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ESG wird die nächste Herausforderung für das Baugewerbe

Neben der Corona-Pandemie und der extrem volatilen Baukosten ist das Thema Nachhaltigkeit und ESG die nächste Herausforderung für die Baubranche. Die Nachfrage nach ESG-konformen Immobilien kommt zunächst von Akteuren des Finanzmarktes, die nach nachhaltigen Investitionsmöglichkeiten suchen. Doch klimagerechte Gebäude interessieren auch private Bauherren immer mehr. Das Baugewerbe muss sich darauf jetzt einstellen.

Nachhaltigkeit am Bau: ESG wird die nächste Herausforderung für das Baugewerbe
Auf eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Gebäuden muss sich das Baugewerbe einstellen. Das neunstöckige Hybridholzhaus „Im Wohnpark Nette 6“ wurde ESG-konform gebaut. | Foto: Gropyus

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„ESG“ steht in der Immobilien- und Baubranche längst nicht mehr für Einscheibensicherheitsglas. Die Zukunftsfähigkeit von Immobilien wird anhand der Faktoren E (Environmental), S (Social) und G (Governance) bemessen. Die Schlagworte „Nachhaltigkeit“ und „ESG“ sind in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Fridays for Future-Bewegung verstärkt in den Fokus der breiten Öffentlichkeit und Politik gerückt. Nach dem European Green Deal ist es das Ziel der Europäischen Union, die Netto-Emissionen von Treibhausgasen in der EU bis 2050 auf Null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden.

Grüne Investitionen transparenter machen

Nach Auffassung der EU-Kommission ist der Finanzmarktsektor Dreh- und Angelpunkt einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung Europas. Mit der EU-Taxonomieverordnung („Taxonomie-VO“), der EU-Offenlegungsverordnung („Offenlegungs-VO“) sowie weiterer sogenannter delegierter Rechtsakte wurden regulatorische Vorgaben für diverse Finanzmarktteilnehmer geschaffen, die Finanzmittel in nachhaltige Investitionen lenken sollen. Die Nachhaltigkeit wird anhand von ökologischen (Environmental), sozialen (Social) und die Unternehmensführung (Governance) betreffende Kriterien klassifiziert bzw. taxonomiert.

Finanzmarkt macht Druck auf den Bau

In den Mitgliedsstaaten der EU verursacht der Bau- und Gebäudesektor rund 36 Prozent der CO2 -Emissionen und ist mit einem Anteil von rund 40 Prozent der größte „Energieverbraucher“ der Union. Die Bewegung macht somit auch vor der Bau- und Immobilienbranche keinen Halt. Doch wie soll nachhaltig investiert werden, wenn die Investitionsobjekte fehlen? Die Bauvorhaben von heute sind die Investitions- und Anlageobjekte von in zwei bis drei Jahren. Den operativen Beitrag zur Erreichung der Ziele des „European Green Deal“ können Investoren allein nicht leisten. Der Druck des Finanzmarktes auf die Baubranche, sich den Themen Nachhaltigkeit und ESG anzunehmen wächst.

Regulatorische Kriterien für die Nachhaltigkeit

Bereits vor knapp zwei Jahren, am 12.07.2020, ist die Taxonomie-VO in Kraft getreten. Hiernach ist eine Wirtschaftstätigkeit nachhaltig, wenn sie

  1. einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der sechs Umweltziele (Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme) leistet,
  2. nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer anderer Umweltziele führt,
  3. unter Einhaltung eines bestimmten sozialen Mindestschutzes ausgeübt wird und
  4. technischen Bewertungskriterien entspricht (u.a. Anforderungen an verwendete Baustoffe, Erreichung bestimmter Energieeffizienzklassen, Reduzierung von CO2).

Die EU-Kommission hat am 04.06.2021 einen ersten delegierten Rechtsakt erlassen, der bzgl. der beiden Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel technische Bewertungskriterien u.a. für den Neubau und die Renovierung bestehender Gebäude vorgibt.

Ein weiterer (regulatorischer) Baustein ist die am 31.12.2019 in Kraft getretene Offenlegungs-VO. Diese enthält harmonisierte Vorgaben für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater über Transparenz bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken und der Berücksichtigung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen in ihren Prozessen und bei der Bereitstellung von Informationen über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten. Dies soll Transparenz schaffen und sogenanntem „Green-Washing“ vorbeugen.

Nachhaltige Investitionsmöglichkeiten gesucht

Das regulatorische Rahmenwerk richtet sich unmittelbar an bestimmte Finanzmarktteilnehmer (z.B. Immobilienfonds, Pensionsfonds, Emittenten von Finanzprodukten) und große Unternehmen von öffentlichem Interesse, mithin an die Investorenseite. Dies führt dazu, dass Investoren Interesse an „nachhaltigen“ oder „ESG-konformen“ Investitionsmöglichkeiten haben, diese jedoch nicht selbst schaffen können. Die Grundsteinlegung für die Möglichkeit, in nachhaltige Investitionsobjekte investieren zu können, d.h. der operative Beitrag, erfolgt durch die Beteiligten der Bauwirtschaft.

ESG-Kriterien frühzeitig berücksichtigen

Wird das fertiggestellte Bauvorhaben nicht ausschließlich an den (privaten) Endkunden veräußert, sollte die Einhaltung der ESG-Kriterien frühzeitig im Bauvorhaben sichergestellt werden, um den möglichen Käuferkreis nicht einzuschränken. Dies betrifft zum einen die Einhaltung von Social- und Governance-Kriterien bereits im Rahmen der Leistungserbringung, insbesondere die Einhaltung sozialer Mindeststandards, zum anderen als Werkerfolg auch die Erfüllung der Voraussetzungen, die die Taxonomie-VO nebst delegierter Rechtsakte an eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit stellt. Es ist somit die gesamte Wertschöpfungskette betroffen.

Nachhaltigkeits-Ziele in Bauverträgen

Da es sich bei den Vorgaben der Taxonomie-VO nicht um zwingendes nationales Recht handelt, sind die technischen Bewertungskriterien keine Vorgaben, die ohnehin zwingend einzuhalten sind, wie z.B. die anerkannten Regeln der Technik. Soll die Immobilie unter Beachtung der Vorgaben der Taxonomie-VO geplant und errichtet werden, bedarf es daher ausdrücklicher Vereinbarungen in den jeweiligen Planer- und Bauverträgen. Die Einhaltung der Vorgaben der Taxonomie-VO nebst delegierter Rechtsakte muss dem jeweiligen Auftragnehmer in sein Pflichtenheft geschrieben werden. Von allgemeinen Vorgaben, wie sie oft in Bau- und Planerverträgen zu finden sind, wie z.B.: „Die Grundsätze der Nachhaltigkeit sind vom AN zu beachten“, sollte im Hinblick auf das daraus resultierende Konfliktpotential abgesehen werden. Es ist allen Baubeteiligten anzuraten, möglichst konkrete (Nachhaltigkeits-)Ziele zu vereinbaren.

Nachweis für Nachhaltigkeit gefordert

Am Markt ist ferner zu beobachten, dass Investoren im Rahmen der Ankaufsentscheidung Nachweise darüber fordern, inwieweit die Themen Nachhaltigkeit und/oder die Vorgaben aus der Taxonomie-VO nebst delegierter Rechtsakte eingehalten wurden. Wichtig ist daher, dass solche Nachweise geführt werden können. Dies umfasst beispielsweise Produktdatenblätter, Zertifizierungsnachweise bestimmter Baustoffe, Nachweise über ergriffene Maßnahmen zur Reduzierung von Lärm, Staub- und Schadstoffemissionen während der Bauarbeiten. Auch die Sammlung sowie Anfertigung solcher Dokumentationsunterlagen sollte konkret vertraglich vereinbart werden.

„Wer zukunftsfähig bauen möchte, wird sich mit ESG und Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen – das kann zum Wettbewerbsvorteil werden.“ Jan Kramer | Foto: Arge Baurecht
„Wer zukunftsfähig bauen möchte, wird sich mit ESG und Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen – das kann zum Wettbewerbsvorteil werden.“ Jan Kramer | Foto: Arge Baurecht

Fazit: Nachfrage nach ESG-konformen Immobilien steigt

Neben der Corona-Pandemie sowie der derzeit extrem volatilen Baukosten ist das Thema Nachhaltigkeit und ESG die nächste Herausforderung, der sich die Baubranche stellen muss. Die stärker anziehende „Umweltgesetzgebung“ auf nationaler Ebene, steigender politischer und gesellschaftlicher Druck sowie europäische regulatorische Vorgaben dürften dazu führen, dass ESG-konforme Immobilien am Markt goutiert werden. Ferner ist am Markt zu beobachten, dass Banken dazu übergehen, günstigere Finanzierungsoptionen für ESG-konforme Immobilien anzubieten. Die Nachfrage nach ESG-konformen Bauen wird zunächst von Akteuren des Finanzmarktes kommen.

Ausblick: Nachhaltige Gebäude auch für private Bauherren interessant

Aufgrund des Klimawandels und seiner merklich spürbaren Folgen sind jedoch gesamtgesellschaftliche Bestrebungen hin zu einem nachhaltigen globalen Wirtschaftssystem zu erkennen. Nachhaltigkeit und „grünes Bauen“ macht auch vor den privaten Bauherren keinen Halt. Inwieweit diese in Zeiten von steigenden Baustoffpreisen und höheren Finanzierungskosten dazu bereit sind, im eigenen Bauvorhaben nachhaltigkeitsbezogene Aspekte zu forcieren, bleibt abzuwarten. Doch steigende Energie- und Finanzierungskosten sowie ein „strenger“ werdendes Förderumfeld sind Themen, mit denen sich auch private Bauherren beschäftigen müssen, und was schließlich zu einer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten führen kann. Dies schlägt wiederum auf die Baubranche durch, die jene Anforderungen umsetzen muss. Wer also zukunftsfähig bauen möchte, wird sich mit ESG und Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen, was auch zum Wettbewerbsvorteil werden kann.

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Zum Autor

Jan Kramer ist Rechtsanwalt bei GSK Stockmann in Frankfurt, spezialisiert auf Projektentwicklungen und schreibt für die Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein. www.arge-baurecht.com

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