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Die Ziegelindustrie auf dem Weg zur Klimaneutralität

Die Ziegelindustrie kämpft zurzeit an zwei Fronten: Die gestiegenen Gaspreise und die Vermeidung von klimaschädlichem CO2 treiben die Hersteller um. Bis 2050 will die Branche klimaneutral produzieren. Über das Dilemma zwischen Nachhaltigkeit und hohem Energiebedarf sprachen wir mit Attila Gerhäuser, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie.

Klimaneutrales Bauen: Die Ziegelindustrie auf dem Weg zur Klimaneutralität
Der Ziegel ist ein nachhaltiger Baustoff: Er ist langlebig, recycelbar, hat eine hohe Wärmedämmleistung. Aber: Für seine Produktion ist viel Energie nötig. | Foto: BVZi/Christoph Große

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Ziegel ist einer der ältesten Baustoffe. Nicht nur Italienreisende wissen das. Noch nach mehr als zwei Jahrtausenden lassen sich gut erhaltene Ziegelbauwerke bestaunen. Doch dem langlebigen und nachhaltigen Baustoff droht Ungemach. Für die zum Brennen der Ziegel benötigte Hitze wird teures Gas eingesetzt, viel Gas. Und das auch noch für eine lange Zeit. Das dabei freiwerdende unerwünschte CO2 soll bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden und bis 2050 neutralisiert sein. Zwar wurde der Gasverbrauch in den letzten 30 Jahren halbiert von zehn auf aktuell 5,4 Terawattstunden, doch von der Klimaneutralität ist man noch recht weit entfernt. Trotz der reduzierten CO2-Emissionen um etwa 40 Prozent beträgt der jährliche Ausstoß aktuell immer noch 1,74 Millionen Tonnen CO2.

Ziegelindustrie mit Roadmap zur Klimaneutralität

In einer ehrgeizigen Roadmap ließ die Ziegelindustrie untersuchen, wie das Ziel einer Klimaneutralität erreicht werden kann. Das Szenario sieht eine Reduzierung auf null Emissionen vor. Vorausgesetzt, der Wechsel auf emissionsfreie Energieträger wie Wasserstoff gelingt und ist wirtschaftlich vertretbar. Die erforderlichen Gesamtinvestitionen für diesen technologischen Transformationsprozess bis zum Jahr 2050 beziffert der Verband für seine Mitgliedsunternehmen auf 2,3 Milliarden Euro.

Die deutsche Ziegelindustrie benötigt nach eigenen Angaben bis 2050 jährlich etwa 1,0 Terawatt grünen Wasserstoff, um klimaneutral zu werden. Darüber hinaus rechnet die Branche bis 2050 mit einem Grünstrombedarf von jährlich rund 1,4 Terawatt. Der derzeitige CO2-Ausstoß resultiert überwiegend aus dem Verbrennen des fossilen Brennstoffes Gas. Weil auch beim Brennvorgang einige kalkhaltige Tone prozessbedingt zusätzlich CO2 ausstoßen, will die Industrie zunehmend auf kalkfreie Tone zurückgreifen.

„Wir werden uns auf höhere Energiepreise einstellen müssen“, Attila Gerhäuser, Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie. | Foto: BVZi/Christoph Große
„Wir werden uns auf höhere Energiepreise einstellen müssen“, Attila Gerhäuser, Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie. | Foto: BVZi/Christoph Große

Gerhäuser: „Die Alternative zu Gas wäre grüner Wasserstoff“

Seit knapp einem Jahr ist Attila Gerhäuser Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie, in dem rund 80 Ziegelhersteller organisiert sind. Dies entspricht einem Organisationsgrad von fast 100 Prozent. Laut Verbandsangaben produzieren die 8.500 Beschäftigten jährlich rund 7,5 Millionen Mauerziegel sowie 600 Millionen Dachziegel und erwirtschaften damit einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Auch Vormauerziegel und Pflasterklinker gehören zum Produktportfolio mehrerer Mitgliedsunternehmen. Wir sprachen mit Attila Gerhäuser über Nachhaltigkeit und die aktuellen Herausforderungen bei der Substitution von Gas.

B_I: Wenn Sie einem potenziellen Bauherrn einen Rat geben sollten, ob er Beton, Holz, Kalksandstein oder Ziegel für sein geplantes Wohnhaus verwenden sollte, was würden Sie ihm raten?

Attila Gerhäuser: Für das Hintermauerwerk würde ich ihm gefüllte oder ungefüllte Ziegel empfehlen, weil er komplett ohne Wärmedämmverbundsystem auskommt. Das ist der große Vorteil beim Hintermauerziegel: seine gute Wärmedämmleistung. Er punktet auch in Bezug auf den Brandschutz, weil keine weiteren Schutzmaßnahmen notwendig sind. Kurz gesagt: Ziegel ist der Baustoff erster Wahl, auch im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Auf jeden Fall würde ich ein Steildach empfehlen und mit Dachziegel decken, auch wegen der Langlebigkeit, der guten energetischen Werte und der Nachhaltigkeit eines Naturprodukts. Ein weiterer Vorteil des Ziegels sind seine kurzen Lieferwege. In Deutschland legt ein Ziegel als regionaler Baustoff von der Produktion zur Baustelle maximal 109 Kilometer zurück, weil in der Regel die Tongrube neben der Produktionsstätte liegt.

B_I: Viele Bauherren fordern heute nachhaltige, am besten wiederverwendbare Baustoffe.

Gerhäuser: Der Cradle to Cradle-Ansatz muss bei den unterschiedlichen Ziegeln differenziert betrachtet werden. Dachziegel und Pflasterklinker sind ohne weiteres wiederverwendbar. Größer ist der Aufwand beim Vor- und Hintermauerziegel. Sie sind allerdings wiederverwertbar, also recyclingfähig. Daran wird intensiv gearbeitet, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Zurzeit wird Ziegelbruch, der beim Rückbau eines Gebäudes anfällt, zu Ziegelmehl verarbeitet, welches z.B. auf Tennisplätzen oder auch im Straßenbau, im Landschaftsbau und als Pflanzensubstrat Verwendung findet. Teilweise fließt es auch wieder in den Produktionsprozess ein.

B_I: Gibt es ausreichend Tonvorkommen? Oder Probleme im Zusammenhang mit dem Abbau?

Gerhäuser: Der Rohstoff Ton ist in Deutschland quasi unendlich verfügbar. Wir könnten viel mehr abbauen. Das ist wichtig für den Aspekt der Rohstoffunabhängigkeit. Allerdings ist Ton nicht gleich Ton, regional gibt es Qualitätsunterschiede. Für den Abbau braucht es Genehmigungen, die verbunden sind mit strengen Auflagen für eine Renaturierung nach dem Abbau. In aufgelassenen Tongewinnungsstätten entstehen vorbildliche Biotope mit großer Artenvielfalt.

B_I: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Energiekrise auf die Ziegelproduktion? Gab es Produktionstopps?

Gerhäuser: Im letzten Jahr gab es den Fall der Firma Nelskamp. Das Unternehmen kündigte im September an, drei Produktionsstandorte wegen der hohen Gas- und Strompreise vorübergehend herunterzufahren. Die Gaspreise hängen ab von Lieferverträgen der Unternehmen. Einige hatten langfristige Gasverträge, waren also nicht vom Spotmarkt abhängig. Bis zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine war ein Brennstoffwechsel von Kohle und Öl zu Gas politisch gewollt. Diesen Schritt haben alle Ziegelwerke schon vor Jahren vollzogen. Allerdings mit dem Dilemma, dass sie nun in einer massiven Gasabhängigkeit gelandet sind. Wir haben in der Prognos-Studie ein Szenario entworfen, das einen Lieferstopp unterstellt, weil es kein Gas mehr gibt. Sinn dieser Studie war aufzuzeigen, was passiert, wenn die Ziegelproduktion stoppt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Wohnbauziele der Regierung dann nicht zu erreichen sind. Doch was wird dann aus dem Recht auf Wohnraum? Ziegel sind ein wirtschaftlicher und nachhaltiger Baustoff. Circa dreißig Prozent aller Wohngebäude in Deutschland werden mit Ziegeln gebaut. Auch wurde untersucht, was mit den nachgelagerten Wertschöpfungsketten in der Bauwirtschaft passiert. Wir als Industrie wollten eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung haben. Das Ergebnis: Ein Produktionsstopp hätte massiven Einfluss auf nachgelagerte Wertschöpfungsketten der gesamten Bauwirtschaft gehabt, auch weil der Ziegel wegen der allgemeinen Baustoffknappheit nicht hätte substituiert werden können.

B_I: Hilft die Gaspreisbremse der Ziegelbranche?

Gerhäuser: Inzwischen gibt es mit der Gaspreisbremse eine gewisse Planungssicherheit. Wir wissen jetzt in etwa, zu welchem Preis wir zuverlässig Gas beziehen können. Allerdings können aufgrund der beihilferechtlichen Vorgaben nicht siebzig Prozent des Gasverbrauchs zum Preis von 7 Cent bezogen werden, sondern abhängig von der Unternehmensgröße, deutlich weniger. Das macht uns vor dem Hintergrund der allgemeinen Baukrise große Sorgen. Beim Bau von Eigenheimen, in dem der Ziegel führend ist, bricht die Zahl der Bauvorhaben ein. Andererseits steigt der Wohnraumbedarf, auch wegen des Zuzugs von Geflüchteten. Das neue Förderprogramm für den klimafreundlichen Neubau sieht keine Tilgungszuschüsse mehr vor. Stattdessen gibt es hohe Anforderungen, z.B. die Nachhaltigkeitszertifizierung. Das wird den Wohnungsbau weiter ausbremsen. Wir haben es jetzt mit einem Giftcocktail aus dreieinhalb bis vier Prozent Bauzinsen, höheren Baukosten und Finanzknappheit bei privaten Bauherren zu tun.

Die Ziegelindustrie steckt im Dilemma: Sie muss klimaneutral werden und dabei wettbewerbsfähig bleiben. Gesucht wird nach Alternativen zum Erdgas für den Brennvorgang. | Foto: BVZi
Die Ziegelindustrie steckt im Dilemma: Sie muss klimaneutral werden und dabei wettbewerbsfähig bleiben. Gesucht wird nach Alternativen zum Erdgas für den Brennvorgang. | Foto: BVZi

B_I: Hat sich trotz Energieengpass die Lage inzwischen etwas entspannt?

Gerhäuser: Wir werden uns auf höhere Preise einstellen müssen, es wird kein Zurück zum Vorkriegspreisniveau mehr geben. Zurzeit ist die Versorgungslage stabil, weil die Speicher für sehr viel Geld gefüllt wurden und der Winter insgesamt mild verläuft. Deutschland hat den Weltmarkt leergekauft, der Druck hat etwas nachgelassen und die Gaspreise sinken. Sorgen machen wir uns über die kommenden Jahre. Das Angebot für LNG auf dem Weltmarkt wird vorerst kaum größer. Die Ziegelindustrie wird aber noch viele Jahre Erdgas zu wettbewerbsfähigen Preisen benötigen. Die Alternative zu Gas wäre grüner Wasserstoff, der aber in Deutschland nicht in der Menge verfügbar ist, die gebraucht wird. Der Bedarf ist branchenabhängig, die chemische Industrie beispielsweise benötigt deutlich mehr Gas bzw. Wasserstoff. Dazu sind hohe Investitionen notwendig, um Anlagen umzubauen. Und es muss Planungssicherheit bestehen, dass die Infrastruktur vorhanden und die Versorgung gesichert ist.

B_I: In Ihren Mitteilungen weisen Sie auf Anstrengungen der Unternehmen für nachhaltige Produktion hin. Was hat es damit auf sich?

Gerhäuser: Die Prozesse der Ziegelunternehmen sollen effizienter gestaltet werden, vor allem bei den Brennern. Es wird zunehmend in regenerative Energien – vor allem Strom – investiert. Zum Teil mit eigenen Solarparks oder Windrädern. Und auch in Photovoltaik auf den Werkdächern. Da gibt es zwar lange Genehmigungszeiten, es ist aber trotzdem sinnvoll. Denn ein Zurück zum Öl gibt es nicht, die Technologie ist bei den Ziegelherstellern nicht mehr vorhanden.

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B_I: Welche Perspektiven sehen Sie für die Ziegelindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Gerhäuser: Ziegel ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheitsgeschichte und wird auch in Zukunft dringend gebraucht. Es gibt Jahrhunderte alte Bauwerke aus Ziegel. Sein Potential dafür birgt unser Baustoff in seiner Ästhetik und Nachhaltigkeit. Die Politik ist jetzt gefordert, Leitplanken zu schaffen, um die Baukonjunktur anzuschieben. Dabei sollten alle Fördermittel technologieoffen ausgeschrieben werden und auch den Aspekt der Langlebigkeit angemessen berücksichtigen.

B_I: Vielen Dank, Herr Gerhäuser, für das Gespräch.

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