Ein kritischer Blick auf Baumstandorte mit Rigolen-Funktion

Der Eintrag von Niederschlägen in Baumstandorte ist ein natürliches Phänomen, das vor allem an Stadt-Standorten möglich sein muss. Seit einigen Jahren wird dies forciert, wobei immer öfter so genannte „Baum-Rigolen“ angelegt werden und sich dabei Entwicklungen ergeben haben, die baumfachlich kritisch zu beurteilen sind.

Wasser muss zum Baum - und dann?
Orientierende Illustration zum Wasserhaushalt an einem Stadt-Standort im Vergleich zu einem naturnahen Standort. | Foto: Jeppe Ecklon (verändert)

Nicht nur in der Stadt wird es immer wichtiger, intelligenter als bisher mit der kostbaren Ressource Wasser umzugehen. Dabei geht es gleichermaßen darum, Starkregenereignisse im Sinne der Entlastung der Kanalisation zu beherrschen als auch Niederschlagswasser zur Bewässerung des Stadtgrüns einsetzen zu können. Es liegt daher nahe, auf beide Herausforderungen in einem gemeinsamen Ansatz zu reagieren.

Auf der Suche nach Versickerungspotenzialen werden verstärkt ingenieurtechnische Ideen aufgegriffen, nach denen Baumstandorte zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung genutzt werden sollen. Unter dem Begriff „Baum-Rigole“ wecken sie vor allem siedlungswasserwirtschaftlich hohe Erwartungen.

Dr. Markus Streckenbach leitet das Sachverständigenbüro für urbane Vegetation in Bochum und bearbeitet schwerpunktmäßig Fragestellungen zu den Interaktionen von Bäumen mit städtebaulicher Infrastruktur. Er ist u. a. Leiter des Regelwerkausschusses Baumpflanzungen und Mitglied des Arbeitskreis Baumschutzfachliche Baubegleitung der FLL sowie aktives Gründungsmitglied des Arbeitskreis Baum im Boden. Kontakt: info@urbanevegetation.de | Foto: Streckenbach
Dr. Markus Streckenbach leitet das Sachverständigenbüro für urbane Vegetation in Bochum und bearbeitet schwerpunktmäßig Fragestellungen zu den Interaktionen von Bäumen mit städtebaulicher Infrastruktur. Er ist u. a. Leiter des Regelwerkausschusses Baumpflanzungen und Mitglied des Arbeitskreis Baumschutzfachliche Baubegleitung der FLL sowie aktives Gründungsmitglied des Arbeitskreis Baum im Boden. Kontakt: info@urbanevegetation.de | Foto: Streckenbach

Von der Wurzelraumerweiterung zum Stockholmer Modell

Ein Blick zurück auf die Entstehungsgeschichte von „Baum-Rigolen“ zeigt, dass Baumstandorte mit Rigolen-Funktion bis zu ihrer siedlungswasserwirtschaftlichen „Entdeckung“ zunächst keine wesentliche Bedeutung hatten. Vorrangiger Ansatz lag in der Schaffung verbesserter Standortbedingungen durch möglichst großvolumige Wurzelräume, die mit Skeletterden gefüllt wurden und in die unbelastetes Niederschlagswasser versickern konnte.

Diese Bauweise gelangte etwa Anfang der 2000er Jahre nach Schweden, wo Grünverantwortliche darauf aufbauend ein Konzept zur Verbesserung der sehr harschen Lebensbedingungen ihrer Straßenbäume entwickelten. Im Vordergrund stand und steht dabei das Ziel, eine überbaubare Erweiterung des Wurzelraumes zu ermöglichen. Niederschlagswasser wird auch dort als eine natürliche Ressource gesehen, die vegetationstechnisch vor allem zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen von Bäumen genutzt werden soll („Stockholmer Modell“).

Eine Rigolenfunktion jedoch, im Sinne einer dezidierten Entlastung der Leitungsnetze bei Starkregenereignissen, ist an diesen Standorten als Nebenergebnis der speziellen Wurzelraumgestaltung anzusehen und stellt nicht das primär damit verfolgte Ziel dar.

Weiterentwicklung des Stockholmer Modells in Deutschland

In Deutschland wurde und wird dieses Konzept vor allem von der Siedlungswasserwirtschaft mit großem Interesse, jedoch mit klarem Fokus auf das Zurückhalten von Niederschlägen in Baumstandorten bei Starkregenereignissen, verfolgt.

In der Konsequenz wurden die siedlungswasserwirtschaftlichen Aspekte zurückliegend intensiv untersucht. Wenngleich auch baumfachliche Aspekte dabei nicht explizit ausgeschlossen wurden, so fand die Auseinandersetzung mit den Standortanforderungen von Bäumen bislang ohne die breite Einbeziehung grünverantwortlicher Stellen statt.

Etwa in diesem Zeitraum etablierte sich auch das Wort „Baum-Rigole“. Es verdeutlicht, dass der Standort eines Baumes nicht mehr als Baumstandort behandelt, sondern in Planung, Umsetzung und Unterhaltung als Rigolen-Bauwerk, also als Entwässerungsanlage betrachtet wird. Die Fixierung auf die Rigolen-Funktion mag der Grund dafür sein, dass baumfachlich immer stärker zu bemängelnde Entwicklungen aufkamen.

Der Eintrag von Salzfrachten in Baumstandorte

Eine dieser Entwicklungen betrifft den unbedarften Umgang mit dem Eintrag von Salzfrachten aus dem Winterdienst in Baumstandorte, wobei die schädigenden und mitunter verheerenden Auswirkungen der Streusalzaufnahme auf Bäume wissenschaftlich jedoch vollkommen unstrittig sind.

Vor dem Hintergrund einschlägiger Erfahrungen klingen die Pläne aus der Regenwasserbewirtschaftung befremdlich, bei Starkregenereignissen das Niederschlagswasser - ohne Rücksicht auf den winterlichen Streusalzeintrag - von der Straße in die mit Rigolen verbauten Wurzelräume einzuleiten. Eine damit erhoffte Vorreinigung wird bisweilen sogar als besonderer Vorzug von „Baum-Rigolen“ dargestellt.

Läuft streusalzbelastetes Wasser in Baumstandorte ein, kann ein Baum dadurch schwere Schäden nehmen und der Standort zu einem Sanierungsfall werden. | Foto: Streckenbach
Läuft streusalzbelastetes Wasser in Baumstandorte ein, kann ein Baum dadurch schwere Schäden nehmen und der Standort zu einem Sanierungsfall werden. | Foto: Streckenbach

In dieser Vorstellung wird der „belebten Bodenzone“, also dem Wurzelraum am Baumstandort, vor allem durch ein ausgeprägtes Feinwurzelsystem und eine damit einhergehende große Wurzeloberfläche, eine erhöhte Reinigungsleistung zugesprochen. Negiert wird dabei vollständig, was der Eintrag von salzbelastetem Wasser für den Baum und das Mikrobiom des Bodens bedeutet, der langfristig doch als Filter dienen soll.

Festzuhalten bleibt, dass Streusalz auch Bäume leicht absterben lässt und dessen Eintrag in den Wurzelraum vor allem verhindert werden muss. Anderenfalls können „Baum-Rigolen“, wie auch immer, die erwarteten Ökosystemleistungen noch nicht einmal ansatzweise erbringen.

Standards, Regelwerke und Empfehlungen

Die Errichtung von Baumstandorten mit gezielter Zuleitung von Niederschlägen (in der Form einer Entwässerungsanlage), spiegelt sich derzeit noch in keinem Standard wider. Auch in den aktuellen „Empfehlungen für Baumpflanzungen“ der FLL sind solche Konstruktionen nicht abgebildet.

Was diese Empfehlungen unter anderem jedoch beinhalten, sind baumfachliche Belange die an Baumstandorten eingehalten werden sollten oder auch müssen. So kann die Modifikation der für Bäume akzeptablen Substratkennwerte, z. B. mit Blick auf ein stärker verzögerte Wasserabgabe, zu ungeeigneten Verhältnissen an Baumstandorten führen. Diese Zusammenhänge werden in den FLL- „Empfehlungen für Baumpflanzungen“ ausführlich angesprochen.

Eine zum Pflanzzeitpunkt siedlungswasserwirtschaftlich bemessene Leistung eines Baumstandortes bleibt zudem nicht fix. Es ist auch zu hinterfragen, wer „Baum-Rigolen“ mit womöglich stark reduzierter oder nicht mehr bezifferbarer Rigolen-Funktion zukünftig bewirtschaftet.

Insbesondere beim Mindestvolumen der Pflanzgruben kommt es immer wieder zu folgeschweren Missverständnissen. Bei den baumfachlich geforderten 12 m3 handelt es sich keinesfalls um ein Maß, dessen Einhaltung die zukünftige Entwicklung eines Baumes sicherstellt! Es geht dabei ausdrücklich um die Anfangsentwicklung in den ersten Standjahren. Daran anschließend muss sich ein Baum in darüber hinausreichende Areale entwickeln und seinen Wurzelraum erschließen können.

Befestigte Einfassungen im Wurzelraum behindern eine natürliche und auskömmliche Wurzelentwicklung. | Foto: Doobe
Befestigte Einfassungen im Wurzelraum behindern eine natürliche und auskömmliche Wurzelentwicklung. | Foto: Doobe

Aus siedlungswasserwirtschaftlicher Perspektive scheint die bauliche Begrenzung des Wurzelraumes hingegen attraktiv - wobei der zu erwartende Nutzen einer womöglich 20-40 cm hoch ausgeführten, substratgefüllten Wanne unter einem Baum mit Blick auf das angestrebte Abkopplungspotenzial hinterfragt und dem Aufwand sowie den Beeinträchtigungen, mitunter auch einer Gefährdung des Entwicklungsziels einer Baumpflanzung gegenübergestellt werden muss.

Schlussbetrachtung

Es besteht Einigkeit darüber, dass Regen an Baumstandorten versickern können muss, ohne dass Salzfrachten und andere Schadstoffe eingetragen werden, und je großflächiger dies geschehen kann, desto besser. Bäume sollen und müssen von Niederschlägen partizipieren können.

Es ist ebenso unfraglich, dass sich die Wasserbewirtschaftung urbaner Räume dahingehend ändern muss, dass Wasser länger und in größeren Mengen als bisher vor Ort zurückgehalten wird – und dass dieses Wasser nach Möglichkeit auch zur Bewässerung der Vegetation genutzt werden sollte.

Das grundsätzliche Prinzip einer Schwammstadt ist vollumfänglich zu unterstützen und die Nutzung des Straßenraumes als Speicherelement wird begrüßt. Genauso muss aber Einigkeit darüber bestehen, dass ein mit einem Baum bepflanzter Standort auch weiterhin ein Baumstandort und nicht etwa eine Entwässerungsanlage ist.

Es ist müßig, jedoch notwendig, regelmäßig erneut auf die Belange von Bäumen hinzuweisen. Würden Baumstandorte konsequent so geplant und umgesetzt, Bäume hinzukommend so ausgewählt und gepflanzt wie es die „grünen“ Regelwerke seit jeher vorgeben, würden Baumstandorte bereits seit Langem einen äußerst effektiven Beitrag zur Schwammstadt leisten und den Bäumen gleichzeitig eine optimale Lebensgrundlage bieten.

Da Baumstandorte auf Jahrzehnte der Funktionserfüllung ausgelegt sind, müssen sie nachhaltig sein - auch damit ein Baum sein stadtspezifisches Höchstalter erreichen kann und dabei seine volle Klimabilanz ausschöpft. Wenn Baumstandorte mit einer Betonung der Rigolen-Funktion des Wurzelraumes jedoch an den Bedürfnissen von Bäumen vorbeikonstruiert werden, ist den Bäumen mit einem in jeder Hinsicht großen technischen Aufwand nicht geholfen. Einfach nur irgendwie überleben müssen sie bereits ohne dies nur all zu oft.

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Anmerkung: Dieser Artikel enthält Auszüge des Beitrags „Bäume unter Wasser – Ein kritischer Blick auf Baumstandorte mit Rigolenfunktion“. Doobe, G.; Streckenbach, M. In: Dujesiefken, D.; Amtage, T. und Streckenbach, M. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2023, Haymarket Media, Braunschweig, 71–82.


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