HDD-Technik in Deutschland auf dem Vormarsch?

Wie schon bei der Verlegung von Rohrleitungen und Kabeln könnte auch bei der Verlegung horizontaler Erdwärmesonden bald das grabenlose Horizontalbohrverfahren eine ganz wichtige Rolle in Deutschland einnehmen. Argumente für dieses Verfahren sind Umweltschutz, Sicherheit und Praktikabilität.

Erdwärmesonden: HDD-Technik in Deutschland auf dem Vormarsch?
Abb. 1: Schematische Darstellung des HDD-Bohrverfahrens im Straßenraum mit Pilotbohrung und Aufweitvorgang

Während in Europa die Märkte wachsen, kann man in den USA beobachten, wie ein voll entwickelter Markt für Horizontalgeothermie aussieht. Für einen US-Horizontalbohrer ist es Tagesgeschäft, neben Telekommunikation-, Strom- und Gasleitungen auch Horizontalbrunnen nebst Leitungen sowie Erdsondenanlagen zu bohren. So wurden in den USA im Jahr 2014 etwa 2.400 HDD-Bohranlagen verkauft, davon gingen ⅔ in den Rohrleitungsbau und ⅓ in die Energie- und Wassergewinnung/-verteilung.

Echte Alternative

Das ist so, weil für die Kombination HDD + Geothermie vieles spricht: Der Eingriff in den Untergrund wird auf ein denkbares Minimum reduziert. Umweltfreundliche und sichere Bohrtiefen bis 10 m u.GOK sind die Regel, die Erdwärmesonden verbleiben also im oberen Grundwasserstockwerk. Die Bohrungen sind in allen Richtungen steuerbar, so dass unterirdischer Infrastruktur und Bohrhindernissen ausgewichen und hochpräzise gebohrt werden kann. Man hat neue Freiheiten, denn man kann oberflächennahe Bohrhindernisse regelrecht umfahren, da die Steuerungstechnik so genau ist, dass gesteuerte Horizontalbohrungen Dezimeter-genau über mehrere Meter bis ca. 1 km Strecke in einem Tiefenbereich von ungefähr 1,5 bis 20 m u.GOK im Baubestand und im Neubau angelegt werden können (siehe Abb. 1).

Damit steht den Bohrfirmen eine echte Alternative zu Vertikalbohrungen zur Verfügung, denn die Kombination HDD + Geothermie versetzt Bohrunternehmen in die Lage, Horizontalkollektoren im Bestands- und Neubau mit minimalem Bodeneingriff umweltschonend zu erstellen.

Deutsche Behörden begrüßen diese Entwicklung. Die Vorgespräche mit Vertretern der Umweltministerien Baden-Württemberg und NRW sowie des Wirtschaftsministeriums NRW im Jahr 2015 verliefen positiv: Man hofft auf schnelle Verbreitung im Markt, damit die oberflächennahe Geothermie wieder an Schwung gewinnt.

Abb. 2: Bohrkopfradar Orfeus im Einbauzustand (links: Bohrkopf, Mitte: Antennengehäuse mit Antennenfenster, rechts: Gehäuse mit Ortungssonde und Verbinder zum Bohrgestänge).
Abb. 2: Bohrkopfradar Orfeus im Einbauzustand (links: Bohrkopf, Mitte: Antennengehäuse mit Antennenfenster, rechts: Gehäuse mit Ortungssonde und Verbinder zum Bohrgestänge).

Ablauf der HDD-Bohrungen

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Erdsonden mit gesteuerten Horizontalbohrungen in den oberflächennahen Bodenraum einzubringen. Die häufigste ist, mehrere Rohrleitungen aus PE oder handelsübliche U-Sonden mittels HDD-Technik in den Boden so einzubauen und miteinander zu verbinden, dass ein übergroßer Flachkollektor entsteht. Dafür braucht man eine Start und eine Zielgrube. Zwei Arbeitsschritte sind dafür notwendig: Die Pilotbohrung wird erstellt und der Erdwärmetauscher hinter einem Aufweitkopf wieder eingezogen (Abb. 1). Der Überschnitt beträgt dabei 30 bis 40 Prozent des Außendurchmessers des Wärmetauscherrohres. Der Ringraum wird anschließend durch eine mitgeführte Leitung mit wärmeleitfähigen Verfüllmörteln oder Pellets verfüllt, die Rohrsegmente seriell oder parallel zu einem Rohrverbund verschweißt und mit Wärmeträgerflüssigkeit gefüllt.

Neue Möglichkeiten

Mit HDD-Großbohranlagen können sogar Bohrungen bis 1,4 m Durchmesser erstellt werden. Das ermöglicht, großkalibrige Rohre als Speicherkörper für Wärme und Kälte (Eisspeicher) zu bauen, ohne dass Grundstücke aufgegraben werden müssen. Hier bieten sich gerade bei der Planung von Nahwärmenetzen neue Freiheiten, denn der Geometrie sind kaum Grenzen gesetzt: Der Bauherr kann komplexe Register unterschiedlicher Längen und Bohrlochdurchmesser in unterschiedlichen Tiefen in beinahe beliebigen Anordnungen unter beliebig genutzten Flächen herstellen lassen.

Der zweite Weg ist, mittels der HDD-Technologie horizontale oder flach geneigte Bohrungen als Sackbohrungen auszuführen, in die wie gewohnt handelsübliche U-Rohre oder Koaxialsonden installiert und mit handelsüblichen Verfüllmassen abgedichtet werden. Die Kosten für beide Verfahrensweisen sind tendenziell niedriger als beim Vertikalbohren. Die Daumenregel sagt, dass eine Kostenersparnis von 10 bis 15 Prozent bei handelsüblichen Erdwärmesonden zu erwarten ist.

Trotz aller Vorteile hat sich dieses Verfahren noch wenig in Deutschland etabliert, obwohl das oberflächennahe Wärmepotenzial riesig ist. Dahinter steht die oft geäußerte Sorge, dass es zur Vereisung des Untergrundes kommen kann, so wie man es von Horizontalkollektoren kennt.

Das EWALT-Projekt

Diesem Bedenken ist wissenschaftlich im „EWALT-Projekt“ nachgegangen worden. EWALT steht für „Erneuerbare Wärme aus Altrohren“. Ziel des Vorhabens war die Entwicklung eines Verfahrens zur Nutzung des oberflächennahen geothermischen Wärmeenergiepotenzials über erdverlegte, nicht mehr in Betrieb befindliche Rohrleitungen, vornehmlich Trinkwasserleitungen der Nennweiten DN 80 bis DN 300 im innerstädtischen, öffentlichen Bauraum. In diesem ZIM-geförderten Projekt arbeiteten das IAB (Institut für Angewandte Bauforschung, damals noch FITR – Forschungsinstitut für Tief- und Rohrleitungsbau gemeinnützige GmbH) und die Tracto-Technik GmbH & Co. KG zusammen. Das Projekt wurde Ende 2011 abgeschlossen.

Tracto-Technik entwickelte ein technisches Verfahren für die Nutzung dieser oberflächennahen Wärmeressource mittels handelsüblicher Erdwärmerohre bis zur Marktreife und wies die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens nach: auf Bohr- und Tiefbauarbeiten, Gutachter usw. kann man weitgehend verzichten. Es zeigte sich ferner, dass meist nur die Anlage einer kleinen Baugrube zum Einschub der Erdwärmesonde notwendig ist, um eine Wärmepumpe praxistauglich mit geothermischer Energie zu versorgen.

Abb. 3: Schematische Darstellung der Arbeitsweise des Orfeusradars. | Abbildungen: Tracto-Technik
Abb. 3: Schematische Darstellung der Arbeitsweise des Orfeusradars. | Abbildungen: Tracto-Technik

Aufgegebene Leitungen nutzbar

Das IAB entwickelte die Dimensionierungssoftware und führte die Leistungsmessungen des Systems durch. So konnte in der Praxis belegt werden, dass die Wärmeverteilung in den oberen Metern des Untergrundes in Siedlungsbereichen stark von den Jahreszeiten, der Dichte der Bebauung und der Leitungsinfrastruktur beeinflusst wird. Dadurch war die tatsächliche thermische Leistungsfähigkeit des Systems deutlich höher, als es die Modellrechnungen erwarten ließen.

Die Auswertung von Bestandsdaten durch das IAB ergab, dass im Bundesgebiet 75.000 km geeignete Leitungen mit einem mittleren Innendurchmesser von 100 mm aufgegeben wurden. Unter der Annahme, dass sich pro 100 m Rohrlänge ca. 6 kW Leistung dauerhaft gewinnen lassen, entspräche das einer Wärmeleistung von ca. 4.500 MW.

Bohrkopfradar Orfeus

Bau- und Bohrarbeiten im oberflächennahen Raum unter Bedingungen verdichteter Bebauung kreuzen beinahe zwangsläufig erdverlegte Infrastruktur. Zur Schadensvermeidung müssen daher vor der Baumaßnahme Verlegepläne eingeholt und die betreffenden Leitungen in Suchschachtungen verortet werden, bevor man die Bohrarbeiten beginnt. Trotzdem kam es immer wieder vor, dass Fremdleitungen vom Bohrkopf getroffen wurden. Der daraus entstehende Schadenersatz kann erheblich sein.

Auf der bauma 2016 stellte Tracto-Technik den Prototypen des Bohrkopfradars „Orfeus“ vor. Es handelt sich hierbei um ein robustes radarbasiertes Detektionswerkzeug (s. Abb. 2), welches in den Bohrstrang direkt hinter dem Bohrkopf eingebaut wird, und es ermöglicht, in Echtzeit bis zu 50 cm in Richtung des Bohrpfades und radial um das Gestänge Wasserleitungen, Stromkabel, Gasleitungen, Abwasserleitungen, Grabenfüllungen oder andere metallische und nichtmetallische Hindernisse ab Fingerdicke zuverlässig zu orten (Abb. 3).

Diese Orfeus-Technologie macht es zukünftig möglich, auch in den Bereichen sicher zu bohren, die früher aus Sicherheitsgründen ausgenommen waren. Zudem kartiert jede Bohrung die tatsächliche Lage der Leitungen im durchörterten Bauabschnitt, so dass Lagepläne aktualisiert werden können.

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