Preisgleitklauseln vereinbaren bei Bauverträgen?
Die immensen Preissteigerungen für Baumaterial in Folge des Ukraine-Krieges belasten das Baugewerbe einseitig, denn Auftragnehmer von Bauverträgen können Preiserhöhungen meist nicht weitergeben – die Rechtslage benachteiligt sie hierin. Auftraggeber sollten sich dennoch nicht gegen Preisgleitklauseln sperren.
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Bundeserlass zu Lieferengpässen und Preissteigerungen
Dies hat die normalerweise sehr strenge Öffentliche Hand erkannt: Das Bundesbauministerium hat im Erlass „Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“ vom 25.03.2022, Az.: BWI7-70437/9#4, Hinweise für den Umgang mit den Preissteigerungen gegeben, und zwar differenziert nach noch abzuschließenden Verträgen und bereits abgeschlossenen Verträgen. Bei den bereits abgeschlossenen Verträgen unterscheidet das Bauministerium zwischen zurzeit nicht beschaffbaren Baumaterialien und deutlich teurer gewordenen Baumaterialien.
Baumaterial nicht lieferbar: Höhere Gewalt
Bei gerade nicht erhältlichen Baumaterialien soll – wenn die Lieferschwierigkeiten auf den Kriegsereignissen in der Ukraine oder den in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland beruhen – ein Fall höherer Gewalt vorliegen, so dass eine Behinderung des Auftragnehmers nicht von ihm zu vertreten wäre. Das verhindert immerhin, dass der Auftragnehmer eine Vertragsstrafe oder den tatsächlichen Verzugsschaden zahlen muss.
Baumaterial teurer: Wegfall der Geschäftsgrundlage
Werden die Baumaterialien wegen der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland teurer, sollen nach dem Bundesbauministerium die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage greifen. Zwar weist der Bauvertrag das Materialbeschaffungsrisiko grundsätzlich der Sphäre des Unternehmens zu. Das gilt jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt, was in diesem Fall nach dem Bundesbauministerium erfüllt ist.
Wann aber genau die Geschäftsgrundlage entfällt und wann die Preise anzupassen sind, muss das Bundesbauministerium dem Einzelfall überlassen. Es verweist auf Werte von 10 bis 29 Prozent Abweichung, die als nicht mehr hinnehmbar anzunehmen sind. Dabei kommt es auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrages an, also auf die Änderung des Gesamtpreises. Die Preise werden dann nur so weit angepasst, wie sie die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Der Hinweis auf diesen Erlass soll vor allem Auftragnehmern wenigstens bei der rechtlichen Begründung eines Preisanpassungsanspruches helfen. Die Problematik der Höhe stellt sich dann als zweites.
Bis 29 % Abweichung vom Gesamtpreis trägt der Auftragnehmer
Preisgleitklauseln - das Für und Wider
Wenn jetzt mehrfach betont wurde, dass dieser Erlass des Bundesbauministeriums eher als großzügig anzusehen ist, muss jetzt natürlich die Einschränkung kommen. Der Streit um die Weitergabe von Mehrkosten ist an sich sehr alt, denn Preisschwankungen gab es immer schon. Vor gut 15 Jahren gab es zum Beispiel massive Schwankungen bei den Stahlpreisen, auch damals ging es um die Möglichkeit, Preiserhöhungen (und Preisreduzierungen) an den Auftraggeber weiterzugeben. Damals hat man relativ schnell zu Preisgleitklauseln gegriffen. Ganz grob sieht eine solche Klausel so aus, dass der Auftragnehmer nur einen vorläufigen Preis anbietet und der endgültige Preis dann anhand der Entwicklung eines vorher festgelegten Material-Indexes festgelegt wird.
Vorteil: Zeitpunkt der Beschaffung irrelevant
Diese Lösung hat den Vorteil, dass Auftraggeber und Auftragnehmer an steigenden und sinkenden Preisen teilnehmen. Ein weiterer Vorteil – etwas versteckt – ist, dass es nicht darauf ankommt, wann genau der Auftragnehmer das Material für die Baustelle kauft. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage muss der Auftragnehmer streng genommen nachweisen, welche Einkaufspreise er kalkuliert hatte und was genau gerade das für diese Baustelle gekaufte Material tatsächlich gekostet hat. Oft können Auftragnehmer aber gar nicht nachweisen, welcher Sack Zement etc. für welche Baustelle gekauft wurde, da Materialien oft mit einem gewissen Vorlauf auf Lager gelegt werden.
Nachteil: Festlegung im Vertrag ist Voraussetzung
Der Nachteil der Preisgleitklausel ist, dass viele Indices nur in größeren Abständen aktualisiert werden. Und natürlich muss sie vereinbart werden, regelmäßig bereits im anfänglichen Bauvertrag. Was also tun, wenn es keine Preisgleitklausel gibt?
Keine Preisgleitklausel vereinbart: Was tun?
Die Rechtslage ist trotz der langen Auseinandersetzung mit dem Thema nur mit gewissen Unschärfen darzustellen. Fest steht aber, dass sie für den Auftraggeber und seinen Wunsch, die Preise unverändert zu lassen, sehr viel günstiger ist als für den Auftragnehmer. Die schon angesprochene „Geschäftsgrundlage“ setzt nämlich voraus, dass sich die Vertragspartner einig sind, dass eine bestimmte Tatsache die gemeinsame (!) Grundlage ihres Vertrages ist. Das ist schon sowieso schwierig zu ermitteln. Bei Bauverträgen kommt hinzu, dass der Auftragnehmer ganz allgemein das Preisänderungsrisiko trägt. Es müsste also zwischen den Vertragspartnern Einigkeit bestehen, dass entweder der Auftragnehmer dieses Risiko nur bis zu einem gewissen Grad trägt oder dass die Preise nur gelten sollen, solange kein Krieg mit daraus resultierenden Problemen ausbricht.
Problem Nr. 1: Krieg war nicht vorhersehbar
Diese beiden Punkte werden ganz sicher im Vorhinein aber nicht ausdrücklich besprochen und oft auch noch nicht einmal als fiktive Möglichkeit erwogen: Wer hätte bei Abschluss eines Bauvertrages im November 2021 über einen Ukraine-Krieg und dessen Folgen nachgedacht und das Nicht-Ausbrechen zur Grundlage eines Vertrages gemacht? Selbst wenn man über diese Frage hinwegkommt, muss der Auftragnehmer die sogenannte Opfer- oder Zumutbarkeitsgrenze überschreiten.
Problem Nr. 2: Welche Preiserhöhung ist noch zumutbar?
Ganz klar ist, dass sich diese Zumutbarkeitsgrenze auf das Gesamtvolumen des Gesamtvertrages bezieht, wie es auch das Bundesbauministerium vorsieht. Welche Änderungen aber sind dem Auftragnehmer zumutbar? Die Rechtsprechung hatte nur wenig Gelegenheit, dies zu entscheiden, und es gibt kaum geeignete Ansatzpunkte. Die oben schon genannten 10 bis 29 Prozent sind wohl eher als Untergrenze anzusehen.
Jedenfalls erhält der Auftragnehmer Mehrkosten nur in der Höhe erstattet, in der sie diese Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Der Auftragnehmer soll nicht das von ihm zu tragende Preisrisiko (was ja auch immer die Chance eines günstigeren Einkaufs einschließt) vollständig auf den Auftraggeber übertragen können.
Problem Nr. 3: Nachweis der tatsächlichen Mehrkosten
Und oben schon angesprochen ist das dann folgende, dritte Problem: Der Auftragnehmer muss die tatsächliche Höhe der Mehrkosten nachweisen. Dazu gehört der Nachweis, was genau das gerade für diese Baustelle beschaffte Baumaterial gekostet hat. Unternehmen mit mehr als einer Baustelle werden aber oft für mehrere Baustellen gleichzeitig bestellen. Ganz kompliziert wird es, wenn ein Unternehmen einen gewissen Lagerbestand hat und diesen für die Ausführung einer Baustelle nutzt, die Bestellungen also nur dem Auffüllen dieser Lagerbestände dienen. Rein logisch nutzt der Auftragnehmer dann für die Baustelle die früher und damit günstiger gekauften Materialien, die später und teurer gekauften Materialien erst für nachfolgende Baustellen.
Fazit: Geld allein ist nicht alles
Wie gesagt haben Auftraggeber gute Gründe, diese Rechtslage nicht zu ihren Gunsten knallhart durchzusetzen. Auftragnehmer sollten aber um die Schwäche ihrer Position wissen, um Verhandlungen risikogerecht zu führen und erzielte Ergebnisse richtig einordnen zu können. Das Bundesbauministerium etwa hält eine umfassende Gesamtwertung für notwendig: „Ergibt diese Gesamtabwägung beispielsweise, dass eine Anpassung von Preisen den termingerechten Fortgang der Baumaßnahmen fördert, Auseinandersetzungen an anderer Stelle vermeidet, Verwaltungsaufwand und Folgekosten (etwa durch längere Nutzung eines Ersatzmietobjekts) erspart, mag bereits kein Nachteil [für den Auftraggeber] im wirtschaftlichen Sinne vorliegen.“ Bei neu abzuschließenden Verträgen kann im Moment vor allem bei einer längeren Laufzeit nur der Abschluss einer Preisgleitklausel empfohlen werden.
Tipp der Redaktion: Webinar "Wie umgehen mit Preisexplosionen bei Baumaterial?"
Das Vergabeportal Vergabe24 bietet am 22. Juni ein Webinar mit dem Titel „Preisexplosionen bei Baumaterial und Energie – Rechtliche Ansprüche und Strategien für die Praxis“ an. Darin werden die rechtlichen Grundlagen möglicher Ansprüche im Zusammenhang mit den Preissteigerungen im Zuge von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg erläutert. Die Teilnehmer erhalten Tipps zum richtigen Umgang mit den Preissteigerungen bei der Vergabe von Bauleistungen und zu Strategien zur Durchsetzung der tatsächlichen Baumaterial- und Energiekosten. Das Webinar empfiehlt sich besonders für Mitarbeiter von Bauunternehmen.
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