen Vegetationsphasen:
Speicher/Einleitungsebene | Vegetationsphase Mai bis September | Nichtvegetationsphase Oktober bis April |
Oben/Bewässerung | 23 h | 40 d |
Unten/Versickerung | 22 h | 22 h |
Modellierung des Bewässerungsverhaltens
Zur Bewässerung des Baumes sind die Abflüsse maßgeblich, die dem Wurzelbereich zugeführt werden. Die Ermittlung dieser Abflussanteile über den oberen Speicher des Systems erfolgte durch Bilanzierung der gemessenen Speicherfüllstände. Zur Bestimmung dieses Volumens wurden die gemessen Niederschläge mit der angeschlossenen, befestigten Fläche (Ab = 285 m3) multipliziert. Für die Ermittlung der Vegetationsperiode sind Temperaturaufzeichnungen an der Wetterstation am Flughafen Münster/Osnabrück verwendet worden [4][5]. Die Vegetationsperiode wird im Allgemeinen durch eine im Tagesmittel höher als 5°C liegende Temperatur definiert [6]. Die exemplarisch für das Jahr 2022 bilanzierten Daten enthält Tabelle 2. Der Zufluss in den Wurzelraum während der Vegetationsperiode bei Lufttemperaturen über 5 °C lag bei etwa 11 m³. Das entspricht einem gemittelten Tageszufluss von rund 50 bis 80 Liter. Wie Abbildung 5 zeigt, lässt sich damit ein Baum bis zu einer Wuchshöhe von ungefähr 20 Metern mit Wasser versorgen [1].
Tabelle 2: Bilanzierung des Zuflusses in den Wurzelbereich für 2022
Zeitraum | Systemzufluss (m3) | Zufluss Wurzelraum (m3) | Zufluss Wurzelraum (%) |
Gesamter Messzeitraum 01.01.2022 bis 30.11.2022 | 123,747 | 16,049 | 12,96 |
Vegetationsperiode (> 5°C) 11.04.2022 bis 18.11.2022 | 69,882 | 10,909 | 15,61 |
Ausblick
Literaturangaben
[1] BlueGreenStreets (Hrsg.) (2020), BlueGreenStreets als multicodierte Strategie zur Klimafolgenanpassung – Wissenstand 2020, April 2020, Hamburg. Statusbericht im Rahmen der BMBFFördermaßnahme „Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft“ (RES:Z).
[2] Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. - FLL (Hg.) (2015): Empfehlungen für Baumpflanzungen – Teil 1. Planung, Pflanzarbeiten, Pflege. 2. Ausgabe, Bonn: FGSV
[3] Grüning H, Schulte A. und Siering N. (2023) Wirkung von Baumrigolen als Be- und Entwässerungssystem. In: Klimawandel – Trockenheit und Starkregen im urbanen Raum. Tagungsband der 7. Wassertage Münster, ISBN: 978-3-947263-34-9, S. 125 bis 136
[4] DWD Climate Data Center (CDC): Historische stündliche Stationsmessungen der Lufttemperatur und Luftfeuchte für Deutschland, Version v006, 2018.
[5] DWD Climate Data Center (CDC): Aktuelle stündliche Stationsmessungen der Lufttemperatur und Luftfeuchte für Deutschland, Qualitätskontrolle noch nicht vollständig durchlaufen, Version recent, abgerufen am 30.12.2022.
[6] DWD (Hg.): Wetter- und Klimalexikon. Vegetationsperiode. Online verfügbar unter https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv2=102868&lv3=102890, zuletzt geprüft am 09.01.2023.
[7] Grüning H, Schulte A. und Siering N. (2021) Möglichkeiten der Be- und Entwässerung durch Baumrigolen. In: gwf-Wasser und Abwasser, Jahrgang 162, Heft 6/2021, ISSN 0016-3651, S. 69 bis 77
[8] Pallasch M., Geisler D. und Kluge B. (2022) Straßenbäume und dezentrale Versickerung als Beitrag wassersensibler Stadtentwicklung. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall (69), Br. 9, S. 747-759
[9] Dickhaut W., Doobe G., Eschenbach A., Fellmer M., Gerstner J., Gröngröft A., Jensen K., Lauer J., Reisdorff C., Sandner A., Titel S., Wagner A. und Winkelmann A. (2019) Entwicklungskonzept Stadtbäume - Anpassungsstrategien an sich verändernde urbane und klimatische Rahmenbedingungen. Abschlussbericht des Projektes Stadtbäume im Klimawandel (SiK), HafenCity Universität Hamburg
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