„Bei BIM muss schnellstmöglich etwas passieren“
Künstliche Intelligenz, Smart-City Module, 3D-Laserscans und Building Information Modeling (BIM) – gegenüber den Visionen des digitalen Wandels sieht die Realität der Bauwirtschaft im Jahr 2021 ernüchternd aus. Wie passt das zusammen und wie kommen wir da heraus?
Regenwassermanagement auf Bahnhöfen macht Stationen fit für die Zukunft
Hauraton hat spezialisierte Lösungen, die bei der Neugestaltung von Bahnhöfen für ganzheitlichen Regenwassermanagement eingesetzt werden.
Laut einer McKinsey-Studie wächst die Bauindustrie im Vergleich zur deutschen Gesamtwirtschaft fünfmal langsamer. Umso wichtiger ist der angekündigte flächendeckende digitale Ausbau, der helfen soll, Ressourcen zielgerichteter einzusetzen und die Effizienz deutlich zu steigern. Der Wunsch nach optimierenden Lösungen im Infrastrukturbau ist omnipräsent: Der digitale Wandel verspricht neue Maßstäbe im Bereich der Standardisierung und Modularisierung. Bisher scheiterte es jedoch an der Umsetzung - es fehlt an branchenübergreifenden Standards.
Das sogenannte Building Information Modeling, kurz BIM, welches alle Phasen eines Bauwerks in einem digitalen Modell abbilden und allen Prozessbeteiligten Zugriff auf eine gemeinsame Datenbasis geben soll, ist aktuell wie ein Silberstreifen am Horizont. Die Idee hinter BIM: Reibungen zwischen den Instanzen sollen reduziert und dadurch die Gesamtproduktivität verbessert werden.
Vom Zeitplan noch weit entfernt
Bereits 2015 veröffentlichte das BMVI einen schrittweisen Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Unter anderem sah dieser für das Jahr 2020 ein standardisiertes Leistungsniveau für Projekte im Verantwortungsbereich des BMVI vor. Sechs Jahre nach der Ankündigung ist die Bilanz der Digitalisierung jedoch ernüchternd: Auch vom diesjährigen Ziel – BIM-Niveau I für neu zu planende Projekte – sind wir als Baubranche noch weit entfernt.
Warum ist das Verfahren trotz aller schlagkräftigen Argumente noch nicht etabliert? Abgesehen von der Installation eines technischen Komitees im CEN/TC 442, welches sich bislang aber nur als beratende Instanz versteht, ist bisher nicht viel passiert. Es ist zu beobachten, dass die Standardisierung von nationalen und internationalen Normungen – teils aufgrund Eigeninteressen der Gremienteilnehmer – nicht vorankommt und immer diffuser wird.
Lückenbekenntnisse zur Innovations- und Kooperationsbereitschaft
Trotz aller Effizienzsteigerungen und Optimierungen zeichnet sich auch in Kanalsanierung eine Stagnation ab. Über alle Beteiligungsinstanzen am Bau – vom Betrieb bis zur Planung, Herstellung und Ausführung – sind die verbindenden Elemente doch eher Lückenbekenntnisse zur gegenseitigen Innovations- und Kooperationsbereitschaft. Nahezu jeder Betreiber oder dessen Planer kreiert seine eigenen gewerkspezifischen zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV), Leistungsanforderungen und -beschreibungen und Abrechnungsmodalitäten. Standardtexte nach STLB-Bau, welche der VOB und den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, werden in der Kanalsanierung aufgrund Ihrer Halbfertigkeit im Markt nahezu gar nicht verwendet.
Interessant zu beobachten ist, dass das Thema Standardisierung in Österreich schon sehr gut funktioniert und die Ausführungskette sich gut auf das österreichische Standardleistungsbuch eingestellt hat. Umso befremdlicher ist es also, dass diese Praxis in Europa nicht weiter verbreitet ist.
Fragmentierung statt Standardisierung
Verbandskooperationen versprechen eine bessere Zusammenarbeit, finden sich aber in der Realität in einem verbitterten Wettbewerb wieder: Statt eigenständigem Engagement in der nationalen und internationalen Normung fokussieren sich Planer auf die Verbandsarbeit, teilweise sogar entgegen der Ambitionen der maßgebenden normierenden Instanzen. Oft ist das sogar begründet, da heutzutage in Ermangelung der Planer und Auftraggeber die herstellende Industrie den Großteil der Standardisierungsgremien beansprucht. Dass diese Seite, provokant gesagt, eher an der Standardisierung von Alleinstellungsmerkmalen interessiert ist, liegt nahe.
Swietelsky-Faber: BIM-Einführung ist kein Hexenwerk
Muss das Rad im Rahmen des digitalen Wandels denn komplett neu erfunden werden, oder gibt es bereits gut funktionierende Systeme? Fest steht, dass BIM zwar nicht in einem Zuge in alle Bereiche der Baubranche Einzug halten kann, es aber bereits diverse kleine Bausteine gibt. Auch aufgrund der Diversität in der Baubranche muss Zug für Zug damit begonnen werden, mit Berücksichtigung des Gesamtkonzeptes entsprechende Systeme zu entwickeln und sukzessive zu integrieren. Die Einführung eines transparenten und modular digitalen Datenaustauschsystems in einem Bauunternehmen der Kanalsanierung ist eine weitreichende, aber langfristig auch aus ökonomischen Beweggründen unvermeidliche Weichenstellung zur Produktivitätssteigerung.
Die Swietelsky-Faber GmbH Kanalsanierung setzt zum Beispiel schon seit einigen Jahren in Kooperation mit einigen Betreibern und der IBE ein sog. little closed BIM-System fortschreibend ein. Dies ist ein Sammelbegriff für Ansätze, um die BIM-Methode in Projekten unter Verwendung von proprietären Dateiformaten mittels einer einheitlichen Softwarelandschaft umzusetzen. Diese Variante beschreibt hierbei eine Insellösung, ein BIM-System auf einer kleinen Ebene.
Um nur ein paar wenige zu nennen, führen zum Beispiel die Entsorgungsbetriebe der Landeshauptstadt Wiesbaden (ELW), Neu-Ulm, die Stadt Augsburg und der Abwasserbetrieb der Stadt Troisdorf sowie Bad Kreuznach ihr komplettes Kanalnetz mit insgesamt 1.562 km Länge in diesem mit den GIS-Systemen verknüpftem IBE- bzw., little BIM-System. Hierbei werden alle Zustandserfassungsdaten und sonstigen Systeminformationen über die Nutzungsdauer des Bauwerks hinweg eingespeist, wodurch sich die zeitliche Entwicklung des Netzes in der Datenbank der Netzbetreiber nachvollziehen lässt.
Die Planung durch den Auftraggeber und die Ausführung des Auftragnehmers werden in einem Programm digital verarbeitet und dargestellt. Datensätze werden konstant unter den Projektbeteiligten ausgetauscht, womit der Baufortschritt im EDV-System der Projektbeteiligten aktuell bleibt. Selbst die Qualitätssicherung wird in der Datenbank verwaltet: Chargennummern und eine umfangreiche Vorher-Nachher-Dokumentation sind auf einen Klick abrufbar. Der Vorteil liegt auf der Hand: Klare Kommunikation, Transparenz und genaue Zuordnungen aller Details der Sanierungsmaßnahmen.
Ausblick: Eigene BIMs mittels Schnittstellen vernetzen
Solch ein little closed BIM kann sicher nur ein erster Schritt in die Richtung eines globalen BIM-Systems sein. Weitere Schritte sind denkbar: Ein big open (connected) BIM inklusive hinterlegtem Bauzeitenplan („4D-BIM“) mit Echtzeitverknüpfung zu den Kolonnen. Die komplette Baustellenlogistik mit automatisierten Soll-Ist-Kostenvergleichen („5D-BIM“). Modulare Planungen inklusive Berücksichtigung von Kostenvergleichsrechnungen (KVR), alternativen Sanierungskonzepten und deren Auswirkungen („6D-BIM“). Schier endlos scheinen die Möglichkeiten.
Da die Komplexität mit jeder weiteren BIM-Ebene allerdings stark zunimmt, sind solche little-BIMs ein guter Ausgangspunkt, um Erfahrungen mit dem Datenaustausch unter Projektbeteiligten zu sammeln und die Kompetenzen im digitalen Wandel zu erweitern.
Elementare Schritte für big open BIM-Systeme im Kanalbau sind die Vereinheitlichung des Kanaldatensystems und die Finalisierung und Anwendung von einheitlichen Standards. Das bedeutet: Möglichst einheitliche Leistungsbeschreibungen, Nutzung gleicher Datenformate und Kodierungen sowie ein umfassend durchdachtes Visualisierungskonzept – um nur das Grundkorsett zu erwähnen. Es müssen alle Beteiligten der Branche am gleichen Strang ziehen – Hersteller, Auftraggeber, Planer, ausführende Firmen und natürlich die Verbände und standardisierenden Instanzen. Es gilt die mittlerweile schon „alten Pläne“ umzusetzen und eine Vernetzung mittels geeigneter Schnittstellen voranzubringen.
Packen wir es gemeinsam an
Freilich ist ein derart ausgesprochener Appell an die gemeinschaftliche Kraftanstrengung optimistisch. Aber wenn die Baubranche und insbesondere die Branche der Kanalsanierung ihre Produktivität nicht verbessern, darf uns eine absehbar abnehmende Investitionsbereitschaft nicht wundern.
Es muss daher schnellstmöglich etwas passieren. Nicht nur Ideenreichtum, sondern auch der Wille etwas zu verändern, Wissen zu verknüpfen und zu einer Baubranche 4.0 zu werden, ist dringend gefragt.
Machen wir uns nichts vor: Von einem big open BIM, bei dem in Echtzeit der Baufortschritt digital abgebildet und gesteuert wird, ist unsere Branche noch weit entfernt. Die Einführung eines little BIM-Systems und dessen allmählicher Transfer zu einem big open BIM ist aber der erste Schritt in die richtige Richtung in der Zeit des digitalen Wandels. Lassen Sie uns gemeinsame Schritte gehen und es anpacken! Es gibt viel zu tun, denn der Ausbau der digitalen Technologien ist in der heutigen Arbeitswelt entscheidend über die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und unserer gesamten Branche.
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