Viele Missverständnisse um BIM
Erst planen, dann bauen: Das sollte nicht nur für Großprojekte, sondern alle Bauprojekte gelten. Voraussetzung für ein erfolgreiches Bauprojekt ist das reibungslose Zusammenspiel aller Akteure. Immer deutlicher wird: Ohne Digitalisierung des Bauens – vor allem ohne BIM Building Information Modelling – wird es nicht gehen. Was darunter zu verstehen ist, ist allerdings nicht immer eindeutig.
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„Bauwerke besser planen, bauen und betreiben“
Das Thema BIM hat in den letzten Jahren stark an Fahrt aufgenommen. Ein einheitliches Verständnis, was BIM eigentlich ist, fehlt allerdings immer noch. Weit verbreitet ist die Auffassung, BIM sei vor allem eine Planungsmethode. Falsch ist das zwar nicht, aber BIM ist schon mehr, so Dr. May: „Wenn man BIM in unterschiedlichen Reife- und Komplexitätsgraden betrachtet, dann zielt eine erste Stufe tatsächlich vor allem auf Verbesserungen in Planungs- und Bauzeit ab. Das gesamte Potenzial der Digitalisierung liegt aber im gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks.“ Das müsse jedoch in einem weiteren Schritt erfolgen, der berücksichtige, welche Auswirkungen ein Bauwerk oder eine Anlage auf die Städte bzw. die bebaute Umwelt und die Menschen darin habe, so die Expertin. In Großbritannien gelte der Grundsatz für BIM „Bauwerke besser planen, bauen und betreiben“ und gleichzeitig: „Bessere Bauwerke planen, bauen und betreiben.“ Es gehe also nicht darum, ein Planungstool zu haben, mit dem sich die Planungsphasen besser gestalten ließen, sondern es gehe um die Frage: Wie bauen und betreiben wir eine lebenswerte und leistungsfähige Umwelt?
Ist BIM konform mit dem Vergaberecht?
Es sei auch nicht so, dass BIM die Vergabe in Richtung Generalunter- oder -übernehmer treibe. „Die Prinzipien des gemeinschaftlichen Arbeitens lassen sich auf alle Lieferstrategien übertragen. Da besteht kein Kausalzusammenhang mit BIM“. Wenn feststehe, wer an dem Projekt beteiligt ist – Architekt, Fachplaner und Unternehmer-, beginne die Teambildung und das gemeinschaftliche Arbeiten, allerdings ohne vertragliche Beziehungen untereinander. Mit der BIM-Methode wird zu Beginn der Zusammenarbeit ein BIM-Abwicklungsplan entwickelt, der dokumentiert, worauf sich die Projektbeteiligten geeinigt haben hinsichtlich Schnittstellen, Kommunikation und vielem mehr. May: „All dies ist unter den in den jeweiligen Ländern gängigen Vergabepraxen und rechtlichen Rahmenbedingungen durchaus möglich. Das heißt: Auch in Deutschland muss und kann eine BIM-Einführung so gelingen, dass sie mit VOB, HOAI und dem Vergaberecht konform gehen.“
Zurzeit wird in der Regel noch das „containerbasierte“ Arbeiten gepflegt, in dem jeder Beteiligte Besitzer seiner eigenen Daten ist. Davon soll auch im Moment nicht abgerückt werden. „Wir haben vorhin schon von mehreren Ausbaustufen bzw. Komplexitätsgraden von BIM gesprochen. Man kann sich vorstellen, dass in einer ersten Stufe in einem Projekt Geometrien nach bestimmten Regeln verlustfrei ausgetauscht werden sollen. In einer nächsten Stufe bekommen diese Geometrien Attribute zugewiesen. In der dritten Ausbaustufe wäre vorstellbar, dass zentrale Datenbanken und andere Lösungen zur Verfügung ständen“, sagt Dr. May. Das Konzept der Komplexitätsstufen solle vornehmlich einer Überforderung von Marktteilnehmern entgegenwirken, da entsprechende Kompetenz und besonders Kapazität im Markt noch aufgebaut werden müsse.
Verschiebung der HOAI-Leistungsphasen durch BIM
Aus der Praxis häufen sich die Beschwerden von Planern, dass von ihnen plötzlich mehr Leistung in frühen Phasen verlangt wird, allerdings ohne eine Anpassung der Vergütung – weil man ja jetzt BIM mache und da sei das so! Für May das am weitesten verbreitete Missverständnis rund um BIM: „Hier liegt eine falsche Verknüpfung von Argumenten vor. Es ist keine neue Erkenntnis, dass in frühen Phasen die Fähigkeiten zu Änderungen hoch ist und die Auswirkungen auf Kosten gering. Wenn wir uns also bemühen, eine Planung zu einer Reife zu bringen, die kostspielige Änderungen auf der Baustelle reduziert, hat das zunächst mal nichts mit BIM, sondern viel mit gesundem Menschenverstand zu tun. Allerdings ist gerade in frühen Leistungsphasen das Risiko noch sehr hoch, dass das Projekt vielleicht nie realisiert wird. Und selbst wenn, ist der Zeitpunkt, bis das Projekt Rendite abwirft, Passagiere befördert oder Patienten beherbergt noch so weit weg, dass ein Investor oder Bauherr die Kosten so lange wie möglich so gering wie möglich halten möchte. Das ist ein Spannungsfeld, aber das wird nicht durch BIM verursacht. Im Gegenteil, die digitalen Methoden beispielsweise der Variantenanalyse, der Visualisierung oder Daten aus dem Betrieb ähnlicher Anlagen geben uns jetzt hervorragende Werkzeuge an die Hand, dieses Spannungsfeld zu reduzieren und so umfangreich wie nötig, aber so wertschöpfend wie möglich zu bewältigen. Die entscheidende Frage bei BIM ist immer, welche Informationen in welcher Qualität und welchem Format wann wem zur Verfügung stehen müssen, damit Entscheidungen auf der Basis gesicherter Informationen getroffen und Risiken eingeschätzt werden können. So viele und nur so viele Informationen sollten generiert werden. Wenn dann die Antwort ist, dass manche Entscheidungen oder Risiken eine umfangreichere Planung erforderlich machen als in der Leistungsphase vorgesehen, hat die HOAI auch heute schon dafür die erforderlichen Mechanismen.“ Und natürlich sollte diese Leistung entsprechend vergütet werden, so May.
Lösungen für den Datenaustausch nötig
Die frühzeitige Vermeidung von Planungs- und Ausführungsfehlern wird häufig als einer der großen Vorteile von BIM ins Feld geführt. Daneben habe sich in der Praxis gezeigt, dass auch der Zeitgewinn ein nicht unwesentlicher Vorteil von BIM ist. Habe man sich erst einmal die entsprechenden Vorlagen erarbeitet, so sei man „massiv schneller und effizienter“, so May. „Das gilt auch bei Änderungen, die sich durch verschiedene Pläne oder Listen ziehen.“
Probleme macht nach wie vor der Datenaustausch über Schnittstellen sowie zunehmend das schiere Datenvolumen. Das muss nicht immer an den Programmen liegen, sagt Ilka May: „Vieles wird falsch modelliert oder strukturiert, wenn zum Beispiel die Datenmenge nicht reduziert wird. Da sollten wir mitunter geschickter vorgehen. Der Umgang mit Datenbanken oder der Unterschied zwischen einem Austausch- und einem Dokumentationsformat sind aber keine Kernkompetenzen von Ingenieuren und Architekten und sollen es auch nicht werden. Trotzdem brauchen wir hier bessere standardisierte Lösungen.“
Datenmanagement optimieren
BIM wird die Verantwortung und die Tätigkeiten rund um das Daten- und Informationsmanagement verändern. Bisher ist das an Bauprojekten nicht ausreichend wahrgenommen worden. „Das wird jetzt besonders eklatant dadurch, dass wir in unserer Zeit der Digitalisierung mit einer vorher noch nie gesehenen Menge an Informationen und Daten zu kämpfen haben“, ist May überzeugt. Das müsse nun gemanagt werden. „Durch die heutige Technologie wie Email, Datenräume und anderes haben wir die Kontrolle über unsere Daten verloren. Wahllos duplizieren, erstellen und speichern wir Daten, hängen maßlos MBs an Emails als Anhänge und verschicken sie an eine große Liste von Empfängern – zur Sicherheit, dass alle alles haben. Wir haben nicht die Disziplin und die Prozesse, so etwas sauber zu managen. Und das versuchen wir jetzt durch BIM zu reparieren.“ Die Verantwortung für die Datenqualität und die Prozesse des Datenmanagements muss jemand übernehmen. Ob diese Rolle ein Architekt für sich in Anspruch nehmen wolle oder jemand anders, das wiederum werde man dem Markt überlassen. In anderen Ländern sei zu beobachten, dass diese Rollen auch durch nichtakademische Berufe abgedeckt würden, zum Beispiel durch Konstrukteure und Bauzeichner, die dann zum CAD- oder BIM-Manager oder -Koordinator würden.
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im B_I baumagazin 3+4/2018.
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