Pilotprojekt mit optimierter Verdunstungsrate
Ein Gebäude mit 100 Prozent dezentraler Regenwasserbewirtschaftung und einer Wasserhaushaltsbilanz mit angestrebten 50 Prozent Verdunstungsanteil, wie im natürlichen Gelände vor der Bebauung? Das geht und ist das Ergebnis einer Kooperation zweier Firmen, die Produkte für die blau-grün-graue Infrastruktur herstellen.
Rückbesinnung auf natürliche Verhältnisse
Die Lage des Objekts im Sportzentrum Haberfeld könnte für ein anspruchsvolles wasserwirtschaftliches Vorhaben passender nicht sein. Denn was hier im kleinen Maßstab praktiziert wird, geschieht jenseits der Grundstücksgrenze im großen Stil: Rückbesinnung auf natürliche Verhältnisse. Es geht um den Zusammenfluss von Brigach und Breg, deren Wasser aus dem Schwarzwald stammt. Und ab hier trägt der so gebildete und aus 22 weiteren Quellen gespeiste Fluss den Namen Donau. Unter gewässerökologischen Aspekten wurde dieser Ort des „Ursprungs“ renaturiert. Seit Fertigstellung 2022 ist dort wieder eine dynamische Flusslandschaft erlebbar, mit verbesserter Biodiversität und einem naturgemäßen Ausgleich zwischen Hoch- und Niedrigwasser.
Dazu passt, dass von dem 2023 fertiggestellten Vereinsheim des SSC:
- Niederschläge nicht unmittelbar von Gebäude und Grundstück abgeleitet werden. Stattdessen wird Regen in Speichern auf dem Dach, flächig unter der Substratschicht, und im Untergrund, in einer Zisterne aus Betonfertigteilen mit Filtertechnik, zurückgehalten.
- kein Tropfen Regenwasser ungenutzt in den „Vorfluter“ Donau gelangt, stattdessen ein Teil des gespeicherten Wassers für die WC-Spülungen verwendet und dadurch ganzjährig Trinkwasser gespart wird.
- ein Teil des gespeicherten Wassers zur Bewässerung des Gründachs genutzt und dadurch die Verdunstung enorm gesteigert werden kann.
- mit Hilfe von Wetterdaten die automatische Steuerung zur Dachbewässerung bei bevorstehenden Regenereignissen nicht aktiv wird. Das spart Energie.
- Abfluss und Überlauf des unterirdischen Regenspeichers in eine Versickerungsrigole aus Porenbeton münden. Dort ist ausreichend Hohlraum, so dass selbst Starkregenüberläufe Platz finden, bevor sie allmählich in das Grundwasser sickern.
Ideelle und finanzielle Vorteile
Ein Kanalanschluss für das Ableiten des Regenwassers vom Vereinsgelände besteht nicht. Das entlastet die kommunale Entwässerung und hilft, die Gefahr von Überflutung zu reduzieren. Auch vermindert sich damit bei Starkregen die Wahrscheinlichkeit von ungereinigten Mischwasserüberläufen in die Donau. Insofern hat das Regenwasser-Bewirtschaftungskonzept des SSC-Vereinsheims einen kleinen Anteil am quantitativen und qualitativen Gewässerschutz. Es ist, anders ausgedrückt, ein privater Beitrag zum Gemeinwohl, der nicht direkt honoriert wird. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ein entsprechender Beitrag in Zukunft von allen Gebäude- und Grundstückseigentümern per kommunaler Abwassersatzung oder Baugenehmigung eingefordert werden wird. In welchem Fall welche Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung umzusetzen sind, um der ursprünglichen Wasserhaushaltsbilanz zu entsprechen, wird sich zeigen.
Indirekt belohnt sich der SSC als Bauherrschaft mit seinem Konzept durch Einsparen der kompletten Niederschlagsableitungs-Gebühr und eines Teils der Trinkwassergebühr – in dem Verhältnis der für die WCs genutzten Regenwassermenge, ohne Abwasseranteil. Bei Bewässerung der Außenanlagen mit Regenwasser entfällt auch der Abwasseranteil, da im Gegensatz zur WC-Spülung kein Schmutzwasser entsteht, das abgeleitet werden muss.
Der Autor
Dipl.-Ing. Klaus W. König war 20 Jahre als Architekt selbstständig und ist heute Fachjournalist und Buchautor, speziell zur wasserorientierten Stadtplanung und zur energiesparenden Bautechnik. Er ist Mitarbeiter im DIN-Ausschuss Wasserrecycling/Regen- und Grauwassernutzung sowie Gründungsmitglied des gemeinnützigen Bundesverbandes für Betriebs- und Regenwasser e. V. (fbr).
Wasserhaushaltsbilanz nach HAD
Die im Sportzentrum Haberfeld geltende Wasserhaushaltsgleichung, die es für das Niederschlagswasser zu erfüllen gilt, lautet: 436 mm (49 Prozent) Verdunstung + 285 mm (32 Prozent) Abfluss + 169 mm (19 Prozent) Versickerung = 890 mm (100 Prozent) Jahresniederschlag. Diese Daten stammen aus einer frei zugänglichen, firmeneigenen Bemessungssoftware (3) auf Grundlage des HAD (2). Das Bewirtschaftungskonzept sieht vor,
- eine Verdunstungsrate von 49 Prozent mit einem extensiv begrünten und zusätzlich aus der Regenzisterne bewässerten Flachdach zu erreichen.
- eine Abflussrate von 32 Prozent über die WC-Spülung mit Wasser aus der Regenzisterne zu erreichen. Das dabei entstehende Abwasser fließt nach Reinigung in der kommunalen Kläranlage in das Oberflächengewässer Donau und stellt somit einen verzögerten Abfluss des Regenwassers dar.
- eine Versickerungsrate von 19 Prozent durch einerseits den Überlauf bei voller Regenzisterne in die unterirdischen Sickerkammern, andererseits durch die Fugen der wasserdurchlässig befestigten Flächen vor dem Gebäude zu erreichen.
Derzeit wird in Fachkreisen diskutiert, ob bei einer Wasserhaushaltsbilanz der als Trinkwasserersatz genutzte Anteil des Regenwassers statt als Oberflächenabfluss richtigerweise als Grundwasserneubildung zählen sollte. Denn je nach Herkunft des Trinkwassers wird damit in der Regel Grundwasser geschont.
Bewässerung im Detail
Wenn der Regen auf die 240 Quadratmeter große begrünte Fläche fällt, sättigt sich zunächst die Vegetationstragschicht, das Substrat. Bei weiterer Durchfeuchtung sammelt sich das Wasser unter dieser Schicht auf einem Aquafleece und tropft durch ein so genanntes Bändchengewebe in den darunter liegenden Hohlraum. Ist dieser gefüllt, läuft das Wasser in Richtung Zisterne über. Bei Trockenheit wird aus diesem unterirdischen Speicher periodisch, durch die Pumpe im Regencenter, das Dach bewässert. Dazu liegt auf dem Aquafleece ein Tropfschlauch. Die Tropfer haben in jede Richtung 50 Zentimeter Abstand, die Verteilung in der Fläche übernimmt das Aquafleece.
Die gewählte Samenmischung „Bienenweide“ bietet ein für Insekten attraktives Blütenangebot, hat aber auch das Potenzial, einerseits Wasser gut zu verdunsten, andererseits Trockenphasen gut zu überstehen. Für Inspektion und Wartung gelten die Hinweise der Dachbegrünungsrichtlinie (4). Walker empfiehlt im Rahmen der Fertigstellungs-, Entwicklungs- und Unterhaltungspflege und in Abhängigkeit der örtlichen Bedingungen einen „umhüllten“ Langzeitdünger mit ausgewogener Nährstoffzusammensetzung und einer Wirkungsdauer von vier bis sechs Monaten.
Bewirtschaftung mithilfe von Wetterdaten
Die Pilotprojekt-Partner des SSC, zu denen neben Mall (als Anbieter von Gewässerschutzsystemen in Verbindung mit Betonfertigteilen) auch der Gründach-Systemhersteller Zinco gehört, haben sich intensiv mit Möglichkeiten beschäftigt, konkurrierende Nutzungen des Regenwassers weitgehend zu vermeiden. Das Ergebnis im Vereinsheim ist eine Technik, die folgendermaßen installiert beziehungsweise programmiert wurde:
- Die Bewässerung des Gründachs erfolgt in regelmäßigen Zyklen durch eine automatische handelsübliche Steuerung, die Wetterdaten verarbeiten kann.
- Die Bewässerung wird ausgesetzt, falls die Wettervorhersage Regen ankündigt – und, falls die Füllstandsanzeige der unterirdischen Zisterne weniger als 3,9 Kubikmeter verbleibende Vorratsmenge meldet. Dieser Rest ist zur Nutzung im Gebäude vorgesehen.
- Die WC-Spülungen werden durch ein vom Trinkwasser unabhängiges Leitungsnetz versorgt. Den dazu erforderlichen Wasserdruck hält das Regencenter Tano L aufrecht, das als Hauswasserstation im Technikraum an der Wand montiert ist. Seine Pumpe saugt knapp über dem Zisternenboden an – gereinigtes Regenwasser, das bereits im Zulauf des Speichers gefiltert wurde.
- Sind in Trockenzeiten 3,7 von insgesamt 7,6 Kubikmeter Zisternenvorrat aufgebraucht, wird der bis zu 19,2 Kubikmeter fassende Wasserspeicher auf dem Dach nach und nach in die Zisterne entleert. Dies geschieht in Intervallen von 1,5 Kubikmeter und erzeugt jeweils einen Füllstand von 5,4 Kubikmeter.
- Erst wenn beide Regenspeicher leer sind, werden für die WC-Spülungen bedarfsgerecht kleine Mengen Trinkwasser im Regencenter eingespeist. Dies geschieht durch „freien Auslauf“ gemäß DIN EN 16941-1 (6) und DIN 1989-100 (7) ohne direkte Verbindung mit dem Trinkwassernetz.
Um den Trinkwasserbedarf in Trockenzeiten möglichst gering zu halten und zugleich die Speichergröße wirtschaftlich vernünftig zu dimensionieren, hat Mall das firmeneigene Bemessungsprogramm eingesetzt. Es nutzt die örtlichen langjährigen Regendaten und bringt sie durch Simulation in Verbindung mit dem geplanten Regenwasserbedarf. Ergebnis war ein unterirdischer Betonbehälter mit 7,6 Kubikmeter Volumen.
Im Weiteren wird Stephan Klemens, Entwicklungsleiter bei Mall, zusammen mit Ralf Walker die Daten der Regenwasserbewirtschaftung beim Pilotprojekt Vereinsheim SSC Donaueschingen sammeln und auswerten – insbesondere zur Bewässerung des Gründachs. Die Auswirkungen auf die Wasserhaushaltsgrößen Verdunstung, Grundwasserneubildung und Oberflächenabfluss besser zu verstehen kann helfen, künftig eine ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz vorab simulieren zu können.
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Zusätzliche Informationen
(1) DWA-M 102-4/BWK-M 3-4. Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwasserabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer – Teil 4: Wasserhaushaltsbilanz für die Bewirtschaftung des Niederschlagswassers. März 2022. ISBN 978-3-96862-207-1
(2) Hydrologischer Atlas Deutschland (HAD): https://www.bafg.de/DE/05_Wissen/01_InfoSys/HAD-Seite/HAD.html
(3) Mall-Bemessungs-Software MBS-Online. Kostenloser Download unter: https://www.mall.info/
(4) Richtlinien für die Planung, den Bau und die Instandhaltung von Dachbegrünungen. Hrsg.: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL). Bonn, 2018
(5) Klemens, Stephan: Ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz –
Regenwasser speichern statt ableiten. In: Ratgeber Regenwasser. Für Kommunen und Planungsbüros. Mall GmbH, Donaueschingen, 9. Auflage 2022
(6) DIN EN 16941-1:2018-06. Vor-Ort Anlagen für Nicht-Trinkwasser - Teil 1: Anlagen für die Verwendung von Regenwasser; Deutsche Fassung EN 16941-1:2018. Beuth Verlag, Berlin
(7) DIN 1989-100:2022-07. Regenwassernutzungsanlagen - Teil 100: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 16941-1. Beuth Verlag, Berlin
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