Holcim baut Prototyp für die Dekarbonisierung der Zementindustrie

In Lägerdorf soll das erste klimaneutrale Zementwerk der Welt entstehen. Bis zum Jahr 2028 will der Zement-Konzern Holcim seinen Traditionsstandort mit neuer Ofentechnik und CO2-Abscheidung umrüsten. Die Investitionskosten für den Bau belaufen sich auf mehrere hundert Millionen Euro. Und der Zeitplan ist eng.

Holcim baut Prototyp für die Dekarbonisierung der Zementindustrie
Das Zementwerk Lägerdorf von Holcim Deutschland soll bis 2029 klimaneutral werden. Der Ofen 11 hat dann ausgedient. | Foto: bb

Als 1995 der Ofen 11 im Zementwerk Lägerdorf bei Itzehoe eingeweiht wurde, galt er als neuer Maßstab in Sachen Umweltfreundlichkeit, denn er wurde für die Verbrennung mit Ersatzbrennstoffen, sprich: aufbereitetem Müll, gebaut. Kohle war damit für die Zementherstellung nicht mehr nötig. Torsten Krohn war damals Umweltbeauftragter in dem Werk, das er heute leitet. Jetzt, fast 30 Jahre später, legt Lägerdorf beim Stand der Technik erneut die oberste Messlatte an: Holcims erklärtes Ziel ist, bis zum Ende des Jahrzehnts hier in Schleswig-Holstein das erste klimaneutrale Zementwerk der Welt zu betreiben.

Spatenstich für ein Vorzeigeprojekt

Dafür wird aktuell die neue Ofenlinie 12 gebaut und das Werk auf ein Oxyfuel-Verfahren zur CO2-Abscheidung umgerüstet. Pro Jahr würden damit über eine Million Tonnen CO₂ eingespart, heißt es von Holcim – das entspricht etwa 5 Prozent der jährlichen CO2-Produktion ganz Schleswig-Holsteins. Das Vorzeigeprojekt nennt sich „Carbon2Business“ und wird mit 110 Millionen Euro von der EU gefördert. Für Holcim Deutschland belaufen sich die gesamten Investitionskosten auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. An denen beteiligt sich weder der Bund, noch das Land Schleswig-Holstein. Dennoch waren Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther beim offiziellen Spatenstich im April 2024 zugegen und würdigten damit die hohe Bedeutung des Projekts.

Schulterschluss zwischen Industrie und Politik (v.l.):  Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland, mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther beim Spatenstich im April. | Foto: Holcim
Schulterschluss zwischen Industrie und Politik (v.l.): Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland, mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther beim Spatenstich im April. | Foto: Holcim

Abgeschiedenes CO2 wird zu Rohstoff

Für Bundeswirtschaftsminister Habeck ist Lägerdorf „ein Musterbeispiel für die grüne Transformation“. Denn hier soll Kohlendioxid nicht nur abgeschieden, sondern der Industrie auch als Rohstoff zur Verfügung gestellt werden. Basis dafür ist das Oxyfuel-Verfahren, bei dem die Umgebungsluft, die für den Brennprozess in der Zementherstellung nötig ist, durch reinem Sauerstoff ersetzt wird. Daraus folgt eine hohe Konzentration des Kohlendioxids im Abgas, das sichüber eine sogenannte Carbon Purification Unit (CPU) fast komplett abscheiden lässt. Das Kohlendioxid wird weiter zu einem hochreinen Gas aufbereitet und kann als Ausgangsstoff zum Beispiel für die chemische Industrie dienen. Kohlenstoff wird unter anderem für die Herstellung von Kunststoffen wie Polyurethan, Reifen oder Medikamenten benötigt. Oder aber für Treibstoffe: CO2 ist die Basis für „grünes“ Methan, E-Methanol und E-Kerosin.
Blick über das Werksgelände von Lägerdorf - hinten links die Kreisegrube | Foto: bb
Blick über das Werksgelände von Lägerdorf - hinten links die Kreisegrube | Foto: bb

CO2-Pipeline bis Brunsbüttel in Planung

Und das ist nicht nur eine theoretische Möglichkeit. Denn unweit von Lägerdorf befinden sich Industrieunternehmen, die den Kohlenstoff weiterverarbeiten könnten, wie zum Beispiel der ChemCoast Park in Brunsbüttel, mit dem laut Holcim bereits Gespräche zur Zwischenspeicherung laufen. Auch der Seezugang für den Weitertransport des CO2 über den Tiefseehafen Brunsbüttel macht den Standort ideal. Eine 28 Kilometer lange unterirdische Pipeline, die der Essener Gasnetzbetreiber Open Grid Europe plant, wird künftig das Zementwerk mit Brunsbüttel verbinden. Von dort aus kann das CO2 zum Beispiel auch nach Dänemark verschifft werden. Dazu müssten allerdings die Industrien ebenfalls ihre Prozesse umbauen und in moderne Technologien investieren, sagt Sven Weidner, Leiter des Bereichs Carbon Capture, Utilisation and Storage (CCUS) bei Holcim Deutschland.

Besonders vielversprechend erscheint die Nutzung vor Ort in der Westküsten-Region. So soll das CO2 aus Lägerdorf der Methanolsynthese in der Raffinerie Heide zugeführt werden. Die synthetischen Kraftstoffe könnten dann z.B. für den Hamburger Flughafen oder für Methanolschiffe genutzt werden, erläutert Weidner.

So wird das Zementwerk Lägerdorf im Jahr 2028 aussehen: Farbig hervorgehoben die neue Anlage mit der Ofenlinie 12. | Foto: Holcim
So wird das Zementwerk Lägerdorf im Jahr 2028 aussehen: Farbig hervorgehoben die neue Anlage mit der Ofenlinie 12. | Foto: Holcim

Holcims Zeitplan für die Dekarbonisierung

Holcims Roadmap zur Dekarbonisierung sieht vor, dass das klimaneutrale Zementwerk Lägerdorf 2028 in Betrieb genommen werden kann, 2029 soll der neue Ofen 12 im Regelbetrieb laufen. Der alte Ofen 11 bleibt erhalten und soll laut Werksleiter Torsten Krohn auch weiterhin zuschaltbar bleiben, "zur Sicherheit". Als nächste Schritte will Holcim Deutschland bis zum Jahr 2030 mindestens 80 Prozent der benötigten Energie aus grünem Strom beziehen. Bis dahin sollen auch die Zementwerke im niedersächsischen Höver und in Beckum (Nordrhein-Westfalen) mit Technologien zur Abscheidung und Aufbereitung von CO2 bereit sein. 2030 werden die Testphasen spätestens abgeschlossen und die Werke dann bereit für die Umrüstung auf Net-Zero sein. Um sie tatsächlich klimaneutral betreiben zu können fehle es aber noch an der nötigen Infrastruktur und der entsprechenden Gesetzgebung, so Weidner.

Über Holcim

Holcim Deutschland verfügt über 13 Standorte, beschäftigt rund 1.800 Mitarbeiter und hat nach eigenen Angaben 2023 einen Jahresumsatz von 814 Millionen Euro erwirtschaftet. Das Unternehmen gehört zum Schweizer Konzern Holcim Ltd. mit insgesamt 850 Standorten, rund 64.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 27 Milliarden Schweizer Franken. Damit ist Holcim der größte Zementproduzent der Welt.

Beim Fachpresse-Event im Vorfeld der Nordbau (v.l.): Produktionsleiter Markus Berndt, Werksleiter Torsten Krohn, Sven Weidner, Head of CCUS Holcim Deutschland, Joschka Knuth, Staatssekretär im Umweltministerium SH, und bbs-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Frederichs | Foto: bb
Beim Fachpresse-Event im Vorfeld der Nordbau (v.l.): Produktionsleiter Markus Berndt, Werksleiter Torsten Krohn, Sven Weidner, Head of CCUS Holcim Deutschland, Joschka Knuth, Staatssekretär im Umweltministerium SH, und bbs-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Frederichs | Foto: bb

Zeit für die industrielle Dekarbonisierung drängt

Das Ziel, klimaneutral zu produzieren, ist für Holcim kein Selbstzweck. Die Zementhersteller wie auch andere Industriebranchen müssen bis Ende der 2030er Jahre weitgehend klimaneutral produzieren, dann stehen keine neuen CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel mehr zur Verfügung. Eine dekarbonisierte Industrie ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, das Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral sein kann. Doch dafür müssen die rechtlichen Voraussetzungen erst geschaffen werden. So drängt der Verein Deutscher Zementwerke (vdz), dass noch in diesem Jahr die Gesetze für die CO2-Speicherung (CCS), die Nutzung (CCU) und für die dazugehörige CO2-Infrastruktur von insgesamt rund 4.500 Kilometern Länge vorliegen müssten - nicht nur für Lägerdorf, sondern für viele weitere Projekte in der Zementindustrie, die in den Startlöchern stehen.

Zementindustrie wartet aufs Kohlendioxid-Speicherungsgesetz

Aus diesem Grund wartet auch Holcim dringend auf das Kohlendioxid-Speicherungs- und -Transportgesetz (KSpTG). Die jüngsten Fassung der Carbon Management Strategie (CMS) des Bundeswirtschaftsministeriums will den Branchen Zement, Kalk, Chemie und Stahl die CO2-Abscheidung und des Export ins europäische Audsland ermöglichen, muss aber noch in den Ressorts abgestimmt werden. Um den Aufbau der CO2-Transportinfrastrukturen rechtssicher zu ermöglichen, will die Bundesregierung das Kohlendioxid-Speichergesetz entsprechend anpassen. Den Entwurf hatte das Bundeskabinett Ende Mai verabschiedet und nach Stellungnahme des Bundesrats am 4. September beschlossen, die erste Lesung im Bundestag soll in einigen Wochen erfolgen.

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Damit besteht für Holcim die Hoffnung, das das KSpTG die wesentlichen Hürden für den Aufbau eines CO2-Pipelinenetzes noch dieses Jahr beseitigen wird und der Zeitplan für Lägerdorf machbar ist. Ob bis Mitte der 2030er Jahre alle relevanten industriellen CO2-Quellen rechtzeitig an die neu zu erstellende Infrastruktur angeschlossen werden können, ist allerdings offen - zu lang seien die Vorlaufzeiten, warnt nicht nur die Zementindustrie. Wirklich einhalten ließe sich der Dekarbonisierungs-Zeitplan nur, wenn den Vorhaben ein „überragendes öffentliches Interesse“ eingeräumt werde.

Warum überhaupt CO2-Speicherung?

Die deutsche Zementindustrie emittiert pro Jahr 20 Mio. Tonnen CO2. Das entspricht ca. 3 Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland. Bundesweit gibt es 33 Zementwerke mit eigener Klinkerproduktion. Die CO2-Emissionen in der Zementherstellung sind zu zwei Dritteln rohstoffbedingt und gelten deshalb als unvermeidbar. Deshalb wird die Kohlendioxid-Speicherung als einzige Lösung gesehen, wie die Zementproduktion klimaneutral werden kann.

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