Lichtgestalt: Nachfahrt mit Mercedes eActros 600
Auch wenn draußen Sommerhitze herrscht: E-Lkw müssen sich das ganze Jahr bewähren. Frank Hausmann hat den Mercedes eActros 600 im Winter bei Regen, Kälte und Dunkelheit getestet – und liefert spannende Einblicke in Reichweite, Komfort und Technik.

Wintertauglichkeit im Härtetest: eActros 600 auf Tour

Was im Sommer geht, muss auch in der kalten Jahreszeit funktionieren. Eine Wintererprobung auf zirka 6.500 km bis an den Polarkreis mit bis zu minus 18°C Außentemperatur hat den Mercedes-Mannen die Erkenntnis gebracht: Der Winter-Mehrverbrauch des Fernverkehrs-Lkw eActros 600 liegt bei 25 bis 50%. Das Gros der Energie gehe für die deutlich erhöhten Fahrwiderstände drauf. Nur 5% seien während der Tour auf das Heizen der Fahrerkabine auf 19°C nachts und 21°C tagsüber zurückzuführen. Und das führe lediglich zu einer um maximal 5% geringeren Reichweite. Wegen der Kabinenheizung muss die nächste Ladesäule 25 km früher angesteuert werden.
Fahrbatterie und Reichweite: Technik für die Langstrecke
Sorgen um die Reichweite muss sich die Besatzung während der nächtlichen Testfahrt von Wörth in Richtung Landau in der Pfalz nicht machen. Der Akku des eActros 600 ist auf 86% mit Energie gefüllt, der Bordcomputer verspricht eine Reichweite von 430 km. Da sollte eine knapp 150 km lange Rundfahrt mit dem 40-Tonner auf Landstraßen und Autobahnen kein Zwischenladen erforderlich machen. Im Mittelpunkt der Probefahrt stehen weniger der Verbrauch, sondern das Fahrverhalten eines E-Lkw auf nasser, rutschiger Fahrbahn, die Bedienung und Übersichtlichkeit bei Dunkelheit sowie die Lichtausbeute der Matrix-Scheinwerfer.
Neue ProCabin: Aerodynamik und Bedienkomfort

Optisch grenzt sich der Stromer durch ein eigenständiges Kabinen-Design deutlich vom Verbrenner-Bruder Actros ab. Mercedes vermarktet die 2,50 m breite Kabine unter der Bezeichnung „ProCabin“. Ihre nahezu völlig geschlossene Front lässt frischen Fahrtwind zur Kühlung nur durch den versenkten, illuminierten Mercedes-Stern, einem kleinen Spalt über dem Stoßfänger sowie den Rippen in Selbigen strömen. Der Stoßfänger nimmt die neuen Matrix-Scheinwerfern in LED-Bauweise samt integriertem Lichtband auf. Auf eine durchgezogene Lichtleiste verzichten die Schwaben im Serienmodell. Die sei nur beim Auto und nicht am Lkw erlaubt.
1,5 Tonnen schwere Batterien
Alle Ecken und Kanten sind glattgezogen, sämtliche Löcher und Spalten gestopft. Zusammen mit der 80 mm verlängerten Front erhöht das Windschlüpfrigkeit und Reichweite. Mercedes verspricht gut 500 km Fahrt, bevor die Batterien mit 600 kWh nutzbarer Kapazität wieder an die Ladesäule müssen. Daimler setzt auf chinesische Batterien von CATL, die mit ihrem Lithium-Eisenphosphat-Innenleben ohne Probleme tiefer entladen können als andere Batterietypen. Mit rund 95% verwertbarer Kapazität bieten sie mehr nutzbare Reichweite als andere Batterietypen. Insgesamt drei LFP-Akkus sind zwischen den Achsen des eActros 600 mit exakt 4 m Radstand quer zur Fahrtrichtung verbaut. Jede Batterie wiegt 1,5 t und katapultiert das Leergewicht der E-Sattelzugmaschine auf rund 11,6 t. Rechnerisch verbleiben bei 42 t zulässiges Gesamtzuggewicht etwa 22 t Nutzlast in Kombination mit einem Standard-Trailer.
eActros 600: Digitalisiertes Cockpit

Doch genug der Theorie. Der Platz hinter dem Lenkrad ist genauso schnell geentert wie im Diesel-Pendant. Actros-Fahrer fühlen sich gleich zu Hause. Die digitalen Instrumente liefern gestochen scharfe Bilder und sind für den Elektroantrieb adaptiert. Ladestand der Batterie und Restreichweite sind immer im Blick. Im Powermeter ist ablesbar, ob gerade Energie verbraucht oder durch Rekuperation gewonnen wird. Der Sekundär-Bildschirm des Multimedia Cockpit Interactive 2 birgt Dienste wie Klima, Navigation, Telefonie, Infotainment, Licht und mehr. Sie lassen sich über Touchscreen oder Direktwahltasten schnell und weitgehend intuitiv aufrufen. Eine feine Sache ist die Übermittlung von Befehlen per Sprachsteuerung.
Sprachsteuerung hilft besonders bei Dunkelheit
„Hey Mercedes“, ruft Dirk Stranz auf dem Beifahrersitz plötzlich in den Raum. Sofort ist die Sprachsteuerung aktiv. „Leselicht auf der Beifahrerseite einschalten – bitte“, gibt der Daimler Truck Versuchsingenieur vor. Automatisch wirft die Gigaspace-Kabine einen Lichtstrahl auf sein Papier. Bevor die Crew in die Dunkelheit der Nacht startet, lässt er auf gleicher Weise das äußerst harmonische Innenlicht in zartem Orange komplett per Sprachbefehl ausschalten. Die Aufforderungen können im eActros 600 in verschiedenen Sprachen erfolgen und finden dennoch Gehör. Besonders in der Nacht fällt die Suche nach Bedientasten außerhalb des Lenkradbereiches schwer. Da ist die Sprachsteuerung äußerst nützlich. So kann der Fahrer den Blick auf die Straße gerichtet lassen.

Mehrere Fahrmodi wählbar
Assistenzsysteme für mehr Sicherheit bei glatten Straßen
Aufgrund der Wetterlage haben wir das teilautomatisierte Fahren mit dem Active Drive Assist 3 (ADA3) abgeschaltet. Bei den wechselhaften Straßenverhältnissen mit Regen, Schnee und Eis funktionieren Kamera und Radarsensoren für das System nicht zuverlässig. Dafür nutzen wir die vorausschauende Tempomat- und Getriebesteuerung für die Landstraße, PPC Interurban und überlassen die Geschwindigkeitsregelung ganz der Software. Dinge wie Topografie, Kurven, Ortsdurchfahrten und Geschwindigkeitsbegrenzungen hat der intelligente Tempomat inzwischen ohne großes Hinzutun des Fahrers gut im Griff. Als Schwungspitzen lassen wir bis +5 km/h zu. Unterschwinger am Berg gewähren wir bis höchstens -5 km/h gegenüber dem gesetzten Wert. In Sachen Kurvengeschwindigkeiten und Ausrollen vor Streckenereignis nutzen wir das obere Mittelfeld und kommen selbst bei den widrigen Straßenverhältnissen gut zurecht, was auch an der Anhänger-Stabilisierungskontrolle liegt. Der Trailer Stability Assistent entpuppt sich am Testtag als echtes Pfund auf nasser, schmieriger und teils glatter Fahrbahn. Er bremst den Auflieger etwas früher ein als die Zugmaschine, Das reduziert die Schleudergefahr bei Kurvenfahrt oder Ausweichmanövern auf winterlichen Straßen.

Fast geräuschlos: Zwei E-Motoren plus Vierganggetriebe
Tipps vom Profi zum energiesparenden Fahren

Der neue Stern am Elektrohimmel kann auch One-Pedal-Driving. Aber diese Funktion bietet sich nur bei hoher Verkehrsdichte im Stadtverkehr oder bei Stopp-and-Go-Fahrt an. Für Überlandtouren ist die Bedienung allein über das Fahrpedal nicht zu empfehlen, wie Begleiter Dirk Stranz verrät. Denn bei jedem Lupfen des Fahrpedals verliert der Lkw automatisch an Schwung, da die voreingestellte Bremsrekuperation aktiviert wird. Im selben Moment wandelt die E-Achse zwar Bewegungsenergie in elektrische Energie um, aber durch vorausschauendes Fahren ohne Ein-Pedal-Fahrmodus lasse sich oft mehr Energie einsparen.
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Matrix-Scheinwerfer: LED-Licht der Extraklasse
Eine Wucht sind die optionalen Matrix-Scheinwerfer auf LED-Basis. Sie liefern ein sagenhaft helles Fahrlicht, eine nahezu perfekte Nahfeldbeleuchtung vor dem Lkw und bieten eine extrem gute Ausleuchtung der gesamten Fahrbahn, ohne den Gegenverkehr zu blenden. Das gelingt, indem zahlreiche kleine Einzel-LED zum Zug kommen, die mit vorgeschalteten Reflektoren zusammenarbeiten. Ein flinkes Steuergerät managt die LEDs und schaltet sie situationsbedingt einzeln zu oder ab beziehungsweise dimmt sie herunter. Dadurch liefern sie stets eine präzise Ausleuchtung und die bestmögliche Lichtausbeute, ohne eine Schwenk-Mechanik zu benötigen.

Connected Services: Mehr Sicherheit dank Datenwolke
Der Sicherheit dient auch das vernetzte, cloudbasierte Warnsystem „Connected Traffic Warnings“ von Daimler Truck, über das auch unser eActros 600 bereits verfügt. Das neue System liefert dem Lkw-Fahrer mehr Weitblick und informiert ihn frühzeitig über Unfälle, Hindernisse und kritische Verkehrslagen, noch bevor er sie selbst erkennen kann. Voraussetzung dafür ist der Service Trucklive im neuen Lkw. Dafür sammeln vernetzte Fahrzeuge und Infrastrukturen alle relevanten Verkehrsinformationen, die aus verschiedenen Quellen gebündelt an Fahrzeuge in der näheren Umgebung weitergeleitet werden. Die Fahrer erhalten die Warnung visuell auf der Navigationskarte oder als Popup-Fenster im Cockpit und zusätzlich zehn Sekunden vor der Gefahrenstelle auch akustisch. Starkregen, Glatteis, Nebel, Unfälle, Pannen oder Baustellen hinter Kurven und Kuppen sind so frühzeitig bekannt und verlieren schnell ihren Schrecken.

Fahreindruck: Power, Rekuperation und Geräuschkomfort
Mercedes-Benz eActros 600 im Überblick
Fahrerhaus: ProCabin Giga Space, Außenlänge/Außenbreite: 2.395/2.500 mm, Stehhöhe 2.130 mm (alternativ: Steam Space oder Big Space)
Motor: zwei Permanentmagnet-Elektromotoren je 200 (300) kW hinterachsnah verbaut, wassergekühlt mit fünfstufiger Rekuperationsbremse, Dauerleistung 400 kW (544 PS), Peak-Leistung 600 kW (816 PS)
Kraftübertragung: automatisiert schaltendes Viergang-Planetengetriebe vor der Hinterachse, Sperrdifferenzial, Kriechgang
Fahrmodi: 3 Fahrmodi (Fahrleistung): Range (70%), Economy (85%), Power (100%)
Fahrwerk: vorne Faustachse mit Zweibalg-Luftfederung, Achslast 9,0 t, Reifengröße 385/55 R 22.5, hinten starre E-Achse mit integriertem Antrieb und Vierbalg-Luftfederung, Achslast 13,0 t, Reifen 315/70 R 22.5, Scheibenbremsen rundum
Energiespeicher: 3 Batteriepakete auf Lithium-Eisenphosphat-Basis (LFP), 800 V, 207 kWh, Gesamtkapazität 621 kWh brutto, 600 kWh netto, Gewicht: ca. 4,5 t
Ladetechnik: CCS-Laden mit max. 400 kW, Ladezeit rund 60 min (20-80%) oder rund 100 min von 10-100% Ladestand), Vorbereitung für Megawatt-Laden
Gewichte: Leergewicht SZM: 11.600 kg
zul. Gesamtgewicht: 42.000 kg
Reichweite: rund 500 km
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