Was mit neuen Technologien mittlerweile möglich ist
Die Wasserwirtschaft steht in vielen Bereichen vermehrt vor großen Herausforderungen. Neben dem Fachkräftemangel durch immer weniger nachrückenden Nachwuchs bis hin zu stetig alternden Abwassernetzen erfordert es neue und innovative Ansätze, um den Herausforderungen zukunftsfit gegenüberzustehen. Es braucht eine Offenheit im Umdenken und Anpassungsbereitschaft in der Mitgestaltung operativer Prozesse. Von historisch essenziellen und erfahrungsbasierten Ansätzen hin zu datengestützten Methoden, die auf Bestehendem aufbauen.
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Einer der Schlüsselfaktoren hierbei sind Daten: historische und vor allem Echtzeitdaten aus dem Netz. Für die effektive Nutzung dieser Daten braucht es Werkzeuge, um die Menge an Daten nicht nur effektiv zu analysieren, sondern komplexe Zusammenhänge aus den Daten zu verstehen und in klare Handlungsempfehlungen im operativen Betrieb zu überführen. Der Anwendungsbereich der künstlichen Intelligenz (KI) stellt uns genau diese Werkzeuge zur Verfügung, allen voran maschinelles Lernen und intelligente Algorithmik. Diese erlauben uns Datenzusammenhänge zu verstehen und Millionen von Datenverbindungen zu interpretieren.
Um ein greifbares Beispiel aus dem Feld zu beschreiben, werden zwei Szenarien beschrieben. Wir beginnen mit Szenario 1:
In zwei Schächten eines Trennsystems von jeweils unterschiedlichen Strängen eines Schmutzwasserkanals werden jeweils ein Füllstandsensor installiert – in Schacht A und Schacht B. Nun regnet es und der Wasserstand an Messstelle A steigt, der Wasserstand der Messtelle B bleibt unverändert und steigt nicht. Mit diesem Beispiel wird jedem mit Abwasserexpertise sofort klar, an allen Strängen im Zufluss der Messstelle A gibt es potenzielle Fehlanschlüsse von Drainageleitungen, oder Schäden, durch die Wasser durch den gesättigten Boden in den Kanal eindringt. Eine klare Handlungsempfehlung wäre, die Stränge entsprechend durch eine TV-Inspektion zu befahren, die Ursache zu identifizieren und anschließend zu beheben. Für dieses Szenario reichen unsere menschlichen Analysefähigkeiten noch aus.
Nun stellen wir uns Szenario 2 vor:
Es werden nicht nur zwei Messstellen betrachtet, sondern 340 Schächte überwacht. Das Netz ist teils ein Trenn- und teils ein Mischsystem mit einer flächendeckenden Überwachung durch Füllstandssensorik. Es regnet und der Wasserstand in den Schmutzwasserkanälen und Sammlern steigt an verschiedenen Messstellen unterschiedlich stark an. Nun wird es bei der menschlichen Auswertung dieser Daten schon deutlich komplexer. Wie hängen Messstelle A und D zusammen, wie B und K, wo stiegen die Wasserstände zuerst an, letztlich wo sind jetzt die Problemstellen?
Zusammenhänge wie in Szenario 1 können wir mit unseren menschlichen kognitiven Fähigkeiten als Experten im Fachbereich meist verstehen. Wenn wir jedoch diese Zusammenhänge wie in Szenario 2 hundert,- tausend-, oder millionenfach für mehrstellige Messparameter oder -standorte bewerten sollen, kommen unsere analytischen Werkzeuge an ihre Grenzen. Wir haben schlichtweg nicht die Verarbeitungsleistung, die Computer haben. KI-Lösungen ermöglichen genau das: das Verständnis der Daten und gleichzeitig die Verarbeitungsleistung. Stellen Sie sich eine KI-Lösung wie ein riesiges Gehirn vor, das angelernte Zusammenhänge versteht und in Sekundenbruchteilen Ergebnisse liefern kann, um uns Menschen eine Handlungsempfehlung zu geben. Eine absolute Erleichterung, oder?
Das Green-Tech Startup Pluvion nutzt genau diese Stärke der schnellen und effektiven Verarbeitungsleistung von KI und maschinellem Lernen. Pluvion entwickelt intelligente Softwarelösungen für die Wasserwirtschaft, die den Herausforderungen gerecht werden und den operativen Alltag signifikant erleichtern. Pluvion macht aus Echtzeitdaten aus dem Netz handlungsfähige Empfehlungen. Das erste marktreife Produkt nennt sich „Water+“: ein KI-basiertes Softwaremodul zur Lokalisierung von Fremdwasser nur auf Basis von Füllstandsdaten. Bevor die Lösung näher vorgestellt wird, ein paar Worte zum Problem „Fremdwasser“.
Problem Fremdwasser
Probleme durch Fremdwasser | Beispiele |
Abwasserbehandlungskapazität Kläranlagen haben aufgrund verdünnter Konzentrationen und höherer Mengen zunehmend Schwierigkeiten effizient zu reinigen. | Durch Schäden an den Abwasserkanälen dringt Wasser in die Kanalisation ein. |
Zusätzliche Kosten Unnötige Kosten durch unbezahlte Sammlung und Aufbereitung zusätzlicher Wassermengen | Illegale Anschlüsse leiten ohne Abrechnung einer Gebühr in das Abwassernetz ein. |
Einhaltung von Vorschriften Neue Richtlinien wie z.B. die neue EU-KARL verschärfen die Vorschriften für Überläufe in die Kanalisation. | Großteil der Abwasserentsorger leitet bei Trockenwetter >2 % der jährlichen Schmutzfracht ein -> nicht EU-KARL-konform* |
Grundwasserkontamination Die Verschmutzung des Grundwassers schadet nicht nur unseren Ökosystemen, sondern stellt auch eine Gefahr für den Menschen dar. | Abwasser entweicht durch Schäden am Kanal. Abwasserkanäle stürzen ein. |
Kanaleinstürze Kanaleinstürze sind ein immenser Kostenfaktor, aber auch ein Risiko für die Umwelt und uns Menschen. | Neue Schäden bleiben lange Zeit unentdeckt und können bei Vernachlässigung zu Kanaleinstürzen führen. |
Zusammenfassend kann man sagen: jeder Liter Fremdwasser der in unseren Abwassernetzen ankommt, verursacht Kosten, die nicht abgerechnet werden.
Neben der finanziellen Belastung sind außerdem die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu berücksichtigen. Jeder Kubikmeter Fremdwasser nimmt Kapazität aus dem Netz und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Überläufen ungeklärten Abwassers in umliegende Gewässer, die durch mehr Kapazität im Netz teils verhindern werden könnten. Mit der neuen europäischen Richtlinien EU-KARL werden Überläufe auf <2 % der jährlichen Schmutzfracht bei Trockenwetter festgesetzt, um die Verringerung von Überläufen zu incentivieren und unsere Gewässer zu schützen. Weitere Probleme, die mit Fremdwasser einhergehen sind der Tabelle zu entnehmen.
Lösung „Water+“
Wie lösen wir nun dieses Problem? Die Ursachen von Fremdwasser (Schäden am Kanal, Fehlanschlüsse) können behoben werden, indem Fremdwasser lokalisiert und anschließend Maßnahmen beauftragt werden, um Schäden am Kanal zu beheben oder Fehlanschlüsse zu entfernen. Pluvions Lösung ermöglicht den ersten Schritt zur Maßnahmenergreifung: die Lokalisierung von Fremdwasser – also zu wissen, wo es herkommt.
Wie funktioniert Water+ und was ist das Besondere an diesem Modul?
Water+ lokalisiert Fremdwasser nur auf Basis von Füllstandsdaten. Daten, die mittlerweile kostengünstig über batteriebetriebene Füllstandssensorik gesammelt und kontaktlos übertragen werden können. Für die effektivste Platzierung von Füllstandsensoren im Netz hat Pluvion für Water+ ein Optimal Sensor Placement Tool (OSP) entwickelt, welches optimale Sensorstandorte automatisiert im Netz vorschlägt. Jede Messstelle unterteilt das Kanalnetz in Teileinzugsgebiete. Für jedes Teileinzugsgebiet wird dann mit einem KI-basierten Tool auf Basis von Füllstandsdaten eine Wahrscheinlichkeit für Fremdwasser ausgegeben, welche mittels Heatmap (s. Abbildung 2) übermittelt wird. Somit macht eine Farbcodierung auf den ersten Blick erkenntlich, wie belastet die jeweiligen Teileinzugsgebiete sind. Rote Gebiete weisen eine hohe Wahrscheinlichkeit für Fremdwasser auf, grüne Gebiete eine geringe Wahrscheinlichkeit. Um das nun auf das konkrete Beispiel in Abbildung 2 zu beziehen, ist zu erkennen, dass das Teileinzugsgebiet rund um Messstelle MS04 eine geringe Wahrscheinlichkeit und Teileinzugsgebiet um Messstelle MS02 eine hohe Wahrscheinlichkeit für Fremdwasser aufweist.
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Die Funktionsweise ist in Abbildung 3 grafisch und auf einen Blick dargestellt.
Das OSP-Tool identifiziert ideale Sensorstandorte im Netz. Füllstandsdaten werden gesammelt und übertragen. Water+ analysiert die Füllstandsdaten und spielt das Ergebnis der Analysen zurück (Heatmap). Betroffene Gebiete können gezielt inspiziert werden. Schäden und Fehlanschlüssen können nun behoben werden. Water+ erlaubt eine Qualitätskontrolle anhand der gleichen Füllstandsdaten. Optional kann das Netz um weitere Füllstandssensorik ergänzt werden, falls eine höhere Auflösung gewünscht ist, also die Lokalisierung noch genauer sein soll. Der Kreislauf beginnt wieder von vorne und ermöglicht so ein Langzeitmonitoring des Netzes mit Echtzeitdaten.
Mit dieser Lokalisierung wird dem Betreiber auf einen Blick ermöglicht, die Problemstellen im Netz zu identifizieren und so das limitierte Budget priorisiert und effizient einzusetzen. Ein Betreiber stellt sich nicht mehr die Frage, befahre ich Gebiet A oder Gebiet B zuerst, sondern die Entscheidung kann mit Messdaten aus dem Kanalnetz datengetrieben getroffen werden.
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Vorteile der Lösung
Die Überwachung des Netzes mit Water+ hat einige Vorteile, die im Folgenden beschrieben sind:
- Live-Monitoring des Netzes
- zu jeder Zeit wissen, was im Netz passiert
- Wissen, wo Fremdwasser vorkommt
- Mit der Lokalisierung des Fremdwassers wissen Betreiber auf einen Blick, wo die Problemzonen sind, und können gezielt Maßnahmen einleiten.
- Priorisierung des Budgets
- Durch die Eingrenzung der Gebiete, die am meisten von Fremdwasser betroffen sind, können Betreiber gezielt Maßnahmen einleiten. Somit kann Budget für TV-Befahrungen priorisiert und die Problemzonen können gezielt saniert oder Fehlanschlüssen behoben werden.
Produkt Roadmap
Pluvion entwickelt stetig weitere Funktionalitäten für Water+, um weiteren Mehrwert mit der Nutzung zu schaffen. In zukünftigen Versionen von Water+ werden weitere Funktionalitäten implementiert, darunter die Quantifizierung von Fremdwasser, aber auch Erkenntnisse zur Detektion von Ablagerungen werden in späteren Versionen möglich sein.
Grenzen der Lösung
Wo kommt diese Lösung an ihre Grenzen? Water+ ist nicht auf Druckleitungen anwendbar. Im OSP-Tool zur Platzierung der Sensorik wird dies jedoch automatisiert berücksichtigt und Sensorik wird nicht in Druckleitungen platziert. Die Teilnetze, welche mit Druckleitungen verbunden sind, können natürlich trotzdem uneingeschränkt wie oben beschrieben überwacht werden.
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Fazit: Wasserwirtschaft immer smarter machen
Die Erfassung von Echtzeitdaten aus dem Kanal eröffnet Möglichkeiten, die den Betrieb unserer Abwassernetze effizienter und resilienter machen. Zu jeder Zeit zu wissen, was im Kanal passiert, ist ein Meilenstein, den es in den nächsten Jahren zu erreichen gilt. Und mit der steigenden Verfügbarkeit von Daten aus dem Feld bedarf es Analysetools, die aus den Daten konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Denn nur mit abgeleiteten Maßnahmen können wir den Mehrwert aus Daten voll ausschöpfen. Also packen wir es an und machen die Wasserwirtschaft jeden Tag ein bisschen smarter.
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