Lebensqualität? Städte für Hitze und Starkregen fit machen
Immer mehr Städte und Gemeinden wollen sich auf die Folgen des Klimawandels einstellen. Welche Möglichkeiten es gibt, um selbst angesichts von Hitzestress und Starkregen keine Lebensqualität einzubüßen, verrät die Kieler Professorin für Raumplanung an der Fachhochschule Kiel, Brigitte Wotha. Im Interview mit B_I galabau spricht sie über Gebäudebegrünung und Wassermanagement, Pocket-Parks und Sommerstraßen.
Wenn wir über die Folgen des Klimawandels sprechen – mit welchen Auswirkungen haben die Städte und deren Bewohner hierzulande zu kämpfen?
Was meinen Sie damit?
Brigitte Wotha: Gucken wir uns die Umweltgerechtigkeit an. Wer kann diesen Folgen ausweichen? Wer kann aufs Land oder in grüne bevorzugte Gebiete ziehen? Und wer wohnt in Gebieten, in denen die Emissionen am größten sind. Wir müssen es schaffen, dass alle Menschen eine hohe Lebensqualität haben. Dass sie gesund in der Stadt und auf dem Land leben können.
Was können Städte und Gemeinden tun?
Brigitte Wotha: Sie sollten versuchen, direkt auf die Folgen des Klimawandels einzugehen. Dazu gehören Beschattung, Freiräume, eine grün-blaue Infrastruktur, Parks, Gründächer, mehr CO2-speichernde Strukturen, eine Reduzierung des Versiegelungsgrads beim Bauen. Das verbessert nicht nur das Mikroklima, sondern trägt auch zu einer für alle gesunden Stadt bei. Kommunen müssen Retentionsflächen (Flächen zur Rückhaltung von Wasser, die Red.) schaffen, wo das Wasser hinkann. Damit es möglichst nicht in Hauskeller und auch weniger in die Kanalisation fließt. Modernes Wassermanagement ist gefragt.
In dem Zusammenhang ist immer häufiger vom Schwammstadt-Konzept die Rede. Was verstehen Sie darunter?
Brigitte Wotha: Ziel ist es, das Niederschlagswasser vor Ort effizient und nachhaltig aufzufangen, es soll versickern und gespeichert werden, um dann dort langsam wieder in das Ökosystem Stadt abgegeben zu werden. Das Problem mit dem Begriff Schwammstadt ist allerdings, dass er zu sehr auf die Versickerung des Niederschlagwassers fokussiert. Denn das allein reicht nicht. Es muss Teil eines gesamten nachhaltigen Wassermanagements werden. Also: Wie gehe ich mit Wasser überhaupt um? Wasser ist eine Ressource, die knapp ist – auch wenn sie manchmal überfallartig kommt. Trotzdem haben wir generell einen Wassermangel. Beim Recycling von Wasser sind wir in der Forschung noch nicht so weit, das müssen wir noch weiterentwickeln. Auch die Bevölkerung muss ins Wassermanagement einbezogen werden.
Wie das?
Brigitte Wotha: Die Menschen müssen dafür sensibilisiert werden, dass Wasser ein knappes Gut ist. Und immer mehr Städte haben Starkregenkarten, womit sie veranschaulichen können, bei welchem Regenereignis welche Gebiete überflutet sind. So gelangt stärker ins Bewusstsein, dass Wasser auch eine Gefahr sein kann. Und dass man nicht unbedingt in diesen Gebieten siedeln möchte.
Welche Stadt ist denn nach Ihrer Meinung in Sachen Klimaanpassung besonders fortschrittlich?
Brigitte Wotha: Jetzt nur eine bestimmte Stadt herauszugreifen, ist ganz schwierig. Es gibt Städte, die schon früh auf den Klimawandel reagiert haben, weil sie besondere Stressfaktoren hatten. In Deutschland fällt mir sofort Freiburg als Hitzestadt ein. Aber auch in Kiel sind wir schon mit kleinen Maßnahmen dabei. In unserem Schützenpark soll ein System aufgebaut werden, um besser mit dem Niederschlagswasser umzugehen. Sie versuchen, mit einem Rigolen-System und der Entsiegelung der Oberflächen dafür zu sorgen, dass das Wasser gesammelt und vor Ort auch wieder abgegeben wird. Zusätzlich setzen viele Städte auf Begrünung. Auch in Kiel fängt man damit an. An der Kieler Universität ist ein Parkhaus-Neubau mit Fassadenbegrünung entstanden. Ein weiteres Beispiel, wie man mit Parkplätzen umgehen kann, findet sich in Büchen, ein Ort östlich von Hamburg. Dort war früher ein Grenzübergang in die DDR. Damals gab es dort einen großen Bahnhof mit vielen Bahnsteigen. Nach der Wende hatte er kaum noch eine Funktion. Heute ist dort eine Mobilitätsdrehscheibe mit Park-and-Ride-Stellplätzen, Ladeinfrastruktur für Elektroautos und E-Bikes, weil viele Pendler in Richtung Hamburg unterwegs sind. Sie haben den Parkplatz dort hervorragend aufgearbeitet, indem sie alle Prinzipien von nachhaltigem Umgang mit Niederschlagswasser umgesetzt haben. Es gibt entsiegelte Flächen sowie Rigolen- und Muldensysteme, sodass das Wasser versickern kann und aufgefangen wird. Hinzu kommt eine regional-typische Bepflanzung.
Und im Ausland?
Brigitte Wotha: In Turin gibt es keine Sitzbank in einem Park, die keinen Schattenspender hat. Wegen der Hitze. Die sehen zwar zum Teil aus wie Bushaltestellen, aber das ist ja egal. Mit Blick auf den demografischen Wandel und einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen ist das sinnvoll. Wir brauchen eine grün-blaue Infrastruktur mit Pflanzen und Wasser. Eine vorbildliche Stadt in dieser Hinsicht ist Wien. Dort gibt es in einem großen Neubauprojekt Retentionsflächen, Fassadenbegrünungselemente und Vernebelungsanlagen im Sommer, die wie kleine Duschen aussehen. An sehr heißen Tagen sorgen sie für Wasserdampf, womit versucht wird, die Hitze abzukühlen.
Ein Aspekt ist ja auch die Lebensqualität.
Ein kontroverses Thema: Selbst in Städten, wo es ein gutes ÖPNV-Angebot mit Bussen und eventuell sogar Straßen-, S- oder U-Bahn gibt, kann oder will längst nicht jeder auf sein Auto verzichten. Wie lässt sich das mit Sommerstraßen und weniger Stellplätzen vor der Haustür vereinbaren?
Brigitte Wotha: Wenn ich Parkraum einschränke, muss ich andere Möglichkeiten der Mobilität verbessern. Zum einen kann man Quartiersparkhäuser einführen, hier war Freiburg ganz gut. Dann parkt man allerdings nicht direkt vor der eigenen Haustür. Das ist der eine Weg. Wenn ich auch den öffentlichen Nahverkehr verbessere, gehören dazu Angebote wie Carsharing und Bikesharing. Man kann natürlich nicht zuerst die Parkplätze streichen und dann erst diese Angebote einführen. Man muss Schritt für Schritt vorgehen. Dazu gehören Modellprojekte. Es gibt sogenannte Parklets, das sind Stadtmöbel. Damit lassen sich ein oder zwei Parkplätze zu einer Sitzgelegenheit umfunktionieren. Klar, da höre ich jetzt den einen oder anderen aus Politik und Verwaltung sagen, dass daraus wahrscheinlich Drogentreffpunkte werden. Aber man sollte es trotzdem einfach mal ausprobieren.
Gerade in Städten wimmelt es von Interessen und Zwängen. Wie entscheidend ist mehr Grün tatsächlich für das Zusammenleben?
Wie wird denn ein Fußweg zum Bewegungsraum?
Brigitte Wotha: Indem er breiter ist, dort Bäume stehen und man Sitzgelegenheiten vorfindet. Gut, das ist jetzt das Gegenteil von Bewegung. Aber ich kann da aus meiner Wohnung, in der ich zum Beispiel als Single oder alter Mensch oftmals allein bin, herausgehen und andere Leute treffen.
Bei der Gestaltung von grüneren Städten – welche Rolle spielen dabei Landschaftsgärtner, Baumpfleger, Planer & Co.?
Brigitte Wotha: Das sind die Fachleute, die das ganze initiieren und umsetzen. Und sie müssen sich auf die veränderten Bedingungen einstellen. Denn sie werden gefragt: Wie machen wir das? Sie müssen sich weiterbilden, sich Methoden überlegen. Und mutig sein, auch mal etwas Neues auszuprobieren.
Sind die Bürger denn schon hinreichend über die Vorteile von Schwammstadt-Maßnahmen informiert – oder wo herrscht noch Nachholbedarf?
Brigitte Wotha: Es gibt zunehmend Angebote, doch die Menschen sind noch nicht wirklich betroffen. Dass sind sie leider erst in dem Augenblick, wenn es wehtut. Nämlich wenn ihre Gesundheit eingeschränkt wird, es laut ist, die Oma umgefallen ist oder das Wasser vor ihrer Haustür steht. Ich denke, dass wir noch lange nicht so weit sind. Dennoch muss noch mehr informiert werden. Die Menschen müssen beteiligt werden. Ein gutes Beispiel sind die bereits erwähnten Parklets, bei deren Einrichtung sich Anwohner engagieren könnten. Denn: Ich schütze nur das, was ich kenne.
Welche Folgen erwarten Sie für Städte in Deutschland angesichts des Klimawandels?
Brigitte Wotha: Vor allem einen Anstieg gesundheitlicher Folgen. Mehr Treibhausgas-Emissionen. Mehr Hitzeschäden, das zeichnet sich jetzt schon ab. Man sieht neuerdings immer mehr Menschen mit Regenschirm durch die Stadt gehen, wenn die Sonne zu heiß ist. Und auch für den Immobilienmarkt kann das Folgen haben: Wenn die Lebensqualität sinkt, wirkt sich das schlecht auf die Innenstadt aus. Deren Attraktivität und die Nachfrage nach Immobilien nehmen ab. Wenn die Funktion einer Innenstadt als Einzelhandelsstandort und als Arbeitsort verlorengeht, hat das enorme wirtschaftliche Folgen und muss durch neue Funktionen umgebaut und ergänzt werden.
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Professor Dr. Wotha, vielen Dank für das Gespräch.
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