Die Ziegelindustrie auf dem Weg zur Klimaneutralität
Die Ziegelindustrie kämpft zurzeit an zwei Fronten: Die gestiegenen Gaspreise und die Vermeidung von klimaschädlichem CO2 treiben die Hersteller um. Bis 2050 will die Branche klimaneutral produzieren. Über das Dilemma zwischen Nachhaltigkeit und hohem Energiebedarf sprachen wir mit Attila Gerhäuser, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie.
Das Mischen wird digital
Zum Jubiläum präsentiert Collomix die komplett neue Rührwerksreihe XQ mit neuen Antrieben, digitaler Display-Steuerung und hoher Geräuschreduktion.
Ziegelindustrie mit Roadmap zur Klimaneutralität
In einer ehrgeizigen Roadmap ließ die Ziegelindustrie untersuchen, wie das Ziel einer Klimaneutralität erreicht werden kann. Das Szenario sieht eine Reduzierung auf null Emissionen vor. Vorausgesetzt, der Wechsel auf emissionsfreie Energieträger wie Wasserstoff gelingt und ist wirtschaftlich vertretbar. Die erforderlichen Gesamtinvestitionen für diesen technologischen Transformationsprozess bis zum Jahr 2050 beziffert der Verband für seine Mitgliedsunternehmen auf 2,3 Milliarden Euro.
Die deutsche Ziegelindustrie benötigt nach eigenen Angaben bis 2050 jährlich etwa 1,0 Terawatt grünen Wasserstoff, um klimaneutral zu werden. Darüber hinaus rechnet die Branche bis 2050 mit einem Grünstrombedarf von jährlich rund 1,4 Terawatt. Der derzeitige CO2-Ausstoß resultiert überwiegend aus dem Verbrennen des fossilen Brennstoffes Gas. Weil auch beim Brennvorgang einige kalkhaltige Tone prozessbedingt zusätzlich CO2 ausstoßen, will die Industrie zunehmend auf kalkfreie Tone zurückgreifen.
Gerhäuser: „Die Alternative zu Gas wäre grüner Wasserstoff“
Seit knapp einem Jahr ist Attila Gerhäuser Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie, in dem rund 80 Ziegelhersteller organisiert sind. Dies entspricht einem Organisationsgrad von fast 100 Prozent. Laut Verbandsangaben produzieren die 8.500 Beschäftigten jährlich rund 7,5 Millionen Mauerziegel sowie 600 Millionen Dachziegel und erwirtschaften damit einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Auch Vormauerziegel und Pflasterklinker gehören zum Produktportfolio mehrerer Mitgliedsunternehmen. Wir sprachen mit Attila Gerhäuser über Nachhaltigkeit und die aktuellen Herausforderungen bei der Substitution von Gas.
B_I: Wenn Sie einem potenziellen Bauherrn einen Rat geben sollten, ob er Beton, Holz, Kalksandstein oder Ziegel für sein geplantes Wohnhaus verwenden sollte, was würden Sie ihm raten?
Attila Gerhäuser: Für das Hintermauerwerk würde ich ihm gefüllte oder ungefüllte Ziegel empfehlen, weil er komplett ohne Wärmedämmverbundsystem auskommt. Das ist der große Vorteil beim Hintermauerziegel: seine gute Wärmedämmleistung. Er punktet auch in Bezug auf den Brandschutz, weil keine weiteren Schutzmaßnahmen notwendig sind. Kurz gesagt: Ziegel ist der Baustoff erster Wahl, auch im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Auf jeden Fall würde ich ein Steildach empfehlen und mit Dachziegel decken, auch wegen der Langlebigkeit, der guten energetischen Werte und der Nachhaltigkeit eines Naturprodukts. Ein weiterer Vorteil des Ziegels sind seine kurzen Lieferwege. In Deutschland legt ein Ziegel als regionaler Baustoff von der Produktion zur Baustelle maximal 109 Kilometer zurück, weil in der Regel die Tongrube neben der Produktionsstätte liegt.
B_I: Viele Bauherren fordern heute nachhaltige, am besten wiederverwendbare Baustoffe.
Gerhäuser: Der Cradle to Cradle-Ansatz muss bei den unterschiedlichen Ziegeln differenziert betrachtet werden. Dachziegel und Pflasterklinker sind ohne weiteres wiederverwendbar. Größer ist der Aufwand beim Vor- und Hintermauerziegel. Sie sind allerdings wiederverwertbar, also recyclingfähig. Daran wird intensiv gearbeitet, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Zurzeit wird Ziegelbruch, der beim Rückbau eines Gebäudes anfällt, zu Ziegelmehl verarbeitet, welches z.B. auf Tennisplätzen oder auch im Straßenbau, im Landschaftsbau und als Pflanzensubstrat Verwendung findet. Teilweise fließt es auch wieder in den Produktionsprozess ein.
B_I: Gibt es ausreichend Tonvorkommen? Oder Probleme im Zusammenhang mit dem Abbau?
Gerhäuser: Der Rohstoff Ton ist in Deutschland quasi unendlich verfügbar. Wir könnten viel mehr abbauen. Das ist wichtig für den Aspekt der Rohstoffunabhängigkeit. Allerdings ist Ton nicht gleich Ton, regional gibt es Qualitätsunterschiede. Für den Abbau braucht es Genehmigungen, die verbunden sind mit strengen Auflagen für eine Renaturierung nach dem Abbau. In aufgelassenen Tongewinnungsstätten entstehen vorbildliche Biotope mit großer Artenvielfalt.
B_I: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Energiekrise auf die Ziegelproduktion? Gab es Produktionstopps?
B_I: Hilft die Gaspreisbremse der Ziegelbranche?
Gerhäuser: Inzwischen gibt es mit der Gaspreisbremse eine gewisse Planungssicherheit. Wir wissen jetzt in etwa, zu welchem Preis wir zuverlässig Gas beziehen können. Allerdings können aufgrund der beihilferechtlichen Vorgaben nicht siebzig Prozent des Gasverbrauchs zum Preis von 7 Cent bezogen werden, sondern abhängig von der Unternehmensgröße, deutlich weniger. Das macht uns vor dem Hintergrund der allgemeinen Baukrise große Sorgen. Beim Bau von Eigenheimen, in dem der Ziegel führend ist, bricht die Zahl der Bauvorhaben ein. Andererseits steigt der Wohnraumbedarf, auch wegen des Zuzugs von Geflüchteten. Das neue Förderprogramm für den klimafreundlichen Neubau sieht keine Tilgungszuschüsse mehr vor. Stattdessen gibt es hohe Anforderungen, z.B. die Nachhaltigkeitszertifizierung. Das wird den Wohnungsbau weiter ausbremsen. Wir haben es jetzt mit einem Giftcocktail aus dreieinhalb bis vier Prozent Bauzinsen, höheren Baukosten und Finanzknappheit bei privaten Bauherren zu tun.
B_I: Hat sich trotz Energieengpass die Lage inzwischen etwas entspannt?
B_I: In Ihren Mitteilungen weisen Sie auf Anstrengungen der Unternehmen für nachhaltige Produktion hin. Was hat es damit auf sich?
Gerhäuser: Die Prozesse der Ziegelunternehmen sollen effizienter gestaltet werden, vor allem bei den Brennern. Es wird zunehmend in regenerative Energien – vor allem Strom – investiert. Zum Teil mit eigenen Solarparks oder Windrädern. Und auch in Photovoltaik auf den Werkdächern. Da gibt es zwar lange Genehmigungszeiten, es ist aber trotzdem sinnvoll. Denn ein Zurück zum Öl gibt es nicht, die Technologie ist bei den Ziegelherstellern nicht mehr vorhanden.
Im Bau kennen wir uns aus!
Für Sie bauen wir unseren Newsletter mit den relevantesten Neuigkeiten aus der Branche.
Gleich abonnieren!
B_I: Welche Perspektiven sehen Sie für die Ziegelindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Gerhäuser: Ziegel ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheitsgeschichte und wird auch in Zukunft dringend gebraucht. Es gibt Jahrhunderte alte Bauwerke aus Ziegel. Sein Potential dafür birgt unser Baustoff in seiner Ästhetik und Nachhaltigkeit. Die Politik ist jetzt gefordert, Leitplanken zu schaffen, um die Baukonjunktur anzuschieben. Dabei sollten alle Fördermittel technologieoffen ausgeschrieben werden und auch den Aspekt der Langlebigkeit angemessen berücksichtigen.
B_I: Vielen Dank, Herr Gerhäuser, für das Gespräch.
Lesen Sie auch:
Neueste Beiträge:
Meistgelesene Artikel
Für welche Leistungsart interessieren Sie sich?
Bauleistungen
Dienstleistungen
Lieferleistungen
Verwandte Bau-Themen:
Top Bau-Themen:
Jetzt zum Newsletter anmelden:
Lesen Sie Nachrichten zu Bauwirtschaft und Baupolitik aus erster Hand. Plus: Hoch-, Tief- und Straßenbau.