Sanierungsstau bei Fernstraßenbrücken
Tausende deutsche Fernstraßenbrücken müssen dringend saniert oder neugebaut werden. Wie der Sanierungsstau aufgelöst werden kann, diskutierten die Straßenbau- und Verkehrsingenieure der VSVI Schleswig-Holstein auf der Nordbau 2015 mit Vertretern von Politik, Kommunen und ADAC.
Das Mischen wird digital
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Als Perle der Baukunst wird der Konstruktive Ingenieurbau gern bezeichnet. Umso erschreckender erscheint vor diesem Hintergrund der Zustand der Brückenbauwerke in Deutschland im Jahr 2015. Die „Notoperationen“ der Rheinbrücken in Leverkusen (A 1) und Mainz (A 643) sowie der Rader Hochbrücke der A 7 über den Nord-Ostsee-Kanal haben schonungslos den Sanierungsnotstand der deutschen Fernstraßenbrücken offengelegt. Auf jährlich 1,5 Milliarden Euro beziffert der ADAC den Finanzierungsbedarf für den Erhalt der Bundesfernstraßenbrücken.
Dass diese Summen nicht aus vorhandenen Haushaltsmitteln bestritten werden können, ist klar. Verkehrsminister Dobrindt hat daher in diesem Jahr ein Sonderprogramm Brückenmodernisierung aufgelegt, in dem eben diese 1,5 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung stehen sollen. Es läuft zunächst bis 2018. Förderwürdig sind Maßnahmen mit mindestens fünf Millionen Euro Volumen, und die Liste enthält schon 99 Einträge. Das entspricht einem Volumen von ungefähr zwei Milliarden Euro.
„Und das ist nur der Anfang“, sagte Dr.-Ing. Gero Marzahn, Referatsleiter Brücken-, Tunnel und sonstige Ingenieurbauwerke im Bundesverkehrsministerium, beim Tag der Straßenbau- und Verkehrsingenieure in Neumünster. „Bis 2017 stecken wir planmäßig 1,33 Milliarden Euro in den Brückenbau rein, und das wird nicht reichen. Diese Zahlen müssen etwa 600 Millionen jährlich erreichen und dann über 20 Jahre relativ konstant weitergeführt werden.“ Keine leichte Aufgabe, aber immerhin gute Aussichten für den Ingenieurnachwuchs: „Ich hoffe, dass die jungen Ingenieure das erkennen: Das ist ihr Zeitalter, jetzt Ingenieurwesen und Konstruktiven Ingenieurbau zu studieren“, so Marzahn.
Doch zurück zu den Bundesfernstraßen: Gut 39.500 Brückenbauwerke gibt es entlang deutscher Autobahnen und Bundesstraßen – ein „ganz ordentliches Anlagevermögen“, wie Dr.-Ing. Gero Marzahn in Neumünster treffend feststellte. In welchem Zustand sie sind und wie viele von ihnen in den nächsten Jahren erneuert werden müssen, hat sein Ministerium jüngst nachgeprüft. Ergebnis: Rund 2.500 Bauwerke müssen „näher in Augenschein genommen werden“. Dies sind vordringlich Großbrücken mit über 800 Metern Länge, in der Regel Spannbetonbrücken. Sie machen über 40 Prozent der gesamten Brückenfläche aus.
Um den Zustand dieser Brücken zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass sie in der Mehrzahl schon Nutzungsdauern von 40 oder 50 Jahren hinter sich haben, und dass sie in einer Zeit gebaut worden sind, als der Fahrzeug- und vor allem der Schwerverkehr nur ein Bruchteil von dem war, was heute auf unseren Straßen rollt. Die Leverkusener Rheinbrücke im Zuge der A 1 etwa – das weiß Marzahn sehr genau, weil er zur Zeit ihrer Sanierung noch im Landesbetrieb Straßenbau NRW tätig war – hatte man seinerzeit für 34.000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt. Heute rollen 120.000, das heißt, viermal so viele
Fahrzeuge über das Bauwerk, und der Schwerlastanteil beträgt zwölf Prozent. Die Spannbetonbrücke war für solche Belastungen nicht annähernd ausgelegt und viel zu dünn bemessen, ihr Kollaps folglich nur eine Frage der Zeit; zumal man das für einen vierstreifigen Betrieb ausgelegte Bauwerk seit 1986 sechsstreifig betrieben hatte.
Eine derartige Koordination wünscht sich auch Dr.-Ing. Rainer Grzeschkowitz vom Hamburger Ingenieurbüro WK Consult. Er vermisst eine konstante, planbare Auftragslage bei Ingenieurbüros und Baufirmen: Wie viele Mitarbeiter brauche ich? Lohnen sich Anschaffungen? „Es ist schwierig, ohne langfristige Vorschau das zum notwendigen Termin bereitzustellende, qualifizierte Personal bzw. die optimale Gerätschaft vorzuhalten“, so Grzeschkowitz. Dr.-Ing. Stefan Klotz wandte ein, dass in Lübeck und vielen anderen Städten diese Planbarkeit durchaus gegeben sei, aber die Verlässlichkeit in der Finanzierung fehle.
Zur Planbarkeit gehört für die Ingenieurbüros aber auch, überhaupt geeignete Mitarbeiter zu finden, und das bereitet ihnen größere Probleme denn je. Hier wirkt sicher noch die Baukrise der Jahre 1995 bis 2005 nach, als Hunderttausende Arbeitskräfte freigesetzt wurden. Trotz des zwischenzeitlichen Anstiegs bei den Studierendenzahlen, aktuell sind es zwischen 11.000 und 12.000, fehlen Experten zufolge in Deutschland noch immer etwa 7.000 Ingenieure. Bauingenieurnachwuchs sei, so Grzeschkowitz, immer schwerer zu bekommen, und sein schleswig-holsteinischer Kollege Dirk Vielhaben (Böger + Jäckle, Henstedt-Ulzburg) pflichtete ihm mit Blick auf die ganze Zunft bei: „Der Markt ist derzeit leergefegt. Wir klauen uns gegenseitig die Ingenieure.“
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Grzeschkowitz rief daher seine Kollegen in anderen Büros dazu auf, mehr Werbung für ihren Beruf zu machen und der Gesellschaft ein positives Bild dieser Tätigkeit zu vermitteln, damit die anstehenden, mittel- und langfristigen Aufgaben auch personell zu bewältigen seien. „Fachlichkeit tut not – ganz besonders in den Verwaltungen. Der Abbau ist spürbar. Es ist dringend nötig, dass wir wieder Fachkräfte bekommen“, bestätigte Dr.-Ing. Stefan Klotz.
ADAC-Verkehrsvorstand Hans-Jürgen Feldhusen riet, lange Rechtsstreitigkeiten bei der Planung bis zur Baureife abzustellen. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, sei, für den Klageweg nur noch eine Rechtsinstanz, das Bundesverwaltungsgericht, zuzulassen. „Das wäre ein Weg, die Verfahren zu verkürzen und Erneuerungen zu beschleunigen“, so Feldhusen. Vieles an Widerstand könne aber schon im Vorfeld von Baumaßnahmen vermieden werden, sagte Stefan Klotz. Akzeptanz bei den Bürgern als den Nutzern der Verkehrsinfrastruktur sei in vielen Fällen aber auch eine Frage der Kommunikation. Er habe in Lübeck die Erfahrung gemacht, dass die Bürger dabei oft viel weiter seien als in der politischen Diskussion vielfach beklagt werde.
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