Der eActros im Fahrtest
Fahrbericht Mercedes eActros: Zwei E-Kipper der Bau- und Entsorgungsbranche wollen beweisen, dass E-Mobilität auch für 27-Tonner mit elektrifiziertem Aufbau funktioniert. ZF hat sich dafür tüchtig ins Zeug gelegt.
Das Mischen wird digital
Zum Jubiläum präsentiert Collomix die komplett neue Rührwerksreihe XQ mit neuen Antrieben, digitaler Display-Steuerung und hoher Geräuschreduktion.
Mit dem eActros hat sich Mercedes-Benz Trucks lange Zeit gelassen. Schon kurz nach der Vorstellung des Prototyps Anfang 2018 gingen im selben Jahr mit der so genannten Innovationsflotte die ersten zehn elektrifizierten Zwei- und Dreiachser bei ausgewählten Kunden in die Praxiserprobung. Bis zum Serienanlauf mussten aber drei Jahre vergehen, bis es perfekt rund lief. Einige Wettbewerber waren mit Bestellstart und Verkauf schneller. Doch der lange Atem hat sich gelohnt, wie die erste Probefahrt mit voll funktionsfähigem Abroll- und Absetzkipper zeigt.
Angetreten sind ein eActros 300 mit Meiller-Hakenabrollgerät RS 21.65 sowie ein eActros 300 mit Palfinger-Absetzkipper PS T 18 jeweils mit 6x2-Radformel. Bis auf den Aufbau, dem Radstand und der unterschiedlichen Spiegelsysteme ähneln sich die beiden Kandidaten wie ein Ei dem anderen – gleiche Motorleistung, gleiche Akkuleistung, gleiches Digital-Cockpit. Selbst die Wandlung von Elektrik zu Hydraulik, die ZF mit seiner All-in-One-Lösung namens eWorX“ meistert, tragen beide E-Fahrgestelle hinterm Fahrerhaus auf dem Rücken. Damit sollen sich Nebenantriebe für hydraulische Arbeitsgeräte wie Kipper, Kräne oder Hubsteiger elektrifizieren lassen.
Kompakte e-Achse aus Eigenproduktion
Der Antrieb entspricht auch nicht mehr dem einstigen Stand mit klassischem Zentralantrieb. Die ZF-Portalachse Ave 130 aus dem Omnibus-Bereich mit den beiden, nah an den Hinterradnaben gelegenen Dreiphasen-Asynchronmotoren hat Daimler gegen eine eigene kompakte e-Achse mit zwei integrierten, flüssigkeitsgekühlten E-Motoren, Schalteinheit und Zweigang-Getriebe getauscht. Sie lässt mehr Platz für die Akkus zu und bringt es im Dauerbetrieb auf 330 kW, was umgerechnet 449 PS entspricht. In der Spitze stehen bei Bedarf sogar kurzzeitig 400 kW (544 PS) bereit.
Das schaltbare Planetengetriebe sorgt für ein hohes Drehmoment und sanfte Beschleunigung. Der erste Gang reicht bis etwa 30 km/h. Den Wechsel in die zweite Stufe bis maximal Tempo 89 bekommt der Fahrer kaum mit. Dazu muss er schon die digitalen Instrumente im Blick behalten. Vormals in der Versuchsflotte gab es noch die analogen Anzeigen aus dem Actros der Vorgängergeneration. Auch an eine Mirror-Cam war noch nicht zu denken, mit der zumindest einer der Testfahrzeuge antrat. Inzwischen ist die zweite Generation der Spiegelkamera mit wesentlichen Verbesserungen im Markt. Unter anderem wurden die Kameraarme auf beiden Seiten kürzer und die Darstellung verbessert.
Drei Fahrprogramme zur Auswahl
Bei Leergewichten von 12,6 beziehungsweise 14,2 t meistern die eActros die Spritztour in jedem Fahrprogramm meisterhaft. Wen wundert’s, mit knapp 450 PS haben die beiden Elektro-Motoren bei den geringen Gewichten und einer angetriebenen Achse nicht viel zu tun. Der Vortrieb verläuft völlig linear, wie es bei Elektromotoren ganz typisch ist. Der Antritt ist phänomenal, die Geräuschkulisse sagenhaft. Flüsternd könnte man sich in der Kabine unterhalten. Das macht die Tagesarbeit angenehm. Nur bis 30 km/h ist ein leises Lüfter-Rauschen zu vernehmen. Das Geräusch produziert das Acoustic Vehicle Alerting System als Fahrgeräusch im eActros, damit Fußgänger und Radfahrer den Elektro-Lkw beim Heranrollen nicht überhören. Bei Rückwärtsfahrt spielt der Fahrgeräuscherzeuger einen intermittierenden Klang aus zwei Tönen ab.
Rekuperieren für mehr Reichweite
Das Rekuperieren – also das Energierückgewinnen der Bremsenergie – erfolgt in Rollphasen über den Griff zum rechten Lenkstockhebel. Über fünf Stufen lässt sich seine Stärke individuell einstellen. Auf der Landstraße in Stufe null rollen die eActros bei aktivierten Eco-Roll mit vollem Schub weiter. In Stufe fünf braucht selbst ein wenig vorausschauender Fahrer an Kreuzungen oder roten Ampeln kaum noch bremsen, sobald er den Fuß vom Fahrpedal genommen hat. Außerdem erzeugen die E-Kipper auch beim beherzten Tritt aufs Bremspedal Strom für den Antrieb und speisen ihn in die Akkus ein, was die Reichweite erhöht.
Fast zum Kinderspiel wird das Steuern eines eActros, sofern der Fahrer die Einstellung für den Einpedal-Fahrmodus benutzt. Sobald eine Stufe der Rekuperation eingestellt ist und sich der Fahrerfuß vom Fahrpedal hebt, setzen die 27-Tonner zum Verzögern ohne Betätigung der Betriebsbremse an. Das Bremspedal kann dann – abgesehen von unvorhergesehenen Notsituationen – getrost vergessen werden. Geschwindigkeit baut sich sofort wieder auf, wenn der Mann am Lenkrad erneut Druck auf das Fahrpedal ausübt. Vor allem bei Stadtfahrten im dichten Verkehr lässt sich so ziemlich entspannt und wirtschaftlich vorankommen. Wer sich einmal an die Fahrweise mit der Einpedal-Stellung gewöhnt hat, will sie künftig nicht mehr missen. Bequemer und sicherer lässt sich ein E-Lkw kaum bewegen.
Zu langer Radstand für Absetzkipper
Die einzelnen Komponenten stecken kompakt in einem Gehäuse. Doch das ist nicht so minimal geraten, dass es vor lauter Batteriepaketen noch am Chassis Platz gefunden hätte. Jetzt thront es gut sichtbar wie ein Turm hinter dem Tagesfahrerhaus. Das streckt besonders den Absetzkipper tüchtig in die Länge, der ohnehin mit 4,00 m langem Radstand nicht gerade der wendigste ist. Da hilft selbst die lift- und lenkbare Nachlaufachse des Dreiachsers nicht wirklich weiter. Herkömmliche Absetzkipper mit Dieselantrieb und in dieser Größe kommen meistens mit 2,90 bis höchstens 3,50 m Radstand auf die Straße und können beim Rangieren in engen Baustellen besser punkten. Praxistauglicher geht der eActros 300 mit 4,60 m Radstand und Meiller-Abrollkipper RS 21.65 zu Werke. Auch hier fungiert eWorX als Bindeglied zwischen Fahrgestell und Aufbau. Die Bedienung von Abroller und Absetzer fällt dem Fahrer in beiden Fällen dank Funkfernsteuerung besonders leicht. Niemand muss sich hier umstellen, alle Knöpfe, Hebel und Schalter auf der Fernbedienung wie am Fahrzeug sind identisch zum Diesel-Pendant. Abstriche beim Bedienkomfort und der Geschwindigkeit für das Aufnehmen, Absetzen und Abkippen der Behälter muss niemand eingehen.
Bleibt die Frage nach dem Energieverbrauch. Inwieweit reduziert sich die Reichweite des eActros bei häufiger Nutzung der Kippfunktion mit vollen Containern? Laut ZF kostet ein kompletter Hub mit ihrem eWorX gerade einmal 0,4 kW. Bei zehn Be- und Entladungen am Tag gehen gerade einmal 4 kW flöten, die nicht in Kilometer umgesetzt werden können. Das ist im Regionalverkehr durchaus verschmerzbar und fällt bei voll aufgeladenen Akkus mit nutzbaren 291 kWh kaum ins Gewicht.
Unsere Meinung
Mercedes hat sich bis zur Serienproduktion viel Zeit gelassen, diese aber sinnvoll genutzt. Der eActros wirkt wie aus einem Guss. Komponenten und Leitungen sind kompakt angeordnet und sauber verlegt. Das dabei am Chassis kein Platz mehr für das Nebenabtrieb-Konzept von ZF bleibt, ist nicht wegzudiskutieren. Hier müssen die Macher nochmals ins stille Kämmerlein, um sich etwas anderes einfallen zu lassen. Optisch wie technisch kann der superleise dahingleitende eActros überzeugen. Besonders das volldigitale Cockpit, die verschiedenen Fahrmodi, die Rekuperation und die Einpedalbedienung machen dem Fahrer Spaß und sorgen für individuelle Anpassungen an die jeweiligen Wünsche und Arbeitsaufträge.
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Technische Daten des Mercedes eActros
Mercedes eActros 300 6x2 | |
Fahrerhaus | ePowertrain mit zwei flüssigkeitsgekühlten Elektromotoren, Motor-Getriebe-Einheit in elektrischer Starrachse integriert |
Motorleistung Dauer/Spitze | 330/400 kW |
Drehmoment Dauer/Spitze | 35.880/36.800 Nm |
Getriebe | automatisiertes Zweigang-Planetengetriebe, 2 RG |
ePTO Low Power Dauer/Spitze | 20/32 kW (bei 50 % Batterie-Ladestand) |
ePTO High Power Dauer/Spitze | 30/52 kW (bei 50 % Batterie-Ladestand) |
Achslasten | VA: 8,0 t, HA: 11,5 t, NLA: 8,0t |
Reifengrößen | 315/70 R 22.5 vorne und hinten |
Bremsen | Scheibenbremsen vorn und hinten, elektrische Feststellbremse |
Energiespeicher | |
Batterietyp | Lithium-Ionen-Akkus (CATL) |
Anzahl | 3 Pakete je 2.200 x 750 x 550 mm |
Lage | quer unter den Chassis |
Kapazität nominal/effektiv | 3 x 112/97 kWh (gesamt: 336/291 kWh) |
Ladeleistung | max. 160 kW bei DC-Schnellladung mit 400 A |
Ladedauer von 20 bis 80% | ca. 75 min |
Reichweite | bis 300 km |
Höchstgeschwindigkeit | 89 km/h |
Maße und Gewichte | |
Absetzkipper | |
Länge/Breite/Höhe | 8.430/2.550/3.450 mm |
Radstand | 4.000 mm |
Leergewicht Solo-Lkw | 14.180 kg |
Nutzlast Solo-Lkw | 12.820 kg |
zul. Gesamtgewicht | 27.000 kg |
Abrollkipper | |
Länge/Breite/Höhe | 9.300/2.550/3.350 mm |
Radstand | 4.600 mm |
Leergewicht Solo-Lkw | 12.600 kg |
Nutzlast Solo-Lkw | 14.400 kg |
zul. Gesamtgewicht | 27.000 kg |
Aufbau | |
Absetzkipper | |
Typ | Palfinger PS T 18 Tec3 |
Hubkraft | bis 18 t |
Behälterlänge | 3,00 bis 5,00 m |
Besonderheit | Ladungssicherung mit automatischen Behälterklemmen, Funkfernsteuerung, 3 Geschwindigkeiten |
Abrollkipper | |
Typ | Meiller RS 21.65 |
Hubkraft | bis 21 t |
Behälterlänge | 4,00 bis 7,50 m |
Besonderheit | Funkfernsteuerung i.s.a.r-control 3, Funktionsvorauswahl, KTL-tauchgrundiert |
Messwerte | |
Einstiegsstufenhöhen | 420/745/1.050 mm |
Höhe Fahrerhausboden | 1.630 mm |
Höhe Motortunnel | 190 mm |
Lenkraddurchmesser | 450 mm |
Innengeräusch bei 65/85 km/h | 66/71 dB(A) |
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