Hydraulische Leistungsfähigkeit von Straßenabläufen
Die Straßenabläufe bilden die Schnittstelle zwischen dem bei Niederschlägen anfallenden Oberflächenwasser und der Kanalisation. Über die hydraulische Leistungsfähigkeit und das Ablaufverhalten beeinflussende Randbedingungen gab es bisher kaum Informationen. Letztes Jahr hat die Bergische Universität Wuppertal im Auftrag von vier Kanalnetzbetreibern ein Forschungsprojekt zu diesem Thema abgeschlossen. Die Erkenntnisse nutzt Lünen für die bedarfsgerechte Reinigung.
Für Daniela Fiege, Vorstand des Stadtbetriebes Abwasserbeseitigung der Stadt Lünen, SAL, sind die Straßenabläufe seit längerem ein wichtiger Teil der Entwässerungsinfrastruktur, der besondere Aufmerksamkeit verdient. So wurde in Lünen ein Konzept für die digitale Zustandserfassung der Straßenabläufe und daraus folgend eine bedarfsorientierte Unterhaltungs- und Reinigungsstrategie entwickelt. Ziel dabei ist es, die bestmögliche Entwässerungsfunktion der Abläufe sicherzustellen und gleichzeitig den Unterhaltungsaufwand zu optimieren.
Forschungsprojekt zur hydraulischen Leistungsfähigkeit von Straßenabläufen
Probleme bei Straßenabläufen im Stadtteil Lünen Süd, wo es an Tiefpunkten bei stärkeren Regenereignissen bzw. Starkregenereignissen immer wieder zu Rückstau und überschwemmten Straßen kam, obwohl die hydraulische Leistungsfähigkeit des Kanals noch nicht ausgeschöpft war, führten Daniela Fiege und den Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen zu der Frage nach der hydraulischen Leistungsfähigkeit der Straßenabläufe bei Straßen mit geringem oder keinem Längsgefälle und nach den Faktoren, die diese Leistungsfähigkeit beeinflussen. Welche Rolle spielt die Form des Straßenablauf-Rostes oder das Design und der Verschmutzungsgrad des Schlitzeimers? Welche Möglichkeiten hat ein Entwässerungsbetrieb, um die hydraulischen Eigenschaften der Straßenabläufe zu optimieren und so das Kanalvolumen besser auszunutzen?
Zu diesen Fragen gab es bislang keine belastbaren, wissenschaftlich untermauerten Erkenntnisse. Initiiert vom SAL wurde deshalb zusammen mit der Stadtentwässerung Schwerte, den Technischen Betrieben Solingen und den Wirtschaftsbetrieben Hagen als weiteren Netzbetreibern und der Firma Meier Guss und der Firma Henkel als Industriepartner das Forschungsvorhaben „Abschätzung der hydraulischen Leistungsfähigkeit von Straßenabläufen bei Versatz der Schlitzeimer anhand hydraulischer Modellversuche“ auf den Weg gebracht.
Abfluss bei verschiedenen Ablauf-Eimer-Konstellationen untersucht
Betrachtet wurden vier Ablaufroste: der Standard-DIN-Aufsatz und als Variante der Meidrain, jeweils in den Größen 50 x 50 cm und 30 x 50 cm. Als Schmutzfangeimer kamen für die großen Roste jeweils eine kurze und eine lange Bauform in der Standardversion nach DIN 4052 und als optimierte Variante mit vergrößerten Überlauföffnungen zum Einsatz, für die kleinen Roste waren dies kurze Eimer nach der „normalen“ und der „optimierten“ Version. Für den Untersuchungsfall „gefüllter Eimer“ wurden die Ablaufschlitze mit Klebeband verschlossen. Gearbeitet wurde mit den Schmutzfangeimern der Firma Henkel.
„Wir wollten wissen, wie leistungsfähig ist ein Ablauf, wenn der Eimer leer ist, was ändert sich, wenn die Verschmutzung die Ablaufschlitze zusetzt, die Überlauföffnungen aber frei bleiben und welche Optimierungen es an dem Eimer geben könnte“, beschreibt Daniela Fiege die wesentlichen Fragestellungen zu dem Projekt. Kurz – welchen Einfluss hat der Eimer auf das Abflussverhalten.
Im Versuchsaufbau wurde ein Stück Straße mit dem Ablauf nachgebildet und das Ablaufverhalten der verschiedenen Ablauf-Eimer-Konstellationen im Überflutungsfall betrachtet. Hierzu wurde das Straßenstück mit einer definierten Zuflussmenge Wasser beaufschlagt und dazu die Höhe des Wasserstandes auf der Straße gemessen. „Wir haben hier den Überflutungsfall untersucht“, erklärt Prof. Schlenkhoff. „Bei Straßen mit Längsgefälle, wo das Regenwasser zum Teil den Weg zum Gully gar nicht findet oder Roste überströmt werden, ist die Entwässerungssituation natürlich eine andere und erfordert auch eine andere Betrachtung“.
Im Straßenbau gibt es eine Bemessungsrichtlinie, nach der an einen Straßenablauf etwa 400 m2 Straßenfläche angeschlossen werden. Gerechnet auf ein 100-jährliches Regenereignis (nach KOSTRA) bedeutet dies einen Zufluss von etwa 20 bis 24 Litern pro Sekunde für einen fünfminütigen Dauerregen (D = 5 Minuten). Dieser Abfluss kann sich aber erheblich vergrößern, wenn Wasser von weiteren Flächen zufließt. In den Versuchsreihen wurden Abflüsse bis 70 Liter pro Sekunde generiert. Getestet wurde das Ablaufverhalten ohne Eimer, mit „sauberem“ Eimer und mit „gefülltem“ Eimer.
Hohe Ablaufleistung auch bei vollen Schmutzfangeimern
Mit mindestens 45 l/s sind alle untersuchten Versuchsvarianten als sehr leistungsfähig zu bewerten und liegen damit deutlich über der Bemessung. Interessant dabei: Die Untersuchungsergebnisse weisen nach, dass Straßenabläufe mit vollen Schmutzfangeimern und freien Überlauföffnungen weiterhin eine hohe Leistungsfähigkeit besitzen, welche durch den Einsatz optimierter Eimermodelle sogar noch um bis zu 10 Liter pro Sekunde gesteigert werden kann.
Für den Stadtbetrieb Abwasserreinigung der Stadt Lünen sind die Ergebnisse in mehrfacher Hinsicht wertvoll. Zum einen liefern die nun wissenschaftlich untermauerten Zahlen eine Argumentationsgrundlage in Diskussionen des Abwasserbetriebes mit dem Straßenbaulastträger und den politischen Gremien. Zum anderen verfügt der Kanalbetrieb zusammen mit der Starkregengefahrenkarte und der digitalisierten Zustandserfassung der Straßenabläufe über einen weiteren Baustein für eine bedarfsorientierte und kostenoptimierte Unterhaltungsstrategie.
„Wir wissen nun, dass wir an den in der Starkregengefahrenkarte ausgewiesenen kritischen Stellen mit gereinigten Eimern und unter Umständen der optimierten Eimer-Variante die optimale Entwässerungsleistung sicherstellen können. Wir wissen jetzt aber auch, dass wir in anderen Bereichen unsere Reinigungsinterwalle anpassen können, weil die Entwässerung so lange gut funktioniert, bis der Schmutzfangeimer voll ist“, sagt Daniela Fiege. Für sie war der geringe Einfluss des Füllstandes der Schmutzfangeimer ein nicht erwartetes Ergebnis der Untersuchungen, das zukünftig in die Praxis des Stadtbetriebes Abwasserbeseitigung Lünen einfließen soll. „Wenn es für das Ablaufverhalten kaum einen Unterschied macht, ob der Eimer halbvoll oder voll ist, dann können wir darauf hin natürlich auch die Reinigungszyklen der einzelnen Abläufe entsprechend anpassen und die Unterhaltung weiter kostenoptimieren.“
Wertvolle Informationen für die bedarfsgerechte Reinigung von Straßenabläufen
Von den 10.000 erfassten Straßenabläufen hatten 50 Prozent einen Füllstand des Eimers von weniger als 50 Prozent. Das heißt: Diese 5.000 Abläufe waren nicht einmal halb voll und wir haben sie in einem starren Turnus von einem halben Jahr gereinigt“, sagt Matthias Krölls und verdeutlicht damit das Sparpotenzial der auf den Zustandsdaten beruhenden bedarfsgerechten Reinigung. „Das wird uns Möglichkeiten eröffnen, unsere Kapazitäten und Gelder zielgerichtet und effizienter an anderer Stelle einsetzen zu können“.
Ein weiteres Ergebnis: Durch das objektgenaue Erfassen der Tätigkeiten an den einzelnen Straßenabläufen hat sich ein Zuwachs von etwa 10 Prozent an Straßenabläufen ergeben, welche vorher im Kanalkataster gar nicht aufgetaucht sind. „Wir betreiben somit auch eine Katasterpflege, die uns zukünftig beim Erstellen von noch genaueren Starkregensimulationsmodellen zugutekommen wird.“
Neben den Erkenntnissen für die Praxis eines Entwässerungsbetriebes sind die Ergebnisse des Forschungsprojektes nach Ansicht von Prof. Schlenkhoff auch für die Wissenschaft und für die Modellentwickler von Interesse. Seit einigen Jahren stehen sogenannte gekoppelte Simulationsmodelle zur Verfügung. Sie ermöglichen es, sowohl den oberflächlichen Abfluss zu simulieren als auch die hydraulische Kapazität des Kanals zu berechnen. „Die Schnittstellen zwischen Oberfläche und Kanal sind jedoch die Straßeneinläufe und die Schächte. Und über deren hydraulische Eigenschaften gab es bis heute keine Informationen“, betont Prof. Schlenkhoff.
Interessant auch vor dem Hintergrund des Klimawandels
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchungen, dass es nun wissenschaftlich basierte Daten darüber gibt, wie das an der Oberfläche anfallende Niederschlagswasser und der Abfluss im Kanal miteinander kommunizieren. „Wasser, das einmal im Kanal ist, soll dort nach allen Möglichkeiten nicht wieder heraus“, so Prof. Schlenkhoff. Deshalb sei es der falsche Weg, die hydraulische Leistung der Straßenabläufe einfach immer weiter zu steigern. Vielmehr müssten die Zulaufkapazität und die Hydraulik des angeschlossenen Kanals aufeinander abgestimmt sein. „Und hierfür liefern unsere Untersuchungen wichtige Erkenntnisse.“
Und auch Daniela Fiege zieht ein positives Fazit aus dem Forschungsprojekt. Die Straßenabläufe seien, neben Maßnahmen zur Regenrückhaltung, der Ableitung von Niederschlagwasser an der Oberfläche oder der Trennung von Regen- und Schmutzwasser, ein wichtiger Mosaikstein in der komplexen Aufgabe, die Entwässerungsinfrastruktur den veränderten Klimabedingungen anzupassen. „Dies ist eine der zentralen Herausforderungen für die Entwässerungsbetriebe für die nächsten Jahre“, so Daniela Fiege. „Die Informationen aus dem Projekt helfen uns, die Straßenabläufe, sowohl was die Planung als auch was die Unterhaltung angeht, besser in das Gesamtkonzept einzubinden.“ Fiege sieht über den Kreis der Projektbeteiligten hinaus durchaus ein Interesse an den Ergebnissen der durchgeführten Untersuchungen. Aus diesem Grund kann der von der Bergischen Universität erstellte Projektbericht auf der Homepage des Stadtbetriebes Abwasserbeseitigung der Stadt Lünen und der Bergischen Universität Wuppertal ohne Zugangsbeschränkung eingesehen werden.
Update: Effektiv mit bedarfsgerechter Reinigung
Mittlerweile sind alle Straßenabläufe in Lünen digital erfasst. „Wir können nun unsere Straßenabläufe so unterhalten, wie es bedarfsgerecht erforderlich ist“, sagt Matthias Krölls. „Bislang haben wir drei Durchläufe der digitalen Unterhaltung vorgenommen und dokumentiert, welchen Füllstand der jeweilige Straßenablauf hatte. Daraus haben wir dann Schlüsse gezogen, wie wir künftig mit den Straßenabläufen umgehen.“ Laut Michael Hartmann, beim SAL hauptverantwortlich für die Pflege und Weiterentwicklung des Kanalinformationssystems, hat die Datenauswertung des ersten Durchlaufs ergeben, dass knapp 4.000 der zu leerenden Straßenabläufe kaum verschmutzt sind, also unter 10 Prozent gefüllt sind. Aus den Ergebnissen des Forschungsprojektes weiß man, dass solche Abläufe seltener geleert werden müssen, weil die Ablauffähigkeit auch über einen gewissen Zusetzungszeitraum nicht oder kaum beeinträchtigt ist. Wiederum wird bei anderen Abläufen mit einem höheren Verschmutzungsgrad der Reinigungszyklus in Lünen verkürzt, wobei man zwecks effizienten Arbeitsablaufes nicht einen besonders verschmutzten herauspickt, sondern gebietsweise vorgeht, wie Krölls und Hartmann betonen.
„Durch die bedarfsorientierte Reinigung und die damit verbundene Effizienz haben wir nun eine Arbeitszeitersparnis von 7,2 Prozent“, so Michael Hartmann. Natürlich wirkt sich das auch auf die Kosten aus, die für die Leerungen an sich und den Personaleinsatz anfallen.
Auch hinsichtlich des möglichen Einsatzes optimierter Eimer- und Rost-Varianten an kritischen Stellen will der SAL die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt künftig nutzen. „Letztlich entscheidet darüber natürlich der Straßenbaulastträger“, so Matthias Krölls, „aber bei künftigen Erschließungs- sowie Straßen- und Kanalbauprojekten haben wir, wenn es um Überflutungssicherheit und bessere Ableitungsfähigkeit geht, eine gute Argumentationsgrundlage.“
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Das Konzept des SAL stieß jüngst auch bei anderen Kommunen auf Interesse; und auch weitere Kommunen haben Interesse signalisiert. „Wir sind gerne bereit, unser System vorzustellen und unsere Erfahrungen mit anderen zu teilen“, meint Matthias Krölls abschließend.
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