Abwasser ist Energiewasser
Das Potenzial von Abwasserwärme ist groß, insbesondere bei Großprojekten in urbanen Räumen. Ingmar Böttcher, Berater für Abwasserwärme & klimaneutrale Stadtinfrastruktur, verfolgt einen interessanten innovativen Ansatz. Er erklärt, was Abwasser zum wertvollen Energiewasser macht, woran es bei der Umsetzung von Projekten oftmals noch hakt und wie das Abwassernetz der Zukunft aussehen könnte.

B_I umweltbau: Bis Mitte 2028 müssen alle Kommunen einen Wärmeplan erstellt haben und bis 2045 müssen sämtliche Wärmenetze in Deutschland energieneutral sein. Welche Rolle kann hierbei die Abwasserwärme spielen?
Ingmar Böttcher: Abwasserwärme kann eine tragende Säule der kommunalen Wärmeplanung werden. Sie ist lokal verfügbar, konstant temperiert (10 - 20 °C) und rund um die Uhr vorhanden. Mit Wärmetauschern und Wärmepumpen lässt sich diese Energie effizient heben. Werden die Wärmepumpen mit erneuerbaren Energien betrieben, kann die Abwasserwärmenutzung erheblich zu einer klimaschonenden Wärmeversorgung beitragen. Studien zeigen: Bis zu 10 % des Gebäudewärmebedarfs in Deutschland könnten gedeckt werden – mit noch höherem Potenzial in Industrie- und Rechenzentrumsnähe. Zwei Beispiele für erfolgreiche Umsetzungen: Eine Potenzialanalyse für Frankfurt a.M. identifizierte ein Abwasserwärmepotenzial von 25 MW, das zur integrierten Wärmenutzung herangezogen werden kann. Und in Hamburg soll eine geplante Wärmepumpen-Anlage am Klärwerk im Hafen die Restwärme des Abwassers nutzen, um Fernwärme mit einer Leistung von 60 MW zu erzeugen.
B_I umweltbau: Was macht Abwasser zum idealen Wärmeträger und was sind die Vor- und Nachteile von Abwasserwärmepumpen gegenüber Luft- und Erdwärmepumpen?
Böttcher: Abwasser weist konstant hohe Temperaturen von 10 - 20 °C auf und im Winter höhere Temperaturen als andere Wärmequellen wie Luft oder oberflächennahe Geothermie, was den Betrieb von Wärmepumpen effizienter macht. Besonders in urbanen Räumen ist die Nutzung von Abwasserwärme ideal – nicht nur wegen des hohen COP-Wertes von 3,5 bis 6,0, sondern auch wegen der stetigen Verfügbarkeit, des geringen Platzbedarfes, da bestehende Infrastruktur mitgenutzt wird, sowie der möglichen Kombination mit Glasfaser und Speichertechnik im Kanal.
Vergleich: Abwasserwärmepumpe vs. Luft- und Erdwärmepumpe:
Kriterium | Abwasserwärmepumpe | Erdwärmepumpe | Luftwärmepumpe |
---|---|---|---|
Temperaturniveau | 10 - 20 °C (konstant) | 8 - 12 °C (stabil) | -5 bis +35 °C (volatil) |
COP (Effizienz) | hoch (3,5 - 6 möglich) | hoch | schwankend (2,5 - 4,0) |
Platzbedarf | gering (im Kanal) mittel außerhalb | mittel bis hoch | gering |
Genehmigung | bei Nutzung öfftl. Kanal Genehmigung durch AW-Anlagen Betreiber erforderlich | tiefe Bohrung genehmigungspflichtig | meist genehmigungsfrei |
Investitionskosten | mittel bis hoch | hoch (v. a. Tiefbohrungen) | niedrig |
Wartungsaufwand | mittel (Biofilm beachten) | gering | gering bis mittel |
Skalierbarkeit | gut (ideal für MFH & Quartiere) | gut | gut für Einfamilienhäuser |
Umweltvorteil | sehr hoch | hoch | mittel |

B_I umweltbau: Wo sind die technischen bzw. wirtschaftlichen Grenzen der Abwasserwärmenutzung?
Böttcher: Die Abwasserwärmenutzung ist abhängig vom Kanalnetz bzw. der Kläranlage. Die Reinigung und der Biofilm (Siehlhaut) können die Effizienz mindern.
In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Investitionen bei kleineren Anlagen etwas höher als bei Luft-Wärmepumpen, lohnen sich aber an geeigneten Standorten. Ohne Nahwärmenetz oder Großverbraucher ist die Abwasserwärmenutzung kaum rentabel. Bei Großprojekten hingegen ist die Abwasserwärmenutzung bei Wärmepumpenprojekten oft die wirtschaftlichste Variante in der Errichtung und im Betrieb. Zu bedenken sind aber auch die Wartungskosten: Biofilm und Technik erfordern Pflege. Die Wartungskosten sind allerdings gegenüber herkömmlichen Wärmegewinnungslösungen sehr gering.
B_I umweltbau: Was ist aus planerischer Sicht problematisch bei der Planung von Abwasserwärme-Projekten? Was sollte sich aus Ihrer Sicht ändern?
Böttcher: Die Nutzung betrifft mehrere Bereiche (Energie, Umwelt, Abwasser), es gibt viele Akteure (Kommune, Abwasserbetrieb, Umweltamt, Energieversorger) und die Zuständigkeiten sind somit meist unklar. Es gibt keine einheitlichen Verfahren, der Genehmigungsaufwand ist hoch und es erfordert eine Abstimmung zwischen der jeweiligen Kommune und dem Abwasserbetrieb. Außerdem fehlen Standards für die Temperaturabsenkung und Kanalnutzung. Sicherlich Gründe, warum Abwasserwärme in vielen kommunalen Wärmeplänen kaum mitgedacht wird, trotz ihres hohen Potenzials. Zudem bedarf es für die Abwasserwärmenutzung aufwändiger hydraulischer Nachweise. Ein weiteres Problem: Abwasseranlagenbetreiber befürchten, dass im Kanalnetz zu viel Wärme entzogen wird und die Mindesttemperatur im Kläranlagenzulauf (ca. 15 °C) unterschritten wird.
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Was wir brauchen, sind einheitliche Genehmigungsstandards und klare Zuständigkeiten sowie digitale Antragsverfahren und Fördermodelle. Für jede Wärmeplanung wäre eine Prüfpflicht hinsichtlich Abwasserwärme sinnvoll. Bei der kommunalen Infrastrukturplanung sollten klimaneutrale Quellen immer Vorrang haben.
B_I umweltbau: Sie begleiten derzeit ein spannendes Projekt namens „Rheinkanal“, bei dem nicht weniger als vom „Abwassernetz der Zukunft“ die Rede ist. Was sind die Besonderheiten an dem Projekt und wie weit sind Sie in der Umsetzung?
Böttcher: „Rheinkanal“ verwandelt bestehende Kanalnetze in smarte Energie- und Datennetze. Die Wärmerückgewinnung erfolgt direkt aus dem Kanal. Eine Integration von Glasfasern und PE-Wärmeleitungen (Multikabel) ist möglich. Zudem kann eine modulare Nachrüstung ohne Aufbruch von Straßen vorgenommen werden. Mit dem zum Patent angemeldeten „Kanalsonne“-Verfahren von Rheinkanal reduzieren wir durch Sauerstoffanreicherung per Nano-Blasen und Kühlung des Abwassers die Geruchsbildung und vermeiden gleichzeitig Korrosion in der Kanalisation.
Die Technologiebasis – mit Partnern wie Huber SE – ist einsatzbereit; erste Pilotprojekte mit Kommunen und Abwasserbetrieben sind in der Vorbereitung. Aktuell sind wir in der Antragstellung für Fördermittel und Standortklärung für das erste wirtschaftlich tragfähige Projekt zur Wärmeversorgung per Kanal. Dabei werden wir die Wärmepreise von Gas und den meisten anderen erneuerbaren Wärmequellen deutlich unterbieten können. Neben der Wärmeübertragung ist künftig auch der Transport von gereinigtem Abwasser der 4. Reinigungsstufe – beispielsweise zur Bewässerung von Stadtgrün – über das bestehende Kanalsystem sicher möglich. Da das System in dieser Form weltweit neuartig ist, eröffnet es voraussichtlich die Möglichkeit zur Direktvergabe ohne vorherige Ausschreibung.

Für Stadtwerke und Kommunen, die die neuen Anlagen nicht selbst errichten und betreiben möchten, bietet Rheinkanal ein „Wärme-as-a-Service“-Modell an: Wir übernehmen Planung, Bau und Betrieb der Infrastruktur. Die Finanzierung der dezentralen Mini-Versorger erfolgt über eine gezielte Bürgerbeteiligung. So profitieren Anwohner doppelt – durch günstige Wärmepreise, weniger Kanalgeruch und eine stabile Rendite durch die Beteiligung am eigenen Versorger. Die Wärme wird an die Stadtwerke abgegeben – diese bleiben Ansprechpartner für ihre Kunden, übernehmen die Abrechnung und integrieren das System nahtlos in ihre bestehende Infrastruktur.
Auch für die Stadtkasse ist ein Mehrwert vorgesehen: Durch die Mitnutzung der kommunalen Kanaltrassen zahlt Rheinkanal eine vertraglich geregelte Leitungsmiete an die Stadt. Damit wird die bestehende Kanalisation in ein multifunktionales Hightech-Asset transformiert – für grüne Wärme, schnelle Datenübertragung und künftig auch zur klimafesten Dürrevorsorge.
B_I umweltbau: Wie sehen Sie die Zukunft der Abwasserwärme?
Böttcher: Sie wird ein entscheidender Baustein der Wärmewende in Städten sein. Gerade in Kombination mit Abwärmequellen wie Rechenzentren, lokalen Speichern und smarter Verteilung über Kanäle ist Abwasserwärme unschlagbar: günstig, lokal und erneuerbar.
Das Interview führte Boris Valdix.

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