Jährlicher Erziehungsschnitt für junge Obstbäume
Hätte der Mensch Obstbäume nicht über Jahrhunderte hinweg kultiviert und veredelt, dann würden sie nur kleine, harte, nicht besonders schmackhafte Früchte tragen. In den ersten 12 bis 15 Jahren seines Lebens muss der Baum ‚erzogen‘ werden mit einem Erziehungsschnitt, der ihn zu einem prächtigen Baum mit stabiler Krone und reichem Fruchtbehang heranwachsen lässt.
Unerfahrenen Obstbaumbesitzern ist oft nicht klar, welch große Bedeutung dem jährlichen Erziehungsschnitt zukommt. Sie lassen den jungen Baum erstmal frei wachsen, um dann den erwachsenen Baum radikal zu beschneiden – ein Fehler. Ebenso wie man beim Jungbaum überlegt, aber beherzt schneidet und ihn dadurch zu stärkerem Wachstum anregt, muss man an einen alten Baum eher vorsichtig herangehen. Weil sein großes Wurzelwerk über die Blattmasse versorgt wird, darf man den Altbaum nur behutsam beschneiden, damit keine Wurzeln absterben.
Es gibt verschiedene Arten, einen Jungbaum zu erziehen. Der hier vorgestellte Schnitt ist der sogenannte „Öschbergschnitt", der in den 1920er Jahren entwickelt und später noch entscheidend weiterentwickelt wurde. Der Öschbergschnitt führt zu einer besonders harmonischen, licht- und luftdurchfluteten Krone aus vier ausgesuchten Leitästen und ihren Seitenästen mit dem Fruchtholz. Zudem sorgt er dafür, dass die Stammmitte waagerechte Trittäste ausbildet, die das Abernten erleichtern.
Die Öschberg-Krone hat als Vierast-Krone folgende Vorteile gegenüber einer dreiästigen Krone. Vier Leitäste, die gleichmäßig um den Stamm herum ansitzen, ermöglichen eine optimale Anpassung an den jeweiligen Standort. Sollte einer der Leitäste durch Ausbruch verlorengehen, bleiben immer noch drei weitere Äste, die für genügend Blattmasse sorgen. Zudem hat man mit drei verbleibenden Leitästen bessere Chancen einen Ausgleich zu schaffen als mit nur zwei. Auch lässt sich eine Leiter viel besser an die Leitäste einer Vierast-Krone anlegen. Weiterer Vorteil: Durch die klar gegliederte Leitastkrone und die S-förmige Stammverlängerung, besteht beim ausgewachsenen Baum nicht die Gefahr der Kronenüberbauung. Dadurch verlängern sich die Schnittintervalle bei der Erhaltungspflege.
Der Öschberg-Erziehungsschnitt wird jedes Jahr in der vegetationslosen Zeit zwischen Ende Oktober und Anfang April durchgeführt, um einen starken Austrieb für den gewünschten schnellen Aufbau der Krone auszulösen. Da der Baum in dieser Ruhephase kein Laub trägt, kann man alle Äste gut erkennen. Das ist wichtig, um zu entscheiden, welche vier Äste des jungen Obstbaumes als Leitäste das Baumgerüst bilden sollen. Idealerweise sind das Äste, die leicht höhenversetzt rund um den Stamm ansitzen und in einem angedeuteten Bogen nach oben weisen. Insgesamt strebt der Schnitt an, dass die Leitäste nicht durch Konkurrenztriebe behindert werden und Seitenäste entwickeln, an denen dann das Fruchtholz entsteht. Dabei arbeitet man unter Berücksichtigung der natürlichen Wuchsgesetze des Baumes, und kann so das Richtungswachstum kontrolliert beeinflussen. Die Zeichnung Abb.1 zeigt das Idealbild eines Obstbaumes mit Öschbergkrone in der Draufsicht, welches man vor Augen haben sollte, wenn man sein Bäumchen erzieht.
Angeschnitten werden Leitäste, Stammverlängerung und alle Seitenäste, die an der unteren Seite der Leitäste wachsen, und zwar immer auf Blattknospe. Alle anderen Bereiche leitet man ab, um ihr Wachstum auszubremsen. So entsteht Fruchtholz, auch an den zukünftigen Trittästen an der Stammverlängerung. Die Äste sollen einen Steigungswinkel von 43 Grad besitzen, damit sie sich bei Fruchtbehang auf einen Winkel von 45 Grad stabilisieren können und sowohl Statik und Lichteinfall gesichert sind. Wo an Leit- und Seitenästen Knospen sitzen, die in eine unerwünschte Richtung weisen, knippst man sie mit Schere oder Fingernagel ab. Das klingt zunächst kompliziert, ist es aber gar nicht, wenn man dabei das Bild eines idealen Baumes vor Augen hat. Mit etwas Routine erkennt man, welche Äste angeschnitten, welche entfernt oder abgeleitet werden müssen. Wichtig ist, den Baum von oben nach unten zu schneiden, damit man nicht übereifrig zu viele untere Äste entfernt, gerade dort, wo man doch Früchte am besten abernten kann.
Nicht immer besitzt ein Baum auf Anhieb vier geeignete Leitäste. Doch gibt es Möglichkeiten, sich Leitäste heranzuziehen. Wächst ein prinzipiell geeigneter Ast in die falsche Richtung, kann man ihn durch Anbinden an einen stärken Ast in die richtige Richtung lenken. Wächst er zu steil nach oben, spreizt man ihn mit einem Hölzchen ab, damit er einen Winkel von 43 Grad erhält. Steht er unterhalb der Waagerechten, bindet man ihn hoch. Äste, die so steil nach oben weisen, dass sie nicht fest mit dem Stamm verwachsen, könnten später unter der Last der Früchte ausbrechen. Diese Schlitzäste sollte man konsequent entfernen. Insgesamt geht es darum, in so kurzer Zeit wie möglich einen starken Obstbaum vor sich zu haben, der in jeder Beziehung seiner Aufgabe gewachsen ist. Einige, wenig aufwändige Handgriffe erzielen dauerhaft hohe Fruchtqualität bei guter Baumgesundheit.
Zum Autor: Michael Grolm (Dipl.-Ing. agr.) ist Berufsimker und Leiter der Obstbaumschnittschule. Er bietet Einführungskurse, Obstbaumkletterkurse, Agroforstkurse sowie ein- und zweijährige Baumwartausbildungen an. Infos unter www.obstbaumschnittschule.de. Zurzeit schreibt er an seinem Buch „Obstbaumschnitt Schritt für Schritt“, das unter www.obstbaumschnittbuch.de vorbestellt werden kann.
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