Digitale Zwillinge machen das Unsichtbare sichtbar
Der Blick in den Untergrund bleibt trotz modernster Technik immer eine Annäherung – doch genau darin liegen Chancen. Im Interview erklären Thomas Krom und Angela Harvey, wie Fernerkundung, geophysikalische Daten und digitale Zwillinge helfen, Unsicherheiten im Tiefbau zu reduzieren, Risiken besser zu managen und Projekte widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu machen.

Die Erstellung von 3D-Modellen im Tiefbau ist schwieriger als im Hochbau. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Probleme und welche Möglichkeiten gibt es in diesem Bereich?
Angela Harvey: Beim Untergrund gibt es eine Vielzahl von Datenquellen, die berücksichtigt werden können und sollten – seien es geophysikalische Daten, bei denen beispielsweise Magnetometer eingesetzt werden, um zu verstehen, was sich unter der Erde befindet, oder Bohrungen, durch die empirische Daten gewonnen werden. Auch Informationen über ausgehobenen Boden können wertvolle Erkenntnisse liefern. Entscheidend ist, dass all diese unterschiedlichen Informationen kombiniert werden. Doch im Gegensatz zur physischen Welt, in der wir den Raum um uns herum direkt vermessen können, bleibt uns der Untergrund verborgen. Es handelt sich daher immer nur um ein Modell und eine Annäherung. Es ist wichtig, dass Ingenieure dies berücksichtigen, insbesondere da sie gewohnt sind, in einer sehr konkreten, messbaren Welt zu arbeiten. Ein weiterer Aspekt, den ich für besonders wichtig halte, ist neben der Zusammenführung verschiedener Informationen die Möglichkeit, diese Daten kontinuierlich zu aktualisieren. Da es sich nur um eine Annäherung handelt, wird das Modell umso genauer, je mehr Informationen hinzugefügt werden. Eine traditionelle Methode wie die zweidimensionale Darstellung auf Papier ist daher nicht optimal, weil wir in der Lage sein müssen, diese Informationen flexibel zu aktualisieren. Während ein Bauprojekt voranschreitet und wir kontinuierlich dazulernen – oder wenn, wie bereits erwähnt, Unerwartetes eintritt und beim Aushub beispielsweise eine unbekannte Versorgungsleitung entdeckt wird oder seismische Ereignisse oder Extremwetter die Wasserbedingungen verändern – ist die Möglichkeit, die Modelle fortlaufend zu aktualisieren und alle Datenelemente zu integrieren, von entscheidender Bedeutung, eben weil wir mit Annäherungen arbeiten.
Thomas Krom: Eine der großen Chancen liegt darin, moderne Technologie zu nutzen, um das umzusetzen, was bereits angesprochen wurde. Traditionell mussten Aktualisierungen manuell vorgenommen werden und selbst bei digitalen Anlagen war buchstäblich Handarbeit erforderlich. Man musste in das Modell eingreifen und beispielsweise den Kontakt zwischen zwei geologischen Einheiten ändern oder den Grundwasserspiegel anpassen. Heute hingegen arbeiten wir mit datengesteuerten Modellierungsansätzen, wie wir sie bei Seequent entwickelt haben. Dadurch wird dieser gesamte Prozess deutlich schneller und für eine breitere Gruppe von Fachspezialisten zugänglich.
Wie tragen BIM-Modelle und digitale Zwillinge zur Widerstandsfähigkeit unterirdischer Regenwasser- und Entwässerungsbauwerke bei, insbesondere in risikobehafteten Gebieten?
Darüber hinaus ermöglichen digitale Zwillinge einen ganzheitlichen Systemansatz, da Wasserressourcen immer problematischer werden. Immer mehr Regionen setzen auf kontrollierte Grundwasseranreicherung, um Grundwasserspeicher wieder aufzufüllen, damit die Wasserverfügbarkeit zuverlässiger wird. Für solche Maßnahmen dürfen entsprechende Flächen nicht anderweitig wie für Gebäude ausgewiesen werden, wenn sie für die kontrollierte Grundwasseranreicherung zur Erhaltung der Grundwasserspeicher genutzt werden sollen. Es wird zunehmend wichtiger, das gesamte Grundwassersystem ganzheitlich über verschiedene Problemstellungen hinweg zu betrachten – nicht nur von Dämmen und Deichen bis hin zum aktiven Management der Wiederauffüllung, sondern auch in Bezug auf die Stadtentwicklung, wenn die Grundwasserpegel im Jahresverlauf immer variabler werden.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Integration von geologischer Bodenkunde und hydrologischen Daten in digitale Arbeitsabläufe?
Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz unserer Software ist Los Angeles, wo sie seit langem vom Water Replenishment District von Südkalifornien genutzt wird, um die sehr komplexe hydrogeologische Situation vor Ort zu verstehen und die Grundwasseranreicherung erfolgreich umzusetzen. Aquifer-Injektionen werden an der Küste eingesetzt, um das Eindringen von Salzwasser zu verhindern. Gleichzeitig müssen zahlreiche Verschmutzungsprobleme in den Grundwasserleitern bewältigt werden.
Ein weiteres aussagekräftiges Beispiel stammt aus Europa, südlich von Barcelona. Dort wurde eine sogenannte Bodenbehandlung durchgeführt, bei der tertiär behandeltes Abwasser infiltriert wird, um den Grundwasserspeicher aufzufüllen – nicht nur zur Verhinderung des Salzwassereintrags, sondern auch für eine größere Verfügbarkeit von Trinkwasser während der Touristensaison. Einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren war die Einbeziehung der Interessengruppen, denn die Menschen wollten und mussten wissen, dass dieses infiltrierte Wasser sicher sein würde. Zugleich handelte es sich um eine sehr komplizierte geologische Situation. Alle Beteiligten über diese digitale Anlage auf denselben Wissensstand zu bringen, war daher der Schlüssel zum Projekterfolg.
Angela Harvey: Die Komplexität beim Erstellen dieser Modelle liegt tatsächlich in der schieren Menge der Daten, den verschiedenen Formaten und den unterschiedlichen Qualitätsstufen, in denen sie vorliegen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist jedoch, dass alle verschiedenen Interessengruppen, die an einem zivilen Infrastrukturprojekt beteiligt sind, ein digitales Tool benötigen, das einfach zu visualisieren ist und von verschiedenen Gruppen verstanden und kommuniziert werden kann. Da es sich um komplexe Projekte mit vielen Interessengruppen handelt, einschließlich öffentlicher Konsultationen, ist ein zentrales Dokumentationssystem unerlässlich. Ein weiterer Punkt, den Ingenieure meiner Ansicht nach berücksichtigen sollten, ist die Auswahl einer offenen Plattform. Dies ist etwas, dem sich Bentley Systems sehr verpflichtet fühlt. Es wurde bereits viel über Innovationen, Sensoren, Drohnen und neue Technologien gesprochen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig zu betonen, dass eine Plattform gewählt werden sollte, die offen bleibt und in der Lage ist, neue Datenformate zu akzeptieren, sobald sie verfügbar werden.
Wie kann die Seequent-Technologie in den Modellierungsansatz von Bentley Systems integriert werden, um die Beweismodellierung des Untergrunds zu verbessern?
Thomas Krom: Die Seequent-Technologie kann in den Modellierungsansatz von Bentley Systems integriert werden, indem Daten aus beiden Richtungen verwendet werden, um die beste Lösung für ein Problem zu finden. Geowissenschaftler müssen die Pläne und technischen Entwürfe verstehen, die Ingenieure erstellen, während gleichzeitig Ingenieure die Bodenbedingungen verstehen müssen – wie sich diese in Raum und Zeit ändern und wie sich das Grundwasser im Laufe der Zeit verändern kann. Diese bidirektionale Integration zwischen der Welt der Technik und der Welt der Geowissenschaften macht einen echten Unterschied, wenn es darum geht sicherzustellen, dass Projekte risikoärmer und effizienter durchgeführt werden. Ich habe ein sehr anschauliches Beispiel: Vor einigen Jahren sprachen wir mit einem unserer Kunden, und der beratende Architekt erzählte uns, dass eines der wertvollsten Ergebnisse darin bestand, die Entwürfe der geplanten Anlage zu nehmen und dem Kunden zu zeigen, wo sich der Grundwasserspiegel zu verschiedenen Zeiten befand. Diese Visualisierung nutzte er, um zu erklären, warum sie keinen Keller unter dieser Einrichtung haben sollten. Es mag trivial klingen, aber allein die Darstellung der Bodenbedingungen entlang des Grundwasserspiegels machte die gesamte Diskussion viel einfacher und half dabei, den Kunden davon zu überzeugen, dass sein Wunsch nach einem Keller keine gute Idee war. Dies verdeutlicht einen wichtigen Punkt: Die ganzheitliche Problemlösung wird durch den Einsatz erheblich verbessert. Die meisten Menschen schätzen es, wenn ein Problem ganzheitlich gelöst wird, da sie dadurch wirklich eine bessere Lösung erhalten. Außerdem wird es für die Beteiligten einfacher, sich mit den Informationen, Tools und Ökosystemen auseinanderzusetzen, an die sie gewöhnt sind – das richtige Werkzeug für den richtigen Nutzer.
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Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Vor Jahren gab es einen Fall in der Nähe von Melbourne in Australien, wo ein Tunnel gebaut werden sollte, ohne dass die Bodenverhältnisse vollständig verstanden wurden. Die Ingenieure entwarfen das Projekt, doch es stellte sich heraus, dass die Böden stark mit PFAS kontaminiert waren. Da dies nicht rechtzeitig erkannt und entsprechend geplant wurde, verzögerte sich das Projekt um etwa zwei Jahre und führte zu enormen Kostenüberschreitungen. Daher kann man festhalten: Je besser man alle Beteiligten auf denselben Wissensstand bringen kann, um eine fundierte, robuste und ganzheitliche Problemlösung zu erreichen, desto erfolgreicher verlaufen die Projekte.


Quelle: Bentley
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