Preissteigerungen bei Baustoffen: Wie Bauunternehmen gegensteuern können
Die aus der Materialknappheit resultierende Preisentwicklung bei Baumaterialien macht dem Baugewerbe seit Monaten zu schaffen. Wie Bauunternehmen mit weiteren Preisaufschlägen umgehen und diese durch verschiedene Maßnahmen begrenzen oder sogar stoppen können, erläutert Pieter Niehues, Experte für die Bauwirtschaft bei Inverto, im Interview.
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B_I: Herr Niehues, die Preise für verschiedene Baustoffe steigen, die Lieferengpässe haben sich im Juni noch verschärft. Worin liegen die Gründe dafür – ist die Corona-Pandemie an allem schuld?
Pieter Niehues: Corona ist nicht an allem schuld, hat aber bestehende Probleme verschärft. Generell war die Nachfrage schon vor der Pandemie auf einem sehr hohen Niveau durch den anhaltenden Bauboom. Die Coronapandemie hat den Nachfrageüberhang jedoch insbesondere im 1. Halbjahr 2020 massiv verstärkt. Produktionskapazitäten wurden weltweit heruntergefahren, die Nachfrage jedoch ist nicht gleichermaßen gesunken und sogar sprunghaft wieder angestiegen – vor allem in den USA und China. Die Produktion konnte nicht entsprechend schnell hochgefahren werden, was die Knappheit verschärft hat.
Extrem ist es beim Baustoff Holz: Der Einsatz von Holz spielt im Hausbau seit Jahren eine immer größere Rolle, aktuell wird fast ein Viertel der tragenden Konstruktionen für Ein- und Zweifamilienhäuser aus Holz gefertigt, 2010 waren es noch 16,7% (laut Destatis). Die Verfügbarkeit von Rohholz wurde zudem stark beeinträchtigt durch Waldbrände in den USA und durch den Klimawandel angeheizte Waldzerstörung durch den Bergkiefernkäfer in Kanada. Dadurch und auch wegen des Corona-Lockdown-bedingten Do-it-yourself-Booms sind Deutschlands Holzexporte in die USA massiv gestiegen. Exporte werden von den Sägewerken hierzulande bevorzugt, da sich bei Belieferung der USA höhere Preise erzielen lassen. Zudem wirken Regularien wie die Einschlagsbeschränkung, die in Deutschland seit Oktober 2020 gilt und den Einschlag von Frischholz für ein Jahr begrenzt (auf 85% des Mittelwerts der Jahre 2013-2017), angebotsverringernd. Alle Effekte gemeinsam führten zu den stark steigenden Preisen.
B_I: Den Baustoff Holz in vielen Varianten trifft es am meisten. Wann wird sich die Lage entspannen?
Niehues: Bei den Holzpreisen ist die Trendwende bereits vollzogen. Die Preise sind bis Anfang/Mitte Mai 2021 extrem stark gestiegen. Danach sind sie wieder drastisch eingebrochen, ungefähr auf das Niveau von Oktober 2020. Der Markt war in diesem Bereich völlig überhitzt. Bis Mitte Juli ist der Preis an der Börse bereits um fast 70% zurückgegangen.
Gründe sind die wieder erstarkte Holzproduktion, erweiterte Kapazitäten der Sägewerke und teilweise auch eine gesunkene Nachfrage, weil Bauherren ihre Bauvorhaben aufgrund der hohen Preise verschoben haben. Auch die USA schaffen es nun wieder, größere Anteile der eigenen Nachfrage durch ein heimisches Angebot zu bedienen. Somit entspannt sich die Lage im Holzsektor. Wir rechnen aktuell mit einer weiteren Entspannung bis zum Ende des Jahres.
B_I: Kunststoffe, zumindest erdölbasierte, sind ebenfalls knapp. Auch Stahl wird immer teurer. Was tun, wenn Baustoffe sich nicht einfach ersetzen lassen?
Niehues: Sollte eine zeitliche Verschiebung des Bauvorhabens und der Einsatz alternativer Materialien nicht in Frage kommen, gilt es für Unternehmen, über intensive Markterkundungen, Erschließung alternativer Beschaffungswege in neuen Beschaffungsmärkten oder intensivierte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lieferanten, neue Versorgungswege zu erschließen. Der Austausch und die gemeinsame Lösungsfindung mit dem Beschaffungsmarkt, also mit den Lieferanten, sollte immer der erste Schritt sein und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Durch die Bündelung von Kompetenzen lassen sich oftmals die besten Lösungsansätze finden, zum Beispiel über Ideenworkshops und Besprechung alternativer Kooperationsmöglichkeiten wie Schaffung einer Lieferanten-Allianz. Der Einkauf sollte in diesen Zeiten kreativ und lösungsorientiert agieren und auf gar keinen Fall versuchen, die Lösungen allein hinter verschlossenen Türen zu finden. Insbesondere in Krisenzeiten ist der Einkauf als Schnittstellenmanager gefragt.
B_I: Die Baustoffkrise kommt in einer Zeit der hohen Baunachfrage. Was kann ein ausführendes Bauunternehmen jetzt selbst tun, um von solchen Materialengpässen nicht zu sehr beeinträchtigt zu werden?
Niehues: Aktuell haben eher kleinere Betriebe die Probleme mit der Versorgung, da große Unternehmen und Konzerne mittels Vorratslagerhaltung zumindest die Hochzeit einer Krise überbrücken können. Da Häufigkeit und Frequenz von Krisen zunehmen, gewinnt der Aufbau von Lagerkapazitäten wieder an Bedeutung, und der Just-in-time-Trend der letzten Jahre nimmt ab. Denkbar ist dabei auch die Nutzung flexibel anmietbarer Gewerbelagerflächen, wenn ein eigenes oder langfristig angemietetes Lager nicht in Frage kommt. Das Angebot von flexibel mietbaren Lagerflächen hat in den letzten Jahren bereits stark zugenommen.
Daneben sollte ein Unternehmen über seinen Einkauf auch die klassischen Instrumente nutzen. Hierzu zählen etwa die permanente Überprüfung und Optimierung des Lieferantenportfolios, das stetige Screenen der Beschaffungsmärkte, die Abstimmung von zukünftigen Abnahmemengen mit den Lieferanten auf Basis AI-unterstützter Nachfrage-Forecasts oder die Einrichtung eines Risikomanagementsystems mit Frühwarnindikatoren und vordefinierten Handlungsempfehlungen. Präzises Forecasting und Risikomanagement können auch kleinere Unternehmen leisten. Der höhere Aufwand rechnet sich in dem Moment, wo das Unternehmen trotz schwieriger Rahmenbedingungen lieferfähig bleibt.
B_I: Sie empfehlen ein aktives Prozess- und Risikomanagement. Wie kann das dabei helfen, Preisaufschlägen bei Baumaterialien zu begegnen?
Niehues: Ein Hauptnutzen eines Risikomanagementsystems ist das frühzeitige Erkennen von Risiken und die unmittelbare Einleitung von Gegenmaßnahmen. So kann ein Risikomanagement dabei unterstützen, bereits vor einer Preisexplosion zu erkennen, dass Lagerbestände aufgebaut oder Terminkontrakte wie Holz-Futures abgeschlossen werden sollten, um sich stabile Preise zu sichern. Wenn man einem Risiko wie Preissteigerungen nicht ausweichen kann, hat man dank des Risikomanagements die Chance, Gegenmaßnahmen sofort einzuleiten, da sie bereits vordefiniert und intern vorabgestimmt sind und sich nicht erst eine Task Force finden muss, die sich überlegt, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen kann. Auch so sparen Unternehmen Zeit und Geld und bleiben handlungsfähig.
B_I: Welche Rolle spielt dabei die Einkaufsorganisation eines Bauunternehmens?
Niehues: Der Einkauf sollte hinsichtlich Beschaffungsrisiken die Verantwortung für das Risikomanagement haben. Er sollte sicherstellen, dass es entsprechend systematisierte Risikoerkennungsmechanismen gibt und Gegenmaßnahmen cross-funktional vorab abgestimmt werden. Hierbei übernimmt der Einkauf eine Vermittlerrolle und hat zudem die Aufgabe, Lösungsideen vom Markt – also von den Lieferanten – abzufragen und einzubringen. Ohne einen professionellen Einkauf, der die internen Unternehmensprozesse und Beschaffungsmarktprozesse genaustens kennt, kann es kein ausgereiftes Beschaffungsrisikomanagement geben.
B_I: Für das Preismonitoring braucht man ein entsprechendes Tool. Was muss das können?
Niehues: Essenziell ist die Angabe von Preisinformationen – Rohstoffpreise, Währungskurse, Zinssätze – und das Tracking von Preisentwicklungen, zum Beispiel von Rohstoffpreis-Indizes, sowie die automatisierte Meldung bei Auffälligkeiten. Das können zum Beispiel Preissteigerungen um einen definierten Prozentsatz über einen vorgegebenen Zeitraum („Preiszuwachs größer x% im Zeitraum y“) oder das Ausmaß von Preisvolatilitäten sein. Das Tool sollte digital verfügbare Informationen und Daten selbstständig erfassen und verarbeiten – im günstigen Fall mittels AI-Technologie-Unterstützung, um die stetige Verbesserung des Monitorings zu gewährleisten.
Daneben ist die Bereitstellung von aktuellen Informationen über Ereignisse hilfreich, die die Lieferketten in relevanten Regionen der Erde beeinflussen: Naturkatastrophen und andere Umweltereignisse, Unglücke, Staatskrisen etc. Das Tool sollte ferner dezentral verfügbar und intuitiv auf unterschiedlichen Endgeräten bedienbar sein, um unabhängig vom Aufenthaltsort und Medium eingesetzt werden zu können, da Zeit ein erfolgsentscheidender Faktor im Risikomanagement ist.
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*Inverto ist eine spezialisierte Unternehmensberatung für Einkauf und Supply Chain Management mit Sitz in Köln und Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group.
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