Weniger Normen, mehr Mut zu Neuem
In Stuttgart ist ein Vorhaben mit Modellcharakter geplant: Drees & Sommer will am eigenen Campus den bislang größten Bürokomplex Deutschlands nach dem Prinzip des Gebäudetyps E bauen. Dabei betritt der Bauprojekt-Dienstleister auch rechtliches Neuland.

Das Projekt trägt den Namen „The New 22“ und soll in direkter Nachbarschaft zum bekannten Leuchtturmprojekt „OWP12“ realisiert werden, wie das Unternehmen mitteilte. Der Neubau soll rund 10.000 m² Bruttogrundfläche umfassen und sich über vier Geschosse erstrecken. Er wird als multifunktionaler Bau konzipiert, der allen 1.200 Mitarbeitenden am Standort Stuttgart offenstehen soll. Geplant sind rund 300 neue Arbeitsplätze, ergänzt um Flächen für Veranstaltungen, Kongresse und flexible Nutzungsszenarien innerhalb des Campus.
Einfacher bauen – aber wie?
Mit dem Gebäudetyp E verfolgt das Bundesbauministerium den Ansatz, Bauherrn und Planenden größere Freiheiten zu geben und das Bauen einfacher, günstiger und nachhaltiger zu machen. Wo bislang Normen wie Wanddicken, Handlaufhöhen oder Steckdosenzahl streng reguliert sind, soll künftig mit Augenmaß entschieden werden dürfen – sofern die Sicherheit nicht gefährdet ist. Damit sollen auch Spielräume für experimentelle, ökologische und wirtschaftliche Lösungen entstehen. Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold bringt es auf den Punkt: „Was ursprünglich Sicherheit und Qualität gewährleisten sollte, ist aus den Fugen geraten. Ein Dickicht an Bauvorschriften und -standards ist oft mehr hinderlich als hilfreich.“
Dreifachrolle erleichtert Umsetzung beim Gebäudetyp E
Was das Ganze vereinfacht: Drees & Sommer (Dreso) tritt bei „The New 22“ in einer besonderen Konstellation auf - als Bauherr, Planer und künftiger Nutzer. Das ermöglicht nicht nur verkürzte Abstimmungen, sondern auch eine klare Risikoverteilung – ein entscheidender Faktor bei einem Bauvorhaben, das an vielen Stellen bewusst vom „Stand der Technik“ abweicht. „Wir wollen zeigen, was beim ökologischen Bauen machbar ist – wirtschaftlich, rechtlich und technisch“, erklärt Dreso-Vorstand Steffen Szeidl. Das Unternehmen betreut aktuell weltweit rund 6.500 Bau- und Immobilienprojekte und gilt als Treiber für innovative Baulösungen.
Recycling und Kreislaufwirtschaft beim Dreso-Neubau
Der Neubau soll sich architektonisch und konzeptionell nahtlos in den Unternehmens-Campus einfügen – mit Fokus auf Kreislauffähigkeit, Modularisierung und Eigenversorgung. Ein interner Architekturwettbewerb lieferte die Entwürfe, aktuell laufen intensive Gespräche mit dem Baurechtsamt. Technologisch knüpft man an OWP12 an, das als Plusenergiehaus mehr Energie erzeugt als es verbraucht und bereits mehrfach ausgezeichnet wurde – unter anderem für seine hochdämmende Fassade, Photovoltaik, Geothermie und 100 Quadratmeter begrünte Nordfassade. Die Planer setzen beim Neubau auf Materialien wie Sichtbeton und verzichten bewusst auf konventionelle, mehrschichtige Wand- und Bodenaufbauten. Auch strukturell will man neue Wege gehen: Statt klassischer Gewerketrennung entstehen vollintegrierte Bauteile mit Mehrfachfunktionen, etwa mit akustischer Wirkung und Kühlleistung in einem.

Ein zentrales Element des Projekts ist der Rückbau des bestehenden Gebäudes OWP 22 nach Urban Mining-Prinzipien. Möglichst viele Bauteile und Materialien sollen wiederverwendet werden – ein Vorhaben, das durch strenge abfallrechtliche Vorgaben bislang oft verhindert wurde. Dafür arbeitet Drees & Sommer gemeinsam mit der Stadt Stuttgart an neuen Lösungen zur Vereinfachung von Materialwiederverwendung.
Zeitplan und Kostenrahmen für den Dreso-Neubau
Die Leistungsphase 1 ist abgeschlossen, der Rückbau des Bestandsgebäudes soll im ersten Quartal 2026 starten, so das Unternehmen. Der eigentliche Neubau sei ebenfalls noch im Laufe des Jahres 2026 vorgesehen. Marktübliche Kosten für Bürogebäude sollen dabei nicht überschritten werden. Konkrete Angaben dazu will das Unternehmen nach Abschluss der Leistungsphase 3 veröffentlichen.
Gebäudetyp E: Modell für die Zukunft?
Mit dem Gebäudetyp E will die Politik einen kulturellen Wandel im Bauwesen anstoßen: weniger Normen, mehr Eigenverantwortung – und mehr Raum für Experimente. Damit verbunden sind auch Änderungen im Bauvertragsrecht, um haftungsrechtliche Fragen bei abweichenden Standards zu klären. Die Erkenntnisse aus dem Stuttgarter Projekt sollen auch anderen Kommunen, Planern und Investoren helfen, mutigere Wege beim Bauen zu gehen. „Einfach, effizient, experimentell – dafür steht das E“, so Pätzold.
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