So gestalten Profis naturnahe Grünflächen richtig
Geht es um die Gestaltung und Pflege naturnaher Grünflächen, herrscht selbst bei Branchenprofis oft noch eine gewisse Unsicherheit. Über Fehlerquellen, biologische Vielfalt und das Potenzial im Wohnungsbau sprach B_I galabau-Redakteur Jan Torben Budde mit Dominik Jentzsch von der Stiftung für Mensch und Umwelt.
Was macht eine naturnah gestaltete Grünfläche aus?
Dominik Jentzsch: Naturnahe Flächen folgen den Grundsätzen eines Naturgartens. Das bedeutet, wir verzichten auf den Einsatz von Insektiziden und Herbiziden, Torf und Mineraldünger. Wir wollen Lebensräume für Pflanzen und Tiere schaffen. Blühwiesen, Trockenmauern, Teiche und Totholzarrangements gehören ebenso fest in eine naturnahe Fläche wie die Verwendung heimischer Wildpflanzen. Zudem setzen wir auf eine nachhaltige Bauweise und Bewirtschaftung, indem wir alte Materialien recyceln und lokale Materialien verwenden.
Welche Ziele verfolgen Sie damit, also wo liegen die Vorteile?
Jentzsch: Das Artensterben ist bekannt, jedoch mangelt es an Umsetzungsbeispielen, wie wir selbst einen Beitrag leisten können. Mit den gestalteten Ersatzlebensräumen können wir der heimischen Flora und Fauna etwas unter die Arme greifen. Unsere tierökologischen Untersuchungen etwa bestätigen einen kontinuierlichen Zuwachs von Wildbienenarten auf unseren Flächen. Naturnahe Gestaltungen in Wohnquartieren bringen mehr Lebensqualität in unsere Städte und Kommunen. Denn die Naturnähe wirkt erholsam für Jung und Alt. Wir sind der Überzeugung, dass sich die Aufenthaltsqualität für die Mieterinnen und Mieter durch mehr Vögel, Schmetterlinge und Wildstauden direkt vor der Haustür steigern lässt. Oftmals mangelt es an Naturerfahrungsräumen, besonders in der Stadt. So können wir dem etwas entgegenwirken.
Wie aufwändig ist die Pflege naturnaher Grünflächen?
Jentzsch: Das kommt auf die Ausgestaltung an. Je mehr Staudenbeete zu unterhalten sind, umso mehr Aufwand müssen wir betreiben. Handelt es sich lediglich um Blumenwiesen, so reicht bisweilen eine einzige Mahd im Spätsommer/Frühherbst. Tendenziell soll der Pflegeaufwand mit den Jahren sinken. Die Entwicklungspflege in den ersten Jahren bedeutet monatliche Kontrollen zur Blütezeit. In der Unterhaltungspflege rechnen wir allerdings mit vier Pflegegängen im Jahr.
Sie bieten jetzt eine Online-Schulung zum Thema an, gab es dafür einen besonderen Anlass?
Jentzsch: Noch bis August 2023 läuft unser Projekt „Treffpunkt Vielfalt“, das im Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ gefördert wird. Im Rahmen dieser Arbeit zeigte sich seit Projektstart 2017 sehr schnell, wie groß der Förderbedarf und die Unsicherheiten in den Grünen Berufen sind, wenn es um die Anlage und Pflege von naturnahen Flächen geht. Daher war es der logische Schritt, unsere „Vor-Ort-Präsenz“-Workshops mit den Gartendienstleistenden in ein weiteres Format zu überführen. So hoffen wir, unsere Erfahrungen noch mehr Interessierten näher bringen zu können.
Welche Inhalte werden genau vermittelt?
Jentzsch: Die Schulung wird auf einer Lernplattform angeboten und ist modular aufgebaut. Konkret vermitteln wir die Grundlagen zum naturnahen Gärtnern. Neben der allgemeinen Einführung zum Naturgarten besprechen wir, welche Pflanzen und Tiere wir fördern können, wie wir naturnahe Flächen anlegen und pflegen und setzen uns mit den Wegen der Kommunikation auseinander. Insbesondere wenn man neue Wege geht, ist nicht nur mit Wohlwollen zu rechnen. Daher sehen wir die Aufklärungsarbeit, die zu naturnahen Flächen gehören, als einen weiteren wichtigen Baustein.
Was können Branchenprofis dabei überhaupt lernen, was sie nicht ohnehin schon wissen?
Jentzsch: Profis lernen die Unterschiede zur klassischen Anlage und Pflege kennen. Auch die konkreten Pflanztipps und Förderung von speziellen Tierarten kommen so im klassischen Gartenbau kaum vor und bilden hier einen Mehrwert für die Teilnehmenden. Aus der Praxis wissen wir, dass bei diesem Thema Unsicherheiten bestehen. Daher soll neben dem Erkenntnisgewinn auch eine Zuversicht vermittelt werden. Neben den Gemeinsamkeiten in naturnahem und klassischem Flächenmanagement gibt es sicher Unterschiede, diese müssen aber kein Hinderungsgrund für die Realisierung eigener naturnaher Projekte sein.
Welche Fehler lauern bei der Gestaltung einer naturnahen Grünfläche?
Jentzsch: Es gilt sauber zu arbeiten. Bedeutet, dass gedämpfter Kompost eingebracht werden muss, um sich unerwünschte Beikräuter fernzuhalten. Sicher müssen Ansaaten und Gehölze feucht gehalten werden. Allerdings erleben wir oft, dass zu viel gewässert wird, was uns wiederum die Arten befördert, die wir nicht auf den Flächen haben wollen. Auch voreilig beherztes Jäten von Jungpflanzen ist sicher nicht förderlich. Somit kann es durch eine mangelnde Artenkenntnis zu Fehlern in der Pflege kommen.
Welche Lernmittel kommen bei der Online-Schulung zum Einsatz?
Jentzsch: Der Kurs wird mittels Schulungsvideos vermittelt. Hierbei handelt es sich um viereinhalb Stunden Material beziehungsweise sechs Unterrichtseinheiten. Wir selbst arbeiten mit Präsentationsfolien, die die Teilnehmenden durch die Module leiten. Zur Erfolgskontrolle gibt es Testfragen, die interaktiv beantwortet werden können. Als Basis zum Selbststudium dienen unser umfangreicher Handlungsleitfaden und die jeweils zu den Modulen erhältlichen Arbeitshefte, die ausgedruckt oder digital genutzt werden können. Umfangreiche Verweise auf Sekundärliteratur ergänzen das Angebot.
Kann solch ein Angebot überhaupt ohne Praxisübungen im Freien gelingen?
Jentzsch: Wir möchten einen Anstoß geben, genau dieses Angebot in die Praxis zu übertragen. Letztlich soll das Rüstzeug vermittelt werden, um selbst aktiv werden zu können. Ohne eigene Umsetzung im Berufsalltag bleibt es bei bloßer Theorie. Allerdings gilt es überhaupt so ein Angebot zu schaffen, Umsetzungsbeispiele zu zeigen, um die naturnahe Gestaltung und Pflege skalierbar zu machen.
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Wo würden Sie sich hierzulande noch mehr naturnah gestaltete Grünflächen wünschen?
Jentzsch: Überall dort, wo es möglich ist. Denn besonders im Wohnungsbau gibt es großes Potenzial. Dem Wohnungsbau wird hier ein weiteres Maßnahmenfeld im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens aufgezeigt – die Erhaltung von biologischer Vielfalt durch ein ökologisches Grünflächenmanagement. Somit bieten sich Abstandsgrün, Vorgärten und Innenhöfe in ganz Deutschland an, der Möglichkeit als auch der Verantwortung für diese unterrepräsentierte Grünflächengestaltung nachzukommen.
Stiftung und Online-Schulung
GaLaBau und Landschaftsarchitekten gehören zur Zielgruppe
Die Online-Lernplattform für naturnahes Grün besteht seit März 2023. Die Inhalte wurden zuvor in Präsenz-Veranstaltungen erprobt. Zielgruppe sind GaLaBau, Gärtner, Landschaftsarchitekten, Außenflächenbeauftragte im Wohnungsbau und sonstige Interessierte. Das Angebot ist unbefristet. Noch bis Ende August ist die Schulung kostenfrei, danach läuft die Projektförderung laut Dominik Jentzsch aus. Ein PC, Laptop oder Smartphone sind Voraussetzung zur Teilnahme. Anmeldungen sind hier möglich: Naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen in Wohnquartieren.
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