Wie das „Vokuhila“-Prinzip beim Rückschnitt hilft

Stauden sind nicht nur schön anzusehen, sondern bieten Insekten Nektar, Pollen und Lebensraum. Gärtner Markus Schmidt von der Stiftung für Mensch und Umwelt spricht im Interview mit B_I galabau-Redakteur Jan Torben Budde über heimische Wildpflanzen, Staunässe, Hitze und Straßenbegleitgrün sowie Kniffe beim Rückschnitt, die an einen Friseurbesuch erinnern.

Interview: Stauden pflanzen und pflegen - so einfach geht's!
Knallbunte Farbexplosion oder lieber feine Töne? Stauden lassen sich ganz nach Geschmack arrangieren. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt

Was spielt bei der Auswahl von Stauden eine Rolle?

Markus Schmidt: Weil wir naturnahe Gärten anlegen, liegt unser Fokus auf heimischen Pflanzen. Hier setzen wir zudem auf die Wildform, weil diese den größten Nutzen für die Tierwelt bringt. Gefüllte Blüten etwa scheiden von vornherein aus, weil sie keinerlei Pollen mehr liefern. Anstelle von Staubblättern bilden sie zusätzliche Blütenblätter aus. Zuchtsorten sind außerdem oft Ableger, sprich Klone, einer einzigen Mutterpflanze. Diese genetische Verarmung macht die Gesamtheit einer Art anfälliger für Krankheiten, Fressfeinde oder Klimaveränderungen. Zudem versuchen wir, einen langen Zeitraum mit Blüten abzudecken, sodass von Früh- bis Spätblühern alles mit dabei ist.

Was ist noch zu beachten?

Schmidt: Zum Standort sollten die Pflanzen natürlich auch passen. Außerdem sind unterschiedliche Wuchshöhen wichtig, um der Fläche Struktur zu geben. Dabei haben wir auch immer den Winter im Blick, da wir auf unseren Flächen die abgestorbenen Stängel erst im Frühjahr entfernen. So bleiben sie als Winterquartier für Insekten oder als natürlicher Futterspender für Vögel bestehen. Besonders viel machen im Winter Wilde Karde oder Königskerzen als zweijährige Pflanzen her.

Wo gibt es die Stauden?

Schmidt: Nicht jede Gärtnerei hat heimische Wildpflanzen im Angebot. Es lohnt sich ein wenig zu recherchieren und spezialisierte Unternehmen zu finden. Wir haben selbst schon die Erfahrung gemacht, dass man ansonsten immer wieder Sorten geliefert bekommt. Zum Zeitpunkt der Pflanzung kann man das leider nicht immer erkennen.

Worauf kommt es beim Pflanzen an?

Schmidt: Auf nichts Besonderes. Die heimischen Wildarten lassen sich im Prinzip genauso pflanzen wie die klassischen Gartenstauden.

Markus Schmidt gehört bei der Stiftung für Mensch und Umwelt zum Naturgarten-Team. Dem Gärtner und Pädagogen liegt die Vermittlung der Vorteile naturnaher Flächen und Gärten an andere Menschen am Herzen. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt
Markus Schmidt gehört bei der Stiftung für Mensch und Umwelt zum Naturgarten-Team. Dem Gärtner und Pädagogen liegt die Vermittlung der Vorteile naturnaher Flächen und Gärten an andere Menschen am Herzen. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt

Welche Stauden kommen auch mal mit längeren Hitzeperioden zurecht?

Schmidt: Es gibt eine ganze Reihe von heimischen Stauden, die sehr gut mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen, sobald sie eingewachsen sind. Besonders schöne Stauden sind Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium), Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum), Thymian (Thymus spp.), Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria), Ähriger Ehrenpreis (Veronica spicata), Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana), Goldhaar-Aster (Galatella linosyris), Graslilien (Anthericum liliago und A. ramosum) und viele mehr.

Welche vertragen Starkregen und Staunässe?

Schmidt: Starkregen an sich ist kein Problem für Stauden. Das kennen sie aus der Natur ja seit jeher. Die Staunässe danach ist eher kritisch. Bei der Pflanzenwahl kann man hier auf Arten feuchter und wechselfeuchter Standorte zurückgreifen. Oft werden diese Stauden recht groß und kräftig, sodass sie eine gute Schauwirkung haben. Beispiele sind Blutweiderich (Lythrum salicaria), die aktuelle Staude des Jahres, Mädesüß (Filipendula ulmaria), Wasserdost (Eupatorium cannabinum), Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris), Langblättriger Ehrenpreis (Veronica longifolia) und einige mehr. Etwas kleiner, aber ebenso schön sind typische Pflanzen von Feuchtwiesen wie Sumpfdotterblume (Caltha palustris), Kuckuckslichtnelke (Silene flos-cuculi) oder Sumpf-Storchschnabel (Geranium palustre).

Stiftung für Mensch und Umwelt

Die Stiftung für Mensch und Umwelt ist eine gemeinnützige Körperschaft, die sich für Förderung und Schutz der biologischen Vielfalt einsetzt. Dabei setzt sie auf Kommunikation. 2010 hat die Stiftung das Städtenetzwerk „Deutschland summt!“ ins Leben gerufen. Die Initiative zielt darauf ab, Menschen für den Schutz von Bestäuberinsekten zu aktivieren.

Wie lässt sich der Boden optimal vorbereiten?

Schmidt: Wir versuchen, mit den Bodenverhältnissen, die wir vorfinden, zu arbeiten. Dabei freuen wir uns durchaus über magere Böden, weil diese Standorte bei der Auswahl der passenden Pflanzen sehr artenreich sein können, gleichzeitig aber in der Natur immer seltener werden. Bei Neuanlagen setzen wir gerne auf mineralische Substrate mit Feinanteil (auf die „0“ bei der Siebung achten: Schotter 0/32, Kies-Sand 0/8 usw.). Darauf bringen wir zur Aussaat für die Keimphase eine dünne Kompostschicht auf. Ist ein Standort sehr nährstoffreich, nehmen wir in die Pflanzenwahl besonders durchsetzungsstarke Arten mit auf wie Rainfarn (Tanacetum vulgare), Acker-Glockenblume (Campanula rapunculoides), Taubenkropf-Leimkraut (Silene vulgaris), Echtes Herzgespann (Leonurus cardiaca) oder Echtes Leinkraut (Linaria vulgaris). Diese können sich gegen Brennnessel & Co. besser behaupten und werden nicht sofort überwuchert.

Und die Düngung?

Schmidt: Düngung kommt bei uns sehr selten vor. Ausnahmen sind schattig-magere Standorte, weil hier kaum etwas wachsen will. Diese werten wir mit etwas Grünschnittkompost auf.

Was eignet sich zum Mulchen?

Schmidt: Weil sich offene Bodenstellen auch immer als Nisthabitate für Wildbienen und andere Insekten anbieten und wir die Standorte lieber aushagern, mulchen wir in aller Regel nicht mit organischem Material. Besonders Rindenmulch oder feinen Rasenschnitt sollte man vermeiden. Wenn trotzdem gemulcht werden soll, lieber auf mineralisches Material setzen wie Sand.

Geplant von der Stiftung für Mensch und Umwelt: ein Piko-Park, also ein kleiner, naturnah gestalteter Park, in Berlin mit heimischen Pflanzen in den drei Themenbeeten Steinhabitat, magere Staudenmischpflanzung und essbare Wildpflanzen. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt
Geplant von der Stiftung für Mensch und Umwelt: ein Piko-Park, also ein kleiner, naturnah gestalteter Park, in Berlin mit heimischen Pflanzen in den drei Themenbeeten Steinhabitat, magere Staudenmischpflanzung und essbare Wildpflanzen. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt

Wann sollten Stauden zurückgeschnitten werden?

Schmidt: Gerne erst nach dem Winter. Wie oben schon angedeutet, sind auch verblühte Stauden noch sehr wichtig als Nahrungsquelle und Winterquartier. Erst in warmen Phasen im nächsten Frühjahr können die alten Stängel weg. Im natürlichen Kreislauf knicken diese dann auch nach und nach um.

Wie kommt die Optik dann bei Passanten an?

Schmidt: Für viele Menschen ist der Anblick von braunen Stängeln ab dem Herbst ungewohnt. Hier hilft Aufklärung über Infotafeln oder Hauswurfsendungen. Oder aber ein Kompromiss: An Wegen und Aufenthaltsflächen schneiden wir einen Streifen schon bei der Herbstpflege zurück, tiefer in der Fläche bleiben die Stängel stehen. Wir haben das angelehnt an die berüchtigte Frisur „Vokuhila“-Prinzip genannt. Also vorne kurz, hinten lang. Übrigens: Wer den Platz hat, kann auch im Frühjahr entfernte Stängel noch abseits der Blicke aufrecht lagern. Dazu kann man sie einfach als Bündel verschnüren und an Sträucher oder Zäune anlehnen. Dann können die Insekten dort ihre Winterruhe beenden, wenn wir schneller waren, als ihr Lebenszyklus es zulässt. Optimal ist es, wenn Teilflächen wie etwa Säume auch nur alle zwei oder drei Jahre geschnitten werden. Dann haben alle Insekten die Möglichkeit, einen kompletten Zyklus dort zu durchlaufen.

Welche Rolle spielen Stauden bei der Förderung der Biodiversität?

Schmidt: Sie spielen eine sehr wichtige Rolle! Zuerst fällt uns immer das Blühangebot ein. Sie spenden also Nektar und Pollen für Wildbienen, Falter, Käfer, Schwebfliegen und einige mehr. Bei den Wildbienen sind einige auf ganz bestimmte Pflanzen angewiesen, weil sie nur deren Pollen für ihren Nachwuchs nutzen können. Meist tragen diese oligolektischen Bienen die Abhängigkeit schon im Namen, etwa bei der Natternkopf-Mauerbiene, der Glockenblumen-Sägehornbiene oder der Zaunrüben-Sandbiene. Doch viele Insekten brauchen ganz andere Pflanzenteile als die Blüten. Viele fressen an Blättern, Früchten, Samen oder Wurzeln. Hier gibt es noch deutlich spezialisierte Vertreter an Käfern, Grashüpfern oder Zikaden. Damit wir möglichst vielen von ihnen Nahrung bieten können, liegt der Schlüssel in einer großen Vielfalt an heimischen Stauden.

Gibt es diese Vielfalt denn überhaupt?

Schmidt: Leider sind in unserer Landschaft Offenlandbiotope wie artenreiche Wiesen, Weiden und Säume selten geworden. Sie waren Teil unserer jahrhundertealten Kulturlandschaft und besonders reich an Stauden. Deshalb ist es absolut sinnvoll, heimische Wildstauden auch im Siedlungsraum zu fördern.

Öde Flächen in Bienen-Paradiese verwandeln: Biologische Vielfalt fördern und schützen – dafür setzt sich die Stiftung für Mensch und Umwelt ein. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt
Öde Flächen in Bienen-Paradiese verwandeln: Biologische Vielfalt fördern und schützen – dafür setzt sich die Stiftung für Mensch und Umwelt ein. | Foto: Stiftung für Mensch und Umwelt

Wie können Stauden dazu beitragen, urbane Hitzeinseln zu reduzieren und das Stadtklima zu verbessern?

Schmidt: Untersuchungen zeigen immer wieder, dass jede Grünfläche im Sommer die Luft abkühlt. Gerade in Städten werden daher zudem Fassaden- und Dachbegrünungen eine immer wichtigere Rolle spielen. Eine schöne Anekdote zum Thema: Während der Lockdownzeit in der Corona-Krise blieben am Platz vor der Kathedrale in Santiago de Compostela die Pilger aus. Die Pflanzen in den Pflasterritzen wurden nicht mehr zertrampelt, sondern konnten wachsen und kühlten so die Pflastersteine. Forscher untersuchten das Phänomen und stellten fest, dass die Oberflächentemperatur der Pflastersteine durch Fugenbewuchs teils um 28 Grad gesenkt werden kann.

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Kennen Sie gute Beispiele aus der Praxis, wo Stauden erfolgreich in Städten eingesetzt werden?

Schmidt: Wir selbst haben mit unserem Projekt „Treffpunkt Vielfalt“ naturnahe Flächen im Wohnungsbau erprobt. Auch nach Abschluss gestalten wir weiterhin urbane Flächen um, die vorher nicht viel für die Vielfalt zu bieten haben. Auch im Straßenbegleitgrün können Staudenmischpflanzungen wunderbar eingesetzt werden. Legt man diese zum Beispiel nur mit Wiesenstauden an, können sie auch besonders einfach – eben wie Blumenwiesen – gepflegt werden.

Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch.

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