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Die Sicht eines Landschaftsarchitekten

Die Schaffung einer blau-grünen Infrastruktur ist zentrales Anliegen heutiger Planungskultur. Wassersensible Stadtentwicklungsmaßnahmen in Verbindung mit wertigen Grünstrukturen verbessern nicht nur das Mikroklima, sondern auch die Aufenthaltsqualität in urbanen Räumen.

Statement eines Landschaftsarchitekten - Blau-grüne Infrastruktur als Problemlöser
Der Autor Urs Müller-Meßner ist freier Landschaftsarchitekt und Vorsitzender des bdla Baden-Württemberg. Kontakt: umm@kienleplan.de | Foto: Kienleplan

Grüne Stadtentwicklung ist weder modische Zeiterscheinung noch Phrase einer heranwachsenden Generation ‚Fridays for Future‘ bzw. der ‚letzten Generation‘. Seit je her gelten grüne Oasen in Städten als Ort der Kontemplation, des Flanierens, des sozialen Miteinanders. Eindrucksvoll zeigt sich dies in einem Merian-Stich des Petersplatzes in Basel.

Der Merian-Stich vom Petersplatz in Basel belegt, dass Baumgärten schon im Jahr 1277 bei der städtischen Bevölkerung sehr beliebt waren. | Foto: Merian, Matthäus
Der Merian-Stich vom Petersplatz in Basel belegt, dass Baumgärten schon im Jahr 1277 bei der städtischen Bevölkerung sehr beliebt waren. | Foto: Merian, Matthäus

‚Der Platz wurde im Jahr 1277 von den Chorherren zu St. Peter als Baumgarten vor der damaligen Stadtmauer angelegt. Hier standen Linden, Eichen und Ulmen und die Äste der Laubbäume wurden in die Breite gezogen, damit sie im Sommer reichlich Schatten spendeten‘. Ein Stück Natur in die Stadt holen hat unsere vorhergehenden Generationen, seit konkreter Städtebau die Siedlungsstrukturen leitet, inspiriert. Teils aus romantischen Motiven, mittlerweile als wohltuender, schattenspendender Freiraum in der zunehmend überhitzten Stadt.

Städte besonders vom Klimawandel betroffen

Unsere Städte wandern klimatisch gesehen südwärts, beispielsweise trägt Stuttgart nahezu Wesensmerkmale eines mediterranen Roms, Madrid rückt nach Nordafrika und London tendiert nach Bordeaux – Tendenz weiter südwärts.

Das jahrzehntelange Opfern unserer Städte für den Verkehr, die leider immer noch vorherrschende Förderung des Individualverkehrs in unseren Städten verstärken den sommerlichen Überhitzungseffekt. Vollversiegelte Plätze, die autogerechte Stadt mit mehrspurigen, kaum überwindbaren Verkehrsachsen, die Stadt als großer Parkplatz. Als Beispiel dienen Großstädte wie Köln, Frankfurt oder Bremen, dort werden ca. 65 m² je Einwohner als Verkehrsfläche in Anspruch genommen, verkürzt dargestellt wird jede Wohneinheit als Verkehrsfläche im öffentlichen Raum flächig abgebildet.

Straßenzug in Dortmund_Bestand | Foto: Kienleplan
Straßenzug in Dortmund_Bestand | Foto: Kienleplan

Gegenüberstellung von Bestand (oben) und Vision (unten) eines Straßenzuges in Dortmund.

Straßenzug in Dortmund_Vision | Foto: Kienleplan
Straßenzug in Dortmund_Vision | Foto: Kienleplan

Dem Individualverkehr wird große Aufmerksamkeit zuteil, vergessend, dass damit unsere Städte keine Aufenthaltsqualitäten aufweisen und an stark frequentierten Infrastruktur-Achsen kaum noch Einzelhandel und Wohnraum zu etablieren sind. Der Klimawandel verursacht nicht nur eine Überhitzung unserer Städte, sondern generiert auch kurze, heftige Niederschlagsereignisse. Eine Kompensation und Rückhaltung ist meist nicht möglich, da alles an die Kanalisation angeschlossen und diese bei Starkregen, hydraulisch bereits bei Normalregen, überlastet ist.

Grüne Stadtentwicklung schafft Abhilfe

Grüne Infrastruktur kann dagegen helfen. Keine bittere Medizin für unseren kranken Patienten ‚Stadt‘, sondern langfristige Therapie. Die Kombination unterschiedlichster Bestandteile der grün-blauen Infrastrukturen können einen sehr wertvollen und nachhaltigen Beitrag leisten, und zwar nicht nur in Neubaugebieten und Konversionsflächen in der Stadt. Wassersensible Stadtplanung in Verbindung mit wertigen Grünstrukturen bewirken ein hohes Maß an Linderung und Fiebersenkung unseres kranken Patienten.

Dortmund Grüner Wall | Foto: Kienleplan
Dortmund Grüner Wall | Foto: Kienleplan

Einfachste Möglichkeiten sind Baumpflanzungen entlang von Straßen. Die Schaffung von Stadt-Klimaoasen durch Baumpflanzungen ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ein Umdenken in der Inanspruchnahme öffentlicher Flächen für den ruhenden Verkehr könnte viel Platz für neues Grün schaffen. Keine noch so kleine Fläche darf uns zu schade sein, wertiges Grün zu etablieren. Alle städtischen Freiräume müssen auf Starkregen-Ereignisse, Überflutungen, Trockenheit und Hitze hin überprüft und weiterentwickelt werden. Um ganzheitliche Ergebnisse zu erzielen, bedarf es gesamtheitlicher Freiraum-Entwicklungskonzepte.

Urbanes Grün neu denken und gestalten

Die langfristige Entwicklung klimaresilienter Städte kann nur in einem gemeinsamen Prozess erfolgen. Die Kooperation kommunaler Fachressorts mit Unterstützung von Fachplanungen und Landschaftsarchitektur zur Entwicklung von Transformationsräumen – darin müssen neue Wege beschritten werden. Und es eilt, die Bench-Mark von 1,5° globaler Klimaerwärmung droht an vielen Stellen überschritten zu werden. Neben der Vielfalt an Best-Practice-Beispielen grüner Infrastruktur, wie begrünte Innenhöfe, Entsiegelung und Begrünung befestigter Flächen, Vertikalbegrünung und Dachbegrünung, bis hin zu grünen Architekturen müssen weitere Experimentierfelder hin zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zugelassen werden.

Klimawirksame Vertikalbegrünung | Foto: Kienleplan
Klimawirksame Vertikalbegrünung | Foto: Kienleplan

Experimente haben die Menschheit immer weitergebracht. Fehlerkultur und Lösungsorientierung außerhalb normierter Bauweisen können helfen unsere Zukunft nachhaltig zu gestalten. Dazu bedarf es gezielter Fördermöglichkeiten dahingehende Planungsprozesse zu unterstützen. Grüne Innenstädte dürfen keine Vision mehr sein, sondern Verpflichtung. Neben großräumigen Vernetzungen von innerstädtischen Grünflächen mit dem Grün der Zwischenräume unserer Mega-Cities sind passgenaue Strategien und Maßnahmenkonzepte zu entwickeln. Bereits ab 0,5 ha (5.000 m²) Fläche sind Grünflächen klimawirksam.

Stadtplanung ist vom Freiraum her zu denken. Grünflächen dürfen keine Resträume besetzen, sondern müssen durch Größe und Wertigkeit überzeugen. Dies wurde uns während der Corona-Pandemie bewusst vor Augen geführt. Viele Menschen verfügen über keine eigenen Gärten, sondern sind auf öffentliche Grünflächen angewiesen. Eine ausreichende Freiraumversorgung unserer Städte sind der Kitt unseres sozialen Miteinanders. Diese multicodierten Freiräume tragen in vielschichtiger Weise zu einer gesunden Stadtentwicklung bei. Neben Bewegungs- und Aufenthaltsangeboten müssen heutige Stadtparks und öffentliche Freiräume ebenso einen Beitrag zu mehr Biodiversität und mehr Qualität beitragen. Ein definierter ökologischer Standard muss das Ziel sein.

Grün und Grünflächen-Pflege politisch einfordern

Wer A zu mehr Klimaschutz und Grünraumversorgung sagt muss gleichzeitig B zu dessen Pflege und Unterhalt mitdenken. Ein mehr an Grünflächen zieht unweigerlich ein höheres Maß an Grünflächenpflege nach sich. Das muss es uns Wert sein. Insbesondere die politischen Entscheidungsträger sind zu sensibilisieren, den Kommunen und Verwaltungsstrukturen nicht nur die Schaffung klimaangepasster Grünräume zu fördern, sondern ebenso deren Unterhalt. Die heute bereits minimierten Pflegeaushalte können dies langfristig nicht mehr leisten.

Dazu kann eine öffentlich geführte Debatte unterschiedlicher Akteure beitragen. Die Präsenz wertiger Landschaftsarchitektur, beispielsweise die jährlich wiederkehrenden Landschaftsarchitekturpreise auf Landes- und Bundesebene des bdla (Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innnen) aber auch die seitens des bdla ausgearbeiteten ‚Essentials zur Klimaanpassung‘ leisten einen wichtigen Beitrag, städtisches Grün neu zu denken, zu gestalten und politisch einzufordern.

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