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Kaum Pardon bei ausstehenden Beiträgen

Wenn es um ausstehende Beiträge geht, kennen die Sozialkassen der Bauwirtschaft meist kein Pardon. Forderungen werden ziemlich rigoros eingetrieben. Weil sie nicht zahlen können, müssen viele Firmen Insolvenz anmelden.

Soka-Bau: Kaum Pardon bei ausstehenden Beiträgen
Von der Existenz der Soka-Bau wissen die wenigsten, die ein Unternehmen gründen – ein Grund für die Ablehnung einer Zwangsmitgliedschaft.

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Dietmar Lehmann, geschäftsführender Gesellschafter der LB Lehmann Brandschutz & Sanierungs GmbH, versteht die Welt nicht mehr. Obwohl der Vorgängerbetrieb, aus dessen Insolvenz heraus er seine Unternehmen 2010 gegründet hatte, kein Baubetrieb war und ihm das auch nach einer entsprechenden Überprüfung durch das Arbeitsamt für seine Unternehmen schriftlich bestätigt wurde, soll er Beiträge an die Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau) zahlen. Es geht um eine fünfstellige Summe. Viel Geld für den kleinen Betrieb aus Bentwisch bei Rostock, der, einschließlich seines Chefs, sieben Mitarbeiter zählt. Weil Lehmann sich im Recht fühlt und nicht zahlen will, ist er vor den Kadi gezogen. Den Prozess vor dem Arbeitsgericht in Berlin hat er verloren. Auf eine Ratenzahlung, sagt er, wollte sich die Soka-Bau nicht einlassen. „Mein Hinweis, dass mir sonst die Pleite droht, hat die nicht interessiert."
Will den Prozess gegen die Soka-Bau vor dem Berufungsgericht gewinnen: der geschäftsführende Gesellschafter der LB Lehmann Brandschutz & Sa- nierungs GmbH, Dietmar Lehmann. | Foto: privat
Will den Prozess gegen die Soka-Bau vor dem Berufungsgericht gewinnen: der geschäftsführende Gesellschafter der LB Lehmann Brandschutz & Sa- nierungs GmbH, Dietmar Lehmann. | Foto: privat
Nach dem Urteil hörte Lehmann, der mittlerweile Berufung eingelegt hatte, einige Monate nichts mehr von der Angelegenheit, bis plötzlich der Gerichtsvollzieher bei seinem Betrieb vor der Tür stand. Die Soka-Bau hatte, ohne Rücksicht auf das bereits laufende Berufungsverfahren und gestützt auf das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichtes, ein Vollstreckungsverfahren gegen sein Unternehmen eingeleitet. Lehmann konnte sich mit dem Gerichtsvollzieher auf Ratenzahlung einigen. „Pünktlich", sagt er, „habe ich die erste Rate gezahlt". Kurz darauf teilte ihm jedoch der Gerichtsvollzieher mit, dass die Soka-Bau Ratenzahlung ablehne. Lehmann musste daraufhin den gesamten Betrag auf einmal zahlen. Leicht war das für den 52-Jährigen nicht. Seinen Betrieb mit den sieben Arbeitsplätzen konnte er trotzdem erhalten. Den Prozess gegen die Soka-Bau vor dem Berufungsgericht will er gewinnen.

„Die lassen nicht mit sich reden“

Ähnlich wie dem Unternehmer aus Bentwisch geht es Jahr für Jahr Hunderten von Betrieben in Deutschland. Sobald ihre Tätigkeit zu mehr als 50 Prozent im Baubereich liegt, müssen sie für ihre Mitarbeiter Beiträge an die Soka-Bau zahlen. In Westdeutschland sind das etwa 20 Prozent und in Ostdeutschland rund 19 Prozent der jeweiligen Bruttolöhne. Je nach Größe der Belegschaft kommen so Monat für Monat schnell fünf- oder auch sechsstellige Summen zusammen. Als Gegenleistung finanziert und sichert die Soka-Bau, bei der es sich nicht etwa um eine staatliche, sondern private Einrichtung handelt, unter anderem das Urlaubsgeld für die Mitarbeiter der Betriebe, gewährt ihnen Rentenbeihilfen und fördert die Berufsausbildung.

Kritik gibt es von Seiten vieler Baubetriebe, aber auch von Anwälten, vor allem an der Vorgehensweise der Kasse. „Die lassen nicht mit sich reden ", so Rechtsanwalt Bernd Schäfer von der Kanzlei Rechtsanwälte Bernd Schäfer und Kollegen aus dem hessischen Friedberg. Er muss es wissen. Seine Kanzlei hat sich auf Rechtsstreitigkeiten mit der Soka-Bau spezialisiert. „Ich bin", sagt der Anwalt, „schon seit etwa 20 Jahren Dauergegner der Kasse". Derzeit habe seine Kanzlei mit etwa zwei- bis dreitausend derartigen Fällen zu tun. Möglichkeiten, sich vor Gericht mit der Soka-Bau zu vergleichen, so Schäfer „gibt es nicht". Auf etwa 4.000 bis 5.000 schätzt er die Zahl der Unternehmen, die Jahr für Jahr in die Insolvenz gehen, weil sie nicht in der Lage sind, die geforderten Beiträge an die Kasse zu zahlen, denn die haben es durchaus in sich. Je nachdem, wie lange das Unternehmen schon besteht, fordert die Soka-Bau rückwirkend für bis zu vier Jahre die vollen Zahlungen. Zwar kann der Betrieb seine Ansprüche mit den Forderungen der Kasse verrechnen und muss dann nur die immer noch ziemlich happige Differenz überweisen. Das eigentliche Problem kommt jedoch erst danach. Unternehmen, die Beiträge an die Soka-Bau zahlen müssen, werden nämlich automatisch und rückwirkend den Bautarifverträgen unterworfen. Damit greifen für sie Vorschriften wie Mindestlohnvereinbarungen, Arbeitnehmerüberlassungs- und -entsendegesetz. Außerdem werden zurückliegende Mindestlohnverstöße von den Arbeitsagenturen und Hauptzollämtern verfolgt. „Die errechnen dann", so Schäfer, „für jeden Betrieb einen hypothetischen Vorteil". Das Fünffache davon werde in der Regel anschließend als Bußgeld verhängt. Und das, so der Rechtsanwalt weiter, sei nicht selten mehr als das, was an die Soka-Bau gezahlt werden müsse. Außerdem hätten die Betriebe mit einem Strafverfahren wegen Sozialabgabenhinterziehung zu rechnen. Das alles bedeutet dann für viele Unternehmen das Aus.

Soka-Bau weist Vorwürfe zurück

Die Soka-Bau weist die Vorwürfe zurück. Was Ratenzahlungen anbelange, so Thomas Arnold, der bei der Kasse als Abteilungsleiter für die Arbeitgeberberatung zuständig ist, „kommt es auf den jeweiligen Fall an". Bei Betrieben, die neu aufgenommen würden, sagt er, „machen wir das im Einzelfall schon". Allerdings müsse es sich um einen „akzeptablen Zeitraum" handeln. In anderen Fällen, so Arnold weiter, „tun wir uns schwer". Das gelte auch für Vergleiche. Sie würden, wenn überhaupt, nur dann akzeptiert, wenn zuvor das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet hätten. Dass, wie von Rechtsanwalt Schäfer geschätzt, jährlich zwischen 4.000 und 5.000 Betriebe Insolvenz anmelden müssen, weil sie die geforderten Beträge zur Soka-Bau nicht bezahlen können, hält Arnold für „arg übertrieben". Genaue Zahlen lägen ihm nicht vor. Mit Blick auf die Praktiken von Finanzämtern und Sozialversicherungsträgern verweist er vielmehr darauf, dass die Soka-Bau „nicht der Hauptverursacher" eventueller Pleiten sei.

Was Schäfer und auch sein Kollege Holger Roth von der ebenfalls auf Soka-Bau-Fälle spezialisierten Kanzlei Roth Rechtsanwälte in Saarbrücken weiter bemängeln, ist die Tatsache, dass die Soka-Bau, um Beitragszahlungen einzutreiben, schon vor geraumer Zeit dazu übergegangen ist, anstelle eines Auskunftsverfahrens mit einer entsprechenden Klage gleich Mahnbescheide zu verschicken. Gegen derartige Bescheide aber muss innerhalb von sieben Tagen Einspruch eingelegt werden, was nach Roths Erfahrungen „die meisten Firmen nicht wissen". Die Kasse hoffe, sagt er, „dass die Leute die Frist versäumen". In der Kanzlei seines Kollegen Schäfer will man zudem festgestellt haben, dass Mahnbescheide vermehrt gegen Jahresende verschickt werden und dann oft erst zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn viele gerade kleinere Betriebe geschlossen sind, in den Briefkästen der Unternehmen landen. Schäfer: „Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass eine gewisse Masche dahinter steckt."

Schneller Klarheit schaffen

Davon will die Soka-Bau nichts wissen. Zwar sei es richtig, wie Arnold mitteilte, dass auch gegen Ende des Jahres Mahnbescheide beantragt werden. Dabei gehe es jedoch ausschließlich darum, die Verjährung von Forderungen zu vermeiden. Dass Mahnbescheide bewusst so herausgegeben werden, dass ihre Zustellung zwischen den Feiertagen erfolgt, treffe nicht zu. „Wir achten darauf, dass genau das nicht passiert." Mit einem Mahnbescheid, so Arnold weiter, könne „schneller Klarheit geschaffen werden". Die Betriebe seien nicht benachteiligt, da der nötige Klärungsprozess, wie beim Auskunftsverfahren, in jedem Fall stattfinde. Rechtskräftige Urteile – wie im Fall des Unternehmers Dietmar Lehmann (Anm. d. Red.) – würden auch bei bereits laufenden Berufungsverfahren vollstreckt.

Doch Anstoß nehmen die Anwälte und viele der Betroffenen nicht nur an dem ihrer Meinung nach rigorosem Vorgehen, sondern auch an der Art und Weise, wie die Kasse neue Mitglieder rekrutiert. Mitarbeiter der Soka-Bau sind ständig dabei, Medien wie das Internet, Zeitungen und Zeitschriften, aber auch andere Quellen zu durchforsten. Hinzu kommt eine enge Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung, die ebenfalls für einen stetigen Datenfluss sorgt. Wird die Soka-Bau bei ihren Recherchen fündig, werden die betroffenen Betriebe angeschrieben und zur Teilnahme am Sozialkassenverfahren eingeladen. Außerdem müssen sie ein Formular zur Datenerfassung ausfüllen, in dem unter anderem der „Betriebsgegenstand" anzugeben ist. Fällt er unter den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), wird der Betrieb sofort als Mitglied behandelt, erhält seine Nummer und ein Beitragskonto. Wird die Auskunft und das gegebenenfalls von der Soka-Bau angebotene Gespräch verweigert, kommt, wie Rechtsanwalt Roth weiß, „sofort ein Mahnbescheid". Und auf den müssten die Betriebe, um die Einspruchsfrist nicht verstreichen zu lassen, umgehend reagieren.

Bescheinigung nützt nichts

Viele Unternehmen glauben, dass sie eine sogenannte Negativbescheinigung, in der ihnen die Soka-Bau schwarz auf weiß mitgeteilt hat, dass ihr Betrieb nicht in den Baubereich fällt, vor dem Zugriff der Kasse schützt. Das ist jedoch nicht der Fall. Da die Bescheinigung auf Angaben beruht, die der jeweilige Betrieb selbst gemacht hat, kann sich die Soka-Bau jederzeit darauf berufen, dass die Angaben nicht richtig seien oder sich der Betriebsgegenstand mittlerweile geändert habe. Rechtsanwalt Roth: „Das Papier, auf dem das steht, ist die Tinte nicht wert." Ähnlich ist die Situation, wenn der Betrieb einer der wenigen Branchen angehört, für die eine sogenannte AVE-Einschränkungsklausel vorliegt und die deshalb grundsätzlich nicht dem Baubereich zugeordnet werden können. Auch derartige Einschränkungsklauseln können die Soka-Bau letztendlich nicht davon abhalten zu prüfen, ob die Einschränkungsklausel auf den jeweiligen Betrieb anzuwenden ist. Roth: „Eine derartige Bestätigung reicht in der Regel nicht."

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Den wohl wichtigsten Grund dafür, dass es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen der Soka-Bau und Betrieben über deren Zwangsmitgliedschaft kommt, sehen sowohl Rechtsanwalt Roth als auch sein Kollege Schäfer vor allem darin, dass viele angehende Unternehmer nicht wüssten, dass es die Soka-Bau überhaupt gibt. Schäfer: „Das sagt denen niemand." Er und sein Kollege Roth plädieren deshalb dafür, angehende Unternehmer schon bei der Gewerbeanmeldung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass, sofern ein Baubetrieb vorliegt, Beiträge an die Kasse gezahlt werden müssen. Auch die Soka-Bau würde eine derartige Regelung ebenfalls begrüßen. Arnold: „Das wäre ganz in unserem Interesse."

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im B_I baumagazin 10+11/2014.

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