Vorm Angebots-Ausschluss kommt die Aufklärung
Möglichst viele Angebote sollen im Wettbewerb bleiben können – diesen grundsätzlichen Schluss hat der Bundesgerichtshof aus der 2016 in Kraft getretenen Reform des Vergaberechts gezogen. Bei einem aktuellen Beschluss hat der BGH diesen Grundsatz konkret angewandt, und zwar auf Fälle, bei denen nach früherem Verständnis ein Ausschluss zwingend gewesen wäre.
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Bei dem Beschluss vom 18.06.2019, X ZR 86/17 geht es um Fälle, bei denen aus Versehen Vertragsbedingungen des Auftragnehmers dem Angebot beigefügt wurden. Ausgehend von dem Grundsatz, dass jede noch so kleine Abweichung von den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers in förmlichen Vergabeverfahren zum Ausschluss führt, bestand bis zu diesem Urteil Einigkeit, dass z.B. jeder Verweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) – oder sogar nur der Abdruck auf der Rückseite – zwingend zum Ausschluss des Angebotes führen muss.
Dies war immer dann besonders bedauerlich, wenn es sich offensichtlich um ein Versehen handelte. Viele Firmen verwenden vorgedruckte Briefbögen, in denen auf die eigenen AGB verwiesen wird. Ich habe von einem Unternehmen gehört, dass alle bundesweit erstellten Angebote etc. an einer Stelle ausdruckt. Bei dieser Stelle ist eine unterschiedliche Behandlung von Angeboten in Vergabeverfahren und anderen Angeboten nicht möglich, so dass immer die eigenen AGB beigefügt werden.
In anderen Fällen war und ist es aber eindeutig, dass der Bieter bewusst von den Vorgaben des Auftraggebers abweichen will, z.B. bei individuell für das Vergabeverfahren formulierten Anschreiben oder Hinweisen auf technische Abweichungen. Bei diesen Angeboten bleibt es beim zwingenden Ausschluss.
Bei allen tatsächlich nur versehentlich ergänzten Angeboten hat der BGH die Möglichkeit eröffnet, diese nach Durchführung einer Aufklärung im Wettbewerb zu lassen. Gerade in Zeiten, in denen in Vergabeverfahren nur wenige und viel zu oft auch keine Angebote eintreffen, ist das eine gute Aussicht. Das Vermeiden des Ausschlusses hat allerdings mehrere Voraussetzungen.
Abweichung beruht auf Missverständnis oder Versehen
Es darf sich nicht um eine vorsätzliche Abweichung handeln, mit der sich der Bieter einen Vorteil im Wettbewerb verschaffen will. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um einen Zusatz in einem Kurz-Leistungsverzeichnis zu Zahlungsbedingungen. Dieser war offensichtlich formelhaft formuliert und bezog sich nicht auf das konkrete Vergabeverfahren. Auch der Ort – nicht im Bieteranschreiben – deutet auf eine versehentliche Verwendung hin. Mir sind vergleichbare Zusätze unter Leistungsverzeichnissen bekannt, sie werden z.B. bei kleineren Verträgen verwendet, bei denen es sonst kein ausgefeiltes Vertragswerk gibt.
Auch ein auf dem Briefkopf in der Fußzeile befindlicher Zusatz wie etwa „Ausführung nur auf Grundlage unserer AGB“ dürfte regelmäßig offensichtlich versehentlich eingefügt werden. Vergaberechtlich ist ein Begleitschreiben des Auftragnehmers nicht notwendig, in vielen Fällen wird es aus Gewohnheit beigefügt oder weil sonst keine Möglichkeit besteht, die Adresse des Auftraggebers in ein Brief-Sichtfenster zu bringen. Bei elektronischen Vergaben hat ein solches Begleitschreiben sowieso nur noch den Wert einer Höflichkeitsbekundung.
Nicht auf einem Missverständnis beruhen für das konkrete Vergabeverfahren formulierte Teile von Begleitschreiben, etwa Hinweise auf nicht kalkulierte Leistungen oder die Darstellung von Fehlern der Leistungsbeschreibung und den zur Korrektur durch den Bieter vorgenommenen Änderungen. Diese führen weiterhin zwingend zum Ausschluss.
Ersatzloses Streichen von Abweichungen möglich
Der BGH betont, dass im entschiedenen Fall bei einem Streichen dieser Zusätze oder Abweichungen ein Angebot übrigbleibt, das den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Das ist möglich, wenn Hinweise auf AGB gestrichen werden oder, wie im entschiedenen Fall, die Klausel zu Zahlungsbedingungen. Bleibt hingegen nach Streichung eine Lücke oder eine Abweichung, ist allenfalls noch an eine Lösung über die allgemeinen Vorschriften zur Nachforderung zu denken. Diese Nachforderung kann z.B. zum Schließen von Lücken verwendet werden. Eine inhaltliche Nachbesserung oder gar Änderung darf durch die Nachforderung aber nicht herbeigeführt werden.
In einer ganz neuen Entscheidung hat eine erste Vergabekammer gezeigt, welche Grenzen die Rechtsprechung des BGH hat. In dem dort entschiedenen Fall hatte der Bieter die vom Auftraggeber vorgegebene Art und Weise der Angebotseinreichung missachtet. Es ging darum, wie sich Bietergemeinschaften auf einer E-Vergabe-Plattform anmelden sollten. Der Auftraggeber wollte auf diese Weise sicherstellen, dass die Identität von Angebotseinreicher und die Bietergemeinschaft einfach und sicher festgestellt werden können. Die betroffene Bietergemeinschaft hatte ihr Angebot von einem Dritten hochladen lassen, außerdem blieb unklar, wer genau für die Bietergemeinschaft auftrat. Diesen Fehler könne man, so die VK Bund, 2-107/19 v. 31.01.2020, nicht einfach durch Streichen beheben.
Durchführung einer Aufklärung
Der Auftraggeber muss eine Aufklärung durchführen und auf diese Weise klären, ob der Zusatz auf einem Versehen oder Missverständnis beruht und ob der Bieter einem Streichen seiner Zusätze zustimmt. Erklärt der Bieter, der Zusatz entspreche seinem Willen und dürfe nicht gestrichen werden, ist der Auftraggeber hieran im Zweifel gebunden und muss den Bieter ausschließen.
Nicht geklärt ist, wie mit nicht entdeckten Ergänzungen etc. umzugehen ist. Teils geht man davon aus, dass solche Ergänzungen etc. Vertragsbestandteil werden und zu beachten sind. Würde sich das durchsetzen, wäre dies vermutlich nicht im Sinne des BGH, dies legen einige seine das Vertragsrecht betreffenden Überlegungen nahe.
Allgemeiner Trend: Aufklärung vor Ausschluss
Diese Entscheidung des BGH liegt in einem allgemeinen Trend der Rechtsprechung, den Auftraggeber vor einem Ausschluss zur Aufklärung aufzufordern und durch Auslegungsmöglichkeit mehr Angebote im Wettbewerb zu halten.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass im Aufklärungsgespräch das Angebot nicht geändert werden kann, hat das OLG Düsseldorf die Folgen einer bestimmten Vertragsauslegung bestimmt. Im entschiedenen Fall ging es darum, ob der Bieter an einer von mehreren ähnlichen Positionen den angegebenen Preis oder den der ähnlichen Positionen anbieten wollte. Dies war wegen der sehr unterschiedlichen Preisgestaltungen unklar, und der Auftraggeber hat das Angebot daher in einem bestimmten Sinn ausgelegt. Dieses Ergebnis der Auslegung kann durch Erklärungen des Bieters im Aufklärungsgespräch nicht mehr geändert werden – der Bieter wurde also an eine Erklärung gebunden, die er (so seine Mitteilung im Aufklärungsgespräch) eigentlich gar nicht so wollte (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2019, Verg 42/18).
Bei einer möglichen Widersprüchlichkeit der Kalkulation hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass zwingend eine Aufklärung durchzuführen ist. Dies soll dazu dienen, einen eindeutigen Inhalt des Angebotes zu ermitteln und so sicher auszuschließen, dass die Kalkulation oder das Angebot fehlerhaft sind oder den Vorgaben des Auftraggebers widersprechen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2018, Verg 48/18).
Auch bei einem inhaltlich nicht eindeutigen Angebot verlangt das OLG Düsseldorf, dass der Auftraggeber dies zwingend mit dem Bieter bespricht und die unklaren Stellen soweit möglich klärt. Diese Aufklärung darf aber nicht zu einer Änderung führen, das Ergebnis der Auslegung muss im Angebot angelegt sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2017, VII – Verg 17/17).
Aufklären ist kein Verhandeln
Dies gilt generell: Aufklären ist kein Verhandeln und im Rahmen der Aufklärung darf der Bieter sein Angebot nicht ändern. Dabei muss eine Änderung nicht ausdrücklich erfolgen. Verlangt der Auftraggeber die Vorlage eines Musters, um die Übereinstimmung des Angebotes mit seinen Vorgaben zu prüfen, führt ein hiervon abweichendes Muster zwingend zum Ausschluss des Bieters.
Das gilt auch unter der neuen VOB/A, die in §§ 16a, 16a EU VOB/A (insoweit wie die gesetzliche Vorlage, die Vergabeverordnung VgV) auch ein „Korrigieren“ erlaubt. Auch ein solches Korrigieren darf nicht zu einer Änderung oder zu einem Austausch führen; zu denken ist aber z.B. an den Fall, dass der Bieter versehentlich ein nicht zum Angebot gehörendes Produktdatenblatt beigefügt hat oder die Angaben des Bieters in sich widersprüchlich sind.
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Fazit: Mehr Aufwand bei der Prüfung von Angeboten
Die neue Rechtsprechung des BGH erlaubt es, mehr Angebote im Vergabeverfahren zu halten als bisher. Anbietende sollten sich aber nicht auf diese Möglichkeit verlassen und auf keinen Fall versuchen, auf diesem Weg die Vergabeunterlagen in ihrem Sinne zu „korrigieren“. Öffentliche Auftraggeber müssen sich auf mehr Aufwand bei Prüfung und vor allem der Aufklärung von Angeboten einstellen.
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