Wie der Baumschutz auf Baustellen laufen kann
Immer wieder nehmen Bäume irreparablen Schaden, wenn in ihrer unmittelbaren Umgebung Tiefbaumaßnahmen durchgeführt werden. Ist das Wurzelwerk erst verletzt, halten bald Pilze und andere Schädlinge Einzug. Die häufige Folge: Der Baum wird von innen zersetzt, bis er nicht mehr standsicher ist und schließlich umstürzt. Erkannt und „angepackt“ wurde dieses Problem in Hamburg. Die Elbmetropole steht seit vielen Jahren für einen zukunftsweisenden Umgang mit dem Thema Baumschutz auf Baustellen.
Hans Rhiem: Der Hauptgrund für die wachsende Bedeutung des Baum- und Wurzelschutzes ist die Rechtsprechung. Sie hat über die Jahre hinweg die Verkehrssicherungs- und Haftungspflicht von Baumeigentümern verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Erst hierdurch haben die Städte und Gemeinden eine konsequente Baumkontrolle eingeführt. Insbesondere bei Straßenbäumen ist im Zuge der kontinuierlichen Kontrolle und Dokumentation aufgefallen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Umsturz von Bäumen bei Wind oder Schneelast und zuvor durchgeführten Baumaßnahmen im Wurzelbereich besteht.
B_I galabau: Warum funktioniert in Hamburg der Schutz von Bäumen auf Baustellen besonders gut?
Hans Rhiem: Die Hansestadt Hamburg hat den Schutz der Stadtbäume in ihrer Baumschutzverordnung und in konkreten Arbeitshinweisen zu ihrer praktischen Umsetzung geregelt. Jede Tiefbaumaßnahme in der Nähe von Straßenbäumen muss hiernach durch einen qualifizierten Baumpfleger begleitet werden. Bereits die Ausschreibungen der Straßenbauer und Leitungsträger weisen nicht nur auf die einschlägigen Vorschriften zum Schutz der Bäume hin, sondern fordern ihre konsequente Umsetzung ein. Die beauftragte Firma muss ihre Maßnahme beim jeweiligen Bezirksamt anmelden, den zuständigen Baumkontrolleur in Kenntnis setzen und für die baumpflegerische Baubegleitung durch ein Fachunternehmen sorgen.
B_I galabau: Wie haben es die Hamburger geschafft, dass alle an einem Strang ziehen?
Hans Rhiem: Ich denke, das hat in erster Linie mit Hartnäckigkeit und Konsequenz zu tun. Der Schutz von Baumwurzeln auf Baustellen ist seit Jahrzehnten in zahlreichen Normen und Regelwerken verankert. Zum Beispiel in der DIN 18920, der RAS-LP 4 und der ZTV Baumpflege. Das Problem ist nur, dass sich viele Beteiligte, z.B. Tiefbauunternehmen, nicht an die Regeln halten. Und was hilft das ganze Wissen, wenn es nicht umgesetzt wird? In Hamburg wird das Nichtbefolgen der Vorschriften nicht nur mit Hinweisen und Ermahnungen geahndet. Die Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten bis hin zur gutachterlichen Wertermittlung und Schadenersatzforderung hat schnell Wirkung gezeigt und alle Beteiligten nachhaltig motiviert, das Wurzelschutzkonzept mitzutragen.
B_I galabau: Trägt dieses Vorgehen Früchte?
Hans Rhiem: Ja, absolut! Obwohl in der Stadt Hamburg überdurchschnittlich viele Straßenbäume wachsen, kommt es hier inzwischen überaus selten zu Unfällen, die durch nicht standsichere Bäume verursacht werden.
Hans Rhiem: Grundsätzlich gelten für den privaten Bauherrn oder das private Wohnungsbauunternehmen dieselben Vorschriften wie für Kommunen. Um beim Beispiel Hamburg zu bleiben: Der Baumschutz auf Baustellen und die naturschutzrechtlichen Vorgaben werden hier bereits im Baugenehmigungsverfahren und somit in der Planungsphase berücksichtigt. Dies ist häufig auch mit Baumschutzgutachten und Artenschutzprüfungen verbunden, die den Schutz der Bäume frühzeitig sicherstellen.
B_I galabau: Gibt es da überhaupt noch Luft nach oben?
Hans Rhiem: Natürlich kann man noch alles verbessern und optimieren. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen auf kommunaler und überregionaler Ebene ist Hamburg in Sachen Baumschutz auf Baustellen ganz weit vorn. Ich würde mir wünschen, dass die Hamburger ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit dem Rest der Republik teilen würden.
B_I galabau: Wie meinen Sie das genau?
Hans Rhiem: Die QBB hat im Rahmen ihrer Mitarbeiterschulung im Jahr 2016 ein Seminar angeboten, in dem ein Mitarbeiter des Hamburger Grünflächenamtes, der Betriebsleiter der Firma Baumpflege Bollmann und der Sachverständige Dr. Markus Streckenbach, Inhaber des Sachverständigenbüros für urbane Vegetation, den Umgang mit Bäumen auf Baustellen am Beispiel der Stadt Hamburg dargestellt haben. Sehr schnell wurde klar, dass die anwesenden Hamburger sehr verwundert darüber waren, dass ihre Methode nicht im gesamten Bundesgebiet Usus ist. Die Baumpfleger aus den anderen Teilen Deutschlands waren hingegen überrascht, dass überhaupt jemand den Schutz von Bäumen auf Baustellen so ernst nimmt. In dieser Situation wurde der QBB klar, dass wir als Verband die Vorgehensweise der Stadt Hamburg den Baumpflegern, Auftraggebern, Planern und Bauausführenden näherbringen müssen. Dies tut die QBB auf ihrer Homepage und steht bei Bedarf für Nachfragen zur Verfügung.
B_I galabau: Sie sind mit Ihrem Baumpflegeunternehmen an drei Standorten in Deutschland vertreten. Wie beurteilen Sie die Strahlkraft des „Hamburger Modells“?
Hans Rhiem: Es hat sich viel getan in den vergangenen Jahren. Nicht nur die Kommunen, sondern auch viele Planer und Bauherrn setzen den Schutz von Bäumen auf Baustellen um – oder versuchen es zumindest. Häufig werden die Baumpfleger allerdings auch erst gerufen, wenn der Bagger vollendete Tatsachen geschaffen hat. Es könnten viele alte, erhaltenswerte Bäume gerettet werden, wenn bei einer Baumaßnahme von Beginn an der Schutz der Bäume beachtet würde. Und, wenn den Verantwortlichen bewusst gemacht werden kann, dass der Baum nicht nur aus Stamm und Krone besteht.
B_I galabau: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Hans Rhiem: Wir sind auf einem guten Weg. Erst 2019 hat die FLL beschlossen, das Thema in einem gesonderten Fachbericht an der Wurzel zu packen. Das ist ein tolles Signal! Das große Interesse der Verbände und Institutionen an der Mitwirkung bei diesem Arbeitskreis zeigt die Bedeutung der Aufgabe. Die QBB hat gemeinsam mit Dr. Markus Streckenbach im März 2018 eine Handlungsempfehlung zum fachgerechten Schutz von Bäumen bei Tiefbaumaßnahmen im Straßenraum veröffentlicht, die großen Anklang findet. Und auch der Arbeitskreis Baum im Boden hat jüngst ein umfassendes Praxishandbuch zur Wurzelraumansprache aufgelegt. Wenn wir jetzt noch Unterstützung von den Kommunen und Institutionen bekommen, die erfolgreich Baumschutz auf Baustellen betreiben, können wir zeigen, dass die Stadt Hamburg kein Einzelfall mehr ist.
Eine detaillierte Handlungsempfehlung zur Umsetzung des Hamburger Wurzelschutzkonzeptes gibt es zum kostenlosen Download auf der QBB-Website unter www.qbb-ev.de/wurzelschutz.php Ergänzt wird die Empfehlung durch zahlreiche Skizzen, Formularvorlagen und Fotografien, die einzelne Schritte praxisnah und anschaulich erläutern.
So funktioniert das Hamburger Wurzelschutzkonzept in der Praxis
In Hamburg sind alle Straßenbäume in einem Baumkataster erfasst. Die Grunddaten sind auch über einen öffentlichen Online-Zugang einsehbar. Regelmäßige Kontrollen durch die zuständigen Baumkontrolleure und die Umsetzung der sich hieraus ergebenden Pflegemaßnahmen gewährleisten in der Stadt einen hohen Standard in der Verkehrssicherheit. Werden bei Straßen- oder Leitungsbauarbeiten Aufgrabungen im Wurzelbereich von Bäumen durchgeführt, hat der Schutz der Bäume in der Planungs- und Ausführungsphase oberste Priorität.
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Viele Versorgungs- und Tiefbauunternehmen haben Rahmenverträge mit Baumpflegebetrieben und Sachverständigen, die sie baugeleitend einsetzen. Die Experten erstellen in den meisten Fällen ein sogenanntes „Wurzelprotokoll“. In diesem dokumentieren sie alle Maßnahmen, die sie im Zuge der Baubegleitung zum Schutz der Baumwurzeln durchführen, und listen eventuelle Wurzelschäden oder Wurzelverluste auf.
Der Baumfachmann entscheidet auch darüber, ob die Aufgrabungen unterbrochen werden müssen, wenn z.B. die Bagger dem Baum zu stark auf den Leib rücken. Sind die Tiefbauarbeiten beendet, bekommt der zuständige Baumkontrolleur bzw. der Baumbesitzer das Protokoll als Grundlage für künftige Baumkontrollen und Pflegemaßnahmen. Diese kann er dann gemäß dem aktuellen Wurzelzustand der Bäume bedarfsgerecht planen.
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